Hema - Das Herz einer indischen Löwin. Hemalata Naveena Gubler

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Название Hema - Das Herz einer indischen Löwin
Автор произведения Hemalata Naveena Gubler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076667



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was gut, was viel und zu viel war. Ich trank gerne Alkohol, das war offensichtlich kein Geheimnis. Er schmeckte mir einfach. Im Frühling bemerkte ich jedoch, dass sich der Genuss von Alkohol für mich irgendwann veränderte. Wenn ich etwas Alkoholisches trank, hatte ich den Eindruck oder redete mir selbst ein, dass dies nun meine Entspannung war, dass es das Wenige war, was ich für mich tat und für niemanden sonst. Ich wusste natürlich da schon, dass etwas nicht mehr im Lot war. Es ging dabei nicht um die Menge. Ich ging stets verantwortlich damit um, schließlich wusste ich, dass ich jederzeit für meine Kinder da sein und auch nachts fit sein musste, wenn eines erwachen würde. Ich hatte also niemals zu viel getrunken. Jedoch hat sich die Sache an sich verändert, der Wert davon war auf einmal anders, und das war nicht gut. Es war mir bewusst, dennoch unternahm ich nichts dagegen, weil ich nicht die eine Sache aufgeben wollte, welche für mich in diesem Moment noch als kleiner Hoffnungsschimmer wirkte. Ich wollte zu dem Zeitpunkt nicht darüber nachdenken, was die Ursache dafür hätte sein können. Vor allem hatte ich auch gar keine Zeit, mir in Ruhe diese Gedanken zu machen. Ich war vierundzwanzig Stunden am Funktionieren. Dabei blieben ohne zu übertreiben keine fünf Minuten, in denen ich mich hätte in Ruhe hinsetzen können, ohne dass ich dabei eine To-do Liste erstellte, etwas bestellen musste, etwas organisieren, Termine planen, Babybrei zubereiten, Wäsche machen oder sonst irgendetwas erledigen musste.

      Natürlich, ich wollte Kinder. Das jedoch auch erst wirklich, als ich mit meinem Mann zusammen kam. Früher wollte ich weder heiraten noch Kinder, ich war sogar absolut dagegen. Ich wollte immer Karriere machen und die Welt bereisen. Ich durfte nämlich schon einiges von dieser Welt bestaunen, flog schon in einige Ecken dieses Planeten und lebte auch für längere Zeit in Australien, Italien, England, Schottland und Frankreich. Das Reisen, Unbekanntes und Neues entdecken, das fehlte mir sehr. Aus diesem Grund wollte ich auch unbedingt ein paar Tage ans Meer fahren. Mit einer Freundin oder auch alleine. Ich war daran, dies zu planen, doch nun traute ich es mir auf einmal nicht mehr zu. Ich konnte ja nicht mal mehr fünf Minuten Auto fahren oder alleine etwas einkaufen gehen. Die Angst davor, was alles hätte passieren können, schränkte mich auf übelste Weise ein. Meine Angst und Panik setzte somit Lebensweichen.

      Als Lilly an Weihnachten 2017 zur Welt kam, war für mich sofort klar, dass ich mir irgendwann auch einmal ein Geschwisterchen für sie wünschte. Ich wollte demnach zwei Kinder und ich liebte sie über alles. Ich hätte alles für sie getan. Sie standen für mich immer an erster Stelle. Und das Allerwichtigste für mich war, dass es ihnen gut ging. Also musste ich da auch durch, egal, wie anstrengend es war, egal, wenn ich mich selber nicht mehr spürte und mich selber nicht mehr erkannte und nichts mehr für mich tat oder hatte. Ich wusste genau, dass mein Limit eigentlich erreicht war und, dass ich bald nicht mehr konnte. Und irgendwie wartete ich ständig auf den Moment, in dem etwas passierte, und darauf, dass ich diesen Augenblick erkannte und, dass es endlich vorbei sein würde und ich vom ganzen Druck und Stress erlöst war. In der Schwangerschaft mit Leon hatte ich auch große Verlustängste. Die Angst, dass Leon oder mir während der Geburt etwas passieren könnte, oder auch Lilly, während ich nicht bei ihr sein konnte, da ich bei der Geburt mit Leon war, war immer präsent. Zudem konnte ich mir noch nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn ich einige Tage nach der Geburt im Spital bleiben müsste und Lilly nicht bei mir war. Ich war auch schon vorher für ein paar Tage weg und somit von ihr getrennt gewesen, aber in dieser Zeit konnte ich mir keine Minute mehr ohne meine Tochter vorstellen. Vielleicht auch, weil ich wusste, dass ich, sobald Leon da war, nicht mehr so viel Zeit für sie alleine hätte. Ich war dieses Mal auch nicht gerne schwanger, im Gegensatz zur Schwangerschaft mit Lilly. In der zweiten Schwangerschaft störte mich der ganze Umstand am Schwangersein, der große Bauch, die Vorbereitung auf das zweite Kinderzimmer, die Formulare für den Mutterschaftsurlaub, einfach alles. Es gab Frauen, die diese Gefühle überhaupt nicht nachvollziehen konnten. Aber ich wusste auch, dass es solche unter ihnen gab, die mir genau nachfühlen konnten. Aufgrund dieser Gedanken hatte ich natürlich große Schuldgefühle. Schließlich war mein kleiner Sohn in meinem Bauch, war gesund und boxte wild darin umher, und dennoch konnte ich nicht sagen, dass ich glücklich war. Wie sah meine Zukunft aus? Würde ich den Rest meines Lebens nur noch Mama sein? Es zerriss mich innerlich jeden Tag. Ich konnte es niemandem sagen und mir selbst nicht erklären. Ich fragte mich jeden Tag aufs Neue, ob dies nun mein Leben war, und ob es auch das Leben war, welches ich für mich wollte. Die Antwort schwankte immer zwischen ja, nein und ich weiß es nicht. Wie die vibrierende Nadel eines defekten Kompasses sich hin und her bewegt und nie stehen bleibt. Ich hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Einen Mann, der mich liebte, eine gesunde kleine Tochter, einen gesunden kleinen Sohn in meinem Bauch, eine Eigentumswohnung, einen tollen Job, viele Freunde und ich selber war auch gesund. Ich hatte wirklich alles. Ich wusste also nicht, was mir fehlte, was ich bräuchte, was ich wollte oder was nicht gut war. Wusste nicht, was der Grund dafür war, dass ich so empfand. Ich wusste nur, dass es so war. Die Schuldgefühle für diese Gedanken und Gefühle waren immens.

      Gabriela, einer guten Freundin von mir, erzählte ich, dass es momentan schwierig für mich war. Sie hatte selber Erfahrungen mit Ängsten und ermutigte mich auch im Frühling dazu, eine Psychologin aufzusuchen. Ihre Mutter bot mir sogar an, mich manchmal zu begleiten, wenn ich die Kinder von der Krippe holen musste, und kümmerte sich auch das eine oder andere Mal um sie. Ich war sehr froh und dankbar für diese Hilfe. Ich fühlte mich natürlich schwach, weil ich diese Hilfe brauchte. Ich genoss die Gespräche mit ihr sehr, wir konnten bei uns im Garten viel lachen und uns auch über ihre Lebenserfahrungen mit ihren eigenen Kindern austauschen. Als es mir wieder einmal sehr schlecht ging, fuhr sie sogar die Strecke zur Krippe und wieder zurück und blieb auch bei uns, bis mein Mann abends zu Hause war. Gabriela wusste von einer Psychiatrischen Spitex, welche mir vielleicht helfen konnte. Im letzten Winter erlitt Gabriela einen persönlichen Schicksalsschlag und kämpfte zu dem damaligen Zeitpunkt noch immer damit. Ich konnte vielen Menschen nachfühlen, doch nie wirklich verstehen. Auf einmal sah das anders aus. Auf einem Spaziergang erzählte mir Gabriela, wie es ihr dabei ging, als sie Panik davor hatte, alleine einkaufen zu gehen oder alleine zu Hause zu sein. Sie hatte mir das auch früher schon erzählt, aber ich konnte es nie ganz verstehen. Jetzt konnte ich es. Ich konnte mich in ihren Erzählungen und Schilderungen wiederfinden. Und so erzählte sie mir von der Psychiatrischen Spitex. Im ersten Moment fand ich diese Idee völlig übertrieben und absolut nicht notwendig. Das alles würde sich wieder legen, dachte ich mir, und ich brauchte sicherlich keine solche Hilfe. Wie hätte sich denn das angehört? Ich brauchte doch keine Hilfe im Haushalt. Ich konnte staubsaugen, kochen, Windeln wechseln und putzen. Und wenn ich mir selber nicht erklären konnte, weshalb ich ständig erschöpft war und plötzlich Angst vor den unmöglichsten Dingen hatte, konnte mir auch niemand anders helfen. Dennoch vereinbarte ich einen ersten Termin mit dieser Stiftung, in diesem Moment mehr, um Gabriela einen Gefallen zu tun und mir hinterher nicht sagen zu müssen, hätte ich es doch wenigstens versucht. Ich war jedoch überzeugt, dass es nichts für mich war.

      Im Nachhinein war ich natürlich froh, dass ich diesen Termin wahrgenommen hatte. Ich versuchte, meine aktuelle Situation zu beschreiben, und wir vereinbarten gleich zwei weitere Termine. Gemeinsam mit der Psychiatrischen Spitex konnte ich dann sogar die beiden Male den Weg in die Krippe fahren. Ich saß dabei auch selber hinter dem Steuer und es ging ohne Probleme, weil ich die Sicherheit hatte, dass, wenn es nicht ginge, jemand da war, der hätte übernehmen können. Das Ziel bei einer Psychiatrischen Spitex war nicht, dass sie für einen Sachen erledigten, sondern, dass sie alles gemeinsam mit einem machten und einen unterstützen und motivierten. Die Spitex riet mir, meinen Hausarzt aufzusuchen, der mir allenfalls ein Medikament verschreiben konnte. Bei mir schlugen bereits wieder die Alarmglocken, Medikamente! Ich wusste mittlerweile, dass ich Hilfe brauchte. Was ich mir noch viel mehr erhoffte, das war eine Erklärung für das Ganze.

      Mein Vater kam vorbei und fuhr mich zum Hausarzt. Ich kannte diesen eigentlich kaum, hatte ihn damals nur aufgesucht, als ich von Zürich umgezogen war, damit ich im Notfall einen Arzt in der Nähe hätte. Denn wie schon erwähnt, ging ich nur ganz selten zum Arzt. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern, weil ich auch nicht musste, da ich zum Glück immer gesund war.

      Auch hier versuchte ich wieder, alles zu erzählen. Langsam hatte ich das Gefühl, ich bildete mir mein ganzes Leben nur ein. Dass alles gar nicht war, wie es mir schien, und ich einfach nur weg müsste. Weit weg von diesem Leben und leider auch den Menschen um mich herum. So, dass einfach