1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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Ballin verspürte offenbar wenig Lust, gegen Stinnes Überheblichkeit und zur Schau getragene Zuversicht weiter anzurennen. Ein wenig hilflos sah er mich an. Das war ein Fehler! Denn Kommerzienrat Stinnes nahm dies sogleich als Aufforderung, mich mit der Frage zu überziehen, ob er und Ludendorff denn nicht die fraglos richtigen Schlüsse aus der Weltlage zögen. Inzwischen hatte sich Albert gefasst und setzte zu einem eindrucksvollen Statement an.

      „Herr Kommerzienrat, ich schätze seine Exzellenz, Herrn Generalleutnant Ludendorff über alle Maßen. Seitdem der Generalfeldmarschall und er an der Spitze der OHL stehen, gibt es wieder eine Richtung und ein Ziel in diesem Land. Die Männer der Wirtschaft und der Politik und die Millionen Arbeiter und Soldaten wissen nun, wofür wir kämpfen, wofür wir die Zähne zusammenbeißen und jeden Tag hart arbeiten, wofür die Hausfrau den Gürtel enger schnallt und mit Rüben und Kartoffeln den Tisch deckt. Erst steigern wir die Produktion, so dass unsere Landser gefüllte Munitionsdepots haben. Dann greifen wir zum richtigen Zeitpunkt und mit der überlegenen Strategie einen Feind an, der schwächer wird.

      Und dann, was passiert aber dann, mein verehrter Herr Stinnes?

      Werden unsere glorreichen Truppen dann Paris erobert haben, in der Bretagne und an den Alpen stehen? Mit Verlaub, ich glaube das nicht. Wir können einen Achtungserfolg erringen, vielleicht Verdun nehmen und die Marne überschreiten. Der Feind würde dann einsehen, dass er uns in Frankreich niemals wird besiegen können. Die Entente wird dann wohl bereit sein, Frieden mit uns zu schließen, ohne deutsches Land aus dem Deutschen Reiche herausschneiden zu wollen. Aber die Entente wird uns dann noch lange nicht all das geben, was sie von der Ruhr in Lothringen und Belgien fordern. Sie sehen, ich bin kein Defätist, Herr Kommerzienrat. Ich bin Realist, und stelle mir deshalb fortwährend die Frage, wie wir aus diesem Kriege wieder herauskommen. Ich suche dabei nach neuen Wegen, um Deutschlands unbestrittenen Vorrang, unsere Suprematie in Europa zu wahren und dem Feind den Frieden ebenfalls schmackhaft zu machen. Ich möchte sie herzlich bitten, über meine Ansicht einmal in Ruhe nachzudenken und diese meine Worte einmal mit an die Ruhr zu nehmen und mit ihren Freunden zu erörtern.”

      „Nun dann, Herr Ballin, nehmen sie aus dieser Runde nicht den Eindruck mit, ich gäbe ihnen unumwunden Recht. Ich bin sehr wohl davon überzeugt, dass die französische Armee noch zusammenbrechen und von uns bis vor die Alpen getrieben werden wird! Ich nehme indes ihre Worte dennoch mit zu den Herren Hugenberg, Vögler, Reusch und Thyssen. Denn wir an der Ruhr müssen schließlich auch wissen, wie sie vom Handel und von der Exportwirtschaft denken, und anschließend ihre Stimme gegenüber der Reichsleitung erheben. Wir werden uns schon unsere Gedanken darüber machen, welche Schlüsse wir daraus zu ziehen haben.”

      Hugo Stinnes verabschiedete sich nun mit einem Lächeln von Albert Ballin und mir, um sich einer Gruppe um den Kronprinzen in einer anderen Region des Ballsaales zuzuwenden. Mir ging spontan der Gedanke durch den Kopf: Hoffentlich lässt sich seine kaiserliche Hoheit von diesen säbelrasselnden Alldeutschen, ob in Uniform in Spa oder im eleganten Anzug und als Herren über zehntausende von Arbeitern in den Zechen und Eisenhütten an der Ruhr, bloß nicht zu sehr einnehmen. Je schwächer der Kaiser wirkt, um so mehr hören die Ludendorffs, die Michaelis oder eben auch die Hugenbergs auf Kronprinz Wilhelm. Ich muss sehr darauf achten, dass mein Kontakt zu seiner kaiserlichen Hoheit nicht abreißt. Das wäre fatal, nicht nur für den Einfluss der Nationalliberalen Fraktion auf die Geschehnisse im Reich. Es wäre vielleicht noch fataler für die Chancen, zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Männern und vor allem mit dem richtigen Programm den Frieden zu gewinnen.

      Ich kam nicht umhin, Albert etwas Sorgen beladen anzuschauen.

      „War ich zu forsch, Gustav? Habe ich gar etwas Falsches gesagt?”

      „Aber nein, lieber Albert! Du hast ja so Recht! Nur geht es mir so, dass ich Stinnes letzte Sätze mehr als Drohung denn als Anerkennung für deine Position verstehe. Er stimmt dir und mir nicht zu. Deshalb wird er mit seinen Freunden in der Ruhrlade darüber sprechen, wie er unseren Einfluss auf Ludendorff, den Kanzler und den Kronprinzen vermindern kann. Ich sage es dir, lieber Albert. Die Zeiten werden nicht einfacher für Leute wie dich, Walther oder mich, für realistisch denkende und zugleich national empfindende Leute eben, die versuchen, den Krieg zu einem guten Ende zu führen.”

      5 Neujahr

      Das Jahr 1918 begann für mich mit einem eindrucksvollen Gespräch, das ich für mein Leben - so kurz es vielleicht von hier aus der Charité betrachtet auch nur noch sein mag - niemals wieder vergessen werde! Seine kaiserliche Hoheit, Kronprinz Wilhelm ließ mir durch seinen Adjutanten Major von Müller bei der von ihm befehligten Heeresgruppe “Deutscher Kronprinz” am 2. Januar persönlich mitteilen, er wünsche vor seiner Abreise an die Front eine persönliche Unterredung. Diese habe unter vier Augen und ausdrücklich nicht im Berliner Stadtschloss, sondern auf Schloss Cecilienhof in Potsdam, dem Wohnsitz der Familie Wilhelms vor den Toren der Residenz Berlin statt zu finden. Ich war natürlich verwundert. Uns blieben nur zwei Tage. Ich sagte ohne Zögern für den darauf folgenden Tag zu. Adjutant von Müller zeigte sich erleichtert. Er erklärte, seine kaiserliche Hoheit sei sich dessen gewiss gewesen, sich auf mich verlassen zu können. Der Kronprinz lade für den 3. Januar um 15 Uhr zum Tee. In der anschließenden Nacht schlief ich schlecht. Ich kam nicht zur Ruhe, weil meine Gedanken um die Frage kreisten, welche äußeren Ereignisse so bedeutsam sein konnten, dass sie seine Hoheit veranlassten, sich in großer Eile mit dem Vorsitzenden der größten vaterländisch gesinnten Reichstagsfraktion zu treffen, heimlich und allein. Natürlich stellte ich Spekulationen an, die mich nicht gerade in einen Zustand der Beruhigung versetzten. Sollte die Front wanken? Gäbe es eine neue Qualität bei der Auflösung aller staatlichen Autorität in Russland oder endlich die Einwilligung der bolschewistischen Revolutionäre in einen Frieden nach unseren Vorstellungen? Gab es vielleicht aber ein Zerwürfnis zwischen der Obersten Heeresleitung und dem Reichskanzler? Graf Hertling war zwar als Nachfolger von Michaelis erst seit dem 1. November im Amt, aber was hieß das schon in diesen Zeiten? In Berlin ging in einschlägigen Kreisen von Abgeordneten und Presse, von Ministerialbürokratie und den Verbandsvertretern der Wirtschaft das Gerücht um, Hindenburg und Ludendorff verlange es nach dem uneingeschränkten Primat der militärischen vor der zivilen Führung in allen Angelegenheiten von Krieg und Frieden. Eine solche Bankrotterklärung des Reichskanzlers hätte ich als schweren Fehler, als Selbstaufgabe der Politik empfunden. Stattdessen war ich immer mehr davon überzeugt, dass es die ureigene Verantwortung des Reichstags werde, durch eigene Anstrengungen und solidarische Kreativität mit dem Hause Hohenzollern und damit auch mit der von ihm eingesetzten zivilen Reichsleitung den Frieden zu erringen. Ob es dagegen die ureigene Fähigkeit Ludendorffs und seiner Männer in Spa sein sollte, die Weltlage und die Strömungen in Deutschland politisch richtig einzuschätzen, daran waren mir doch im abgelaufenen Jahr 1917 immer größere Zweifel gekommen. Schließlich hatte sich die Entente allen Versprechungen zum Trotz weder aufgelöst noch hatte ihre Kampfkraft merklich gelitten, sondern mit Hilfe der Amerikaner war die Entente sogar gefestigt aus dem Kriegsjahr 1917 hervorgegangen.

      Was es auch immer war, das der Kronprinz mit mir erörtern wollte. Als mich die von ihm geschickte Limousine am 3. Januar um 14 Uhr zu Hause abholte, betrachtete ich es als meine heilige vaterländische Pflicht ihm zu helfen so gut es in meinen Möglichkeiten liegen sollte. Auf dem Weg nach Potsdam durchquerten wir Steglitz, Dahlem und Zehlendorf, kamen an immer noch weihnachtlich geschmückten Schaufenstern und hell erleuchteten Gaststätten vorbei. Natürlich reichte die Pracht und Vielfalt der Auslagen nicht an Friedenszeiten heran. Dennoch nahm ich sehr bewusst auf, wie lebenswert Berlin, ja ganz Deutschland trotz aller Not, trotz des Mangels an Lebensmitteln und Brennstoff für die Mehrzahl der einfachen Menschen weiterhin war, selbst im vierten Kriegsjahr geblieben war. Ich als Fraktionsvorsitzender der Nationalliberalen trug eine herausragende Verantwortung dafür, dass die deutsche Politik so umsichtig wie irgend möglich auf Kaiser und Reich einwirkte, für einen Frieden, der unserer Nation und vor allem den einfachen Menschen Glück und Wohlstand, am besten dauerhaften Frieden und Anerkennung in der Welt einbrachte. Einmal mehr musste ich an Albert Ballins Worte gegenüber dem Kohlenbaron Stinnes denken: Deutschland in Europa zu stärken und zu sichern empfanden wir als unsere gemeinsame Aufgabe. Und ich bekam das ungute Gefühl, dass meine Vorstellungen von der Umsetzung dieser hohen Idee mit denselben von Stinnes