Название | Hema - Das Herz einer indischen Löwin |
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Автор произведения | Hemalata Naveena Gubler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076667 |
Ich sah einen der Sanitäter in unsere Küche gehen und sich dort suchend umschauen. Mein Mann folgte ihm und wurde gefragt, ob ich irgendwelche Medikamente einnahm, ob ich schon länger mit psychischen Problemen zu tun hätte und ob ich eine Psychologin hätte, welche man kontaktieren könnte. Dieses Szenario war wie in einem Kriminalfilm. Die Leiche, das war wohl ich, da ich mich auch genau so fühlte, lag irgendwo am Boden, in diesem Falle draußen auf unserem Sitzplatz, und nun traf die Polizei oder eben hier die Ambulanz ein und suchte nach der Mordwaffe oder der Ursache für den für alle überraschenden und unerklärbaren Tod. Ich nahm keine Medikamente. Ich hatte noch nie psychische Probleme. Die Wut, die in mir brodelte, konnte man sich kaum vorstellen. Wütend darüber, dass fremde Menschen sich ein Urteil über mich und mein Leben bildeten, kamen mir wieder die Tränen.
Natürlich, das musste ich zugeben, war ich nicht glücklich. Schon länger nicht. Ich wusste nicht, seit wann, und ich wusste nicht genau, an welchem Tag ich das genau festgestellt hatte. Irgendwann im Frühling vielleicht, nach der Geburt von Leon. Ich war oft traurig und Dinge, die ich früher, auch mit einem Kind, mühelos erledigt hatte oder angegangen war, fielen mir auf einmal schwer. Ich hatte das starke Bedürfnis, alleine sein zu wollen. Weit weg von meinem Leben, das ich lebte, und von den Menschen, die um mich herum waren. Das war auch der Grund, weshalb ich für ein Wochenende in einem Hotel wohnte. Dies nicht, weil ich nicht zu Hause sein wollte oder von meiner Familie getrennt, sondern, weil ich einfach alleine sein wollte. Was schlussendlich auch der Grund dafür war, dass ich nach vielen Ermutigungen von Familie und Freunden den Schritt gewagt hatte, einen ersten Termin bei einer Psychologin wahrzunehmen. Ein Schritt, welcher mir extrem viel Mut gekostet hatte. Denn diesen Schritt zu gehen, bedeutete für mich, dass ich das erste Mal selber keine Lösung für mein Problem mehr hatte, dass ich Hilfe brauchte. Ich war überzeugt, dass, wenn ich ein paar Mal dort war, meinen Kummer von der Seele gesprochen hätte, alles wieder gut war und wieder so, wie es immer war. Obwohl ich das selber nie erleben wollte, wusste ich, dass es viel mehr Menschen gab, als man dachte, die einen Psychologen aufsuchten, um ein Problem oder, wenn schlimmer, auch eine Krise zu bewältigen. Ich tat es eigentlich nur, damit mein Umfeld aufhörte, mir ständig zu sagen, dass ich mich verändert hatte und ich endlich mit jemanden reden sollte. Ich wusste, sie meinten es gut, sie wollten mir helfen. Alle wollten mir helfen. Doch ich wollte keine Hilfe, ich brauchte keine Hilfe. Ich hatte noch immer alles alleine geschafft. Schließlich hatte ich als kleines Mädchen den Weg von Indien in die Schweiz auf mich genommen. Hatte mich in ein neues Land mit einer anderen Kultur und einer neuen Sprache gewagt. Ich konnte auch bestens damit umgehen, dass ich als dunkelhäutiges Mädchen in fast jeder Situation auffiel und nach meinem ursprünglichen Geburtsort gefragt wurde. Was berechtigt also fremde Menschen aufgrund von Herzschmerzen und Sauerstoffmangel, und vor allem vor meinen beiden Kindern, zu urteilen, dass ich jetzt eine Panikattacke hätte, was auch immer das zum Teufel nochmal überhaupt sein sollte? Und die Frage nach Medikamenten und psychischen Problemen war für mich dann noch das Beste am Ganzen. Bei der Frage, ob in meiner Familie psychische Erkrankungen vorkämen, gab ich wie zuvor die gleiche Antwort, dass ich adoptiert war und ich es deshalb nicht wusste. Bestätigung genug, dass sie mir vielleicht doch nicht zugehört hatten. Einige Minuten vorher war es die Frage nach psychischen Problemen, jetzt war die Formulierung bereits bei psychischer Erkrankung angelangt. Ich konnte nicht mehr. Heiße Tränen liefen mir die Wangen hinunter. Dennoch versuchte ich, ruhig zu atmen, langsam und bewusst, wie es der Sanitäter mir sagte. Ich wusste, ich musste das jetzt einfach überstehen. Alleine wieder einmal, wie so manches in meinem Leben, so, dass sie dachten, es wäre alles wieder gut und ich hätte mir das alles nur eingebildet. Und vorgetäuscht, damit sie jetzt schnell wieder gehen würden.
In diesem Moment sah ich eine Nachbarin auf dem Balkon. Sie schaute, ohne eine Reaktion zu zeigen, hinunter. Natürlich erschrickt man im erstem Moment, wenn eine Ambulanz vor dem Hause steht und man sieht, dass sich vier Rettungssanitäter um die Nachbarin kümmern. Wenn sie daliegt, versehen mit diversen Schläuchen für Stauerstoff, Flüssigkeit und Schmerzmittel, und ein großer Kasten daneben, welcher piepsend den Herzschlag überwacht. Und dennoch, wo blieb der Anstand, wo der Respekt und wo blieb die Privatsphäre dem anderen gegenüber? Zwei der Sanitäter begannen ihre Sachen wieder in ihren Koffer einzupacken. Sie waren zum Aufbruch bereit. Ich war erleichtert. „Wir gehen jetzt“, sagte die leitende Sanitäterin und hielt mich am Arm. „Schaffen Sie es alleine oder sollen wir ihnen helfen?“ Sie sah mich fragend an. Wieso waren die Schläuche immer noch an mir und weshalb sollte sie mir hochhelfen? Ich war irritiert. Sie sagte doch, dass sie gehen würde. Erst dann kapierte ich, dass sie mich mitnehmen wollten. „Es ist ja alles gut, haben Sie gesagt, also kann ich hier bleiben“, hatte ich trocken geantwortet. Sie wollten sich mein Herz doch nochmals genauer anschauen und ich sollte im Spital mit dem Oberarzt sprechen. Mir wurde wieder schwindlig und ich stellte erst in diesem Moment fest, dass es die letzten Minuten eigentlich wieder besser war mit den Kreislaufproblemen. Ich wollte auf keinen Fall durch das Wohnzimmer gehen. Meine Kinder sollten mich nicht, wie ein Weihnachtsbaum geschmückt, mit Sauerstoff und Infusion weggehen sehen. Mein Mann wollte mir versichern, dass er nachkommen würde. Aufgrund der Situation mit Corona wurde ihm jedoch nicht erlaubt, mit- oder nachzukommen. Die Sanitäter halfen mir dabei, aufzustehen, durch den Garten und über unsere selbst kreierte Plattentreppe hinunter auf den Parkplatz zu gelangen. Sie hoben mich auf die Trage und schnallten mich an. Ich fühlte mich schwach, ausgeliefert und sehr hilflos. Das Piepsen auf dem Herzüberwachungsmonitor wurde wieder lauter. Ich dürfte mich nicht aufregen, dass sei nur so laut, weil mein Herzschlag schneller wäre und ich müsste mir keine Sorgen machen. Und sie hätten mich nur angeschnallt, damit ich mich im Ambulanzwagen nicht verletzten könne oder von der Trage fallen. Es würde alles gut werden. Ich hörte wieder das Pfeifen im Ohr und war wieder kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Bevor sie mich gemeinsam in den Wagen hochheben konnten, mussten sie tatsächlich einem weiteren Nachbarn sagen, dass er von der offenen Türe des Fahrzeugs wegtreten solle. Ein anderer Nachbar stand auf seinem Balkon und schaute hinunter. Er machte sich nicht die Mühe, sein Schauen zufällig wirken zu lassen, nein, er verharrte an Ort und Stelle und sah zu. Es war mir peinlich. Sie dachten bestimmt alle, ich hätte Corona. Auf der Fahrt ins Spital konnte ich nicht aufhören, zu weinen. Ich wimmerte leise vor mich hin. Ich hörte mir selber zu und wusste nicht, ob ich Mitleid mit mir selber hatte oder ob es einfach nur grässliche Scham war. Ich schämte mich, dass ich einen solchen Aufwand betrieb und das, obwohl sie sagten, es wäre alles gut. Ich schämte mich, weil ich danach eine hohe Arztrechnung zahlen musste. Ich schämte mich, weil ich nicht bei meinen Kindern bleiben konnte, und ich erinnerte mich ebenfalls, dass ich jetzt eigentlich die Wäsche waschen wollte, welche ich bereits gestern Abend vorsortiert hatte. Ich hatte mich im Wäschekalender im Keller eingetragen.
Im Spital angekommen, wurde ich von der Trage auf ein Spitalbett umgelegt und erhielt nun auch eine Schutzmaske. Wie konnte man mir eine solche Maske aufzwingen, unter welcher ich noch weniger Luft bekäme? Es ging mir dabei nicht darum, dass ich mich gegen das Tragen der Maske im Kampf gegen das Coronavirus weigern wollte, ich hielt mich stets an alle Vorschriften. Aber in diesem Moment, in dem ich dachte, dass ich aufgrund von Sauerstoffmangel sterben würde, fand ich die Maske dann doch sehr fragwürdig. Ich verstand nicht mehr viel. Ich sollte das Herz nochmals kontrollieren, den Oberarzt kurz sehen und dann würde ich sofort meinen Mann anrufen, damit er mich so rasch wie möglich wieder nach Hause holen konnte. Das war mein Plan. In der Notfallabteilung wurde ich in ein separates Abteil geschoben und der sterile, duschähnliche Vorhang zum Flur wurde zugezogen. Eine junge Frau kam herein und ersetzte die Infusion mit einem neuen Beutel. Die Schmerzmedikamente wollten noch immer nicht wirken. Ich hatte nach wie vor sehr starke Magenschmerzen. Ich riss mich jedoch zusammen, damit wir kurz miteinander sprechen konnten. Sie wollte wissen, wie hoch mein Gewicht war und ob ich genügend aß.
Ich sagte ihr, dass ich mein aktuelles Gewicht nicht kannte, da ich sehr selten bis fast nie auf einer Waage stand. Ich war schon immer sehr schlank und in meiner ganzen Kindheit und Jugendzeit bis kurz vor der Schwangerschaft mit Lilly hatte ich immer sehr viel Sport betrieben. Ich war im Leichtathletikverein, in einer Tanzgruppe, war viel Joggen und bis vor wenigen Jahren noch immer aktiv in einem Fußballverein tätig. Sport war mir immer sehr wichtig gewesen, nicht der Figur halber, sondern weil es mir mental guttat und Sport für mich sehr interessant war. Bis heute