1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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werde ich wie Ostern benannt die Beteiligung der gesamten Bevölkerung an der Meinungsbildung im preußischen Abgeordnetenhaus stärken. Doch dies werde ich aus tiefster Überzeugung dann tun, wenn die Auswirkungen der Härten dieses Krieges auf das Gefühlsleben unserer Nation abgeklungen sein werden.

      Zweitens schmälert die Hinzufügung Amerikas in die Reihe unserer Feinde keineswegs meine Siegeszuversicht, denn ich setze darauf, dass die bewährte Leitung unseres Heeres innerhalb kürzester Zeit in der Lage sein wird, unserem geprüften Westheere von Osten Entsatz zu verschaffen.”

      Während Generalfeldmarschall von Hindenburg und Oberst Bauer dem Ball beiwohnten, hatte derweil Generalleutnant Ludendorff die Befehlsgewalt in der Obersten Heeresleitung in Spa inne. Der ebenso selbstbewusst wie behäbig wirkende ältere Herr von Hindenburg verneigte sich bei des Kaisers letzten Worten deutlich sichtbar in dessen Richtung. Die Gesellschaft nahm mit einem Raunen zur Kenntnis, dass der Generalstabschef den Auftrag seines Monarchen nicht nur verstanden hatte, sondern offenkundig zugleich bereitwillig die Absicht verfolgte, den Auftrag auszuführen.

      Nach der Rede des Kaisers eröffneten dieser selbst samt Gemahlin sowie der Kronprinz mit seiner Gattin den Ball zu einem beschwingten Walzer von Richard Strauß. Insbesondere die jüngeren Offiziere verloren keine Zeit, um die jungen Damen zum Tanz aufzufordern. Oberleutnant Ballin zögerte noch, doch beim zweiten Aufspiel des Orchesters löste er sich von der kleinen Gruppe, die er bisher mit zwei weiteren jungen Offizieren, seinem Vater und Walther Rathenau gebildet hatte. Schon zuvor hatte er sein Auge auf eine kleine schwarzhaarige Dame in leuchtend gelbem Ballkleid geworfen, die mit weiteren Damen des Hofes vor dem Eröffnungstanz um die Kaiserin gestanden hatte. - Albert Ballin hat mir später davon erzählt. Ich selbst war zur gleichen Zeit mit tief schürfenden Gesprächen beschäftigt. Doch den selbstbewussten, jungen, forschen Thorsten Ballin sehe ich jetzt förmlich vor mir.

      Oberleutnant Ballin fordert die junge Hofdame im langen, leuchtend gelben Ballkleid zum Tanz auf und schwebt daraufhin beschwingt über das Parkett. Anscheinend ist er in diesem glücklichen Moment frei von allen Eindrücken, die den Alltag des Frontoffiziers in den zurückliegenden Monaten ausgemacht haben mochten. Thorsten Ballin liegt dabei ein freudiges Schmunzeln auf den Lippen. Dafür hat er zwei Gründe: Recht so, denkt er sich, es war richtig, seinen alten Herren von Hamburg aus auf dieser Reise nach Berlin zu begleiten. Denn der Kopf wird frei und ich werde daran erinnert, wie schön das Leben im Frieden wieder einmal sein wird. Dann aber spürt er beim Blick in die großen braunen Augen seiner Tanzpartnerin eine wohlige Wärme. Nach dem Tanz bleibt das Tanzpaar am Rande der Tanzfläche stehen. Thorsten Ballin erkundigt sich nach ihrem Weg in den Hofstaat der Kaiserin. Die junge Dame ist nicht nur hübsch, sie spricht für eine junge Frau aus adeligem Hause bemerkenswert unbeschwert über sich und fragt Thorsten sogar danach, wie hart er den Krieg empfindet. Prinzessin Helena ist die Tochter des Königs von Griechenland und als solche die jüngste Cousine von Kronprinz Wilhelm von Preußen. Seit gut zwei Wochen zu Gast in Berlin am Hofe der Hollenzollern hat Wilhelms Gemahlin Cecilie aus dem Hause von Mecklenburg-Schwerin die gerade einundzwanzigjährige Verwandte unter ihre Fittiche genommen. Ein wenig langweilig drohte das Berliner Hofleben unter den Bedingungen des Kriegs so langsam zu werden. Da kam Helena der Ball des Kaisers gerade recht. Der junge Offizier, der sie da eben zum Tanz aufgefordert hat, ist ihr sehr sympathisch. Er vermittelt einen etwas unerfahrenen Eindruck mit höfischen Festlichkeiten. Doch eben das macht ihn interessant. Der Name Ballin sagt ihr nichts, doch sie wundert sich beinahe, dass der junge Offizier aus bürgerlichem Hause am kaiserlichen Hof Zugang hat. Das beantwortet Oberleutnant Ballin ihr freimütig mit den guten Beziehungen seines Vaters zur Reichsregierung. Helena insistiert da nicht, sondern nimmt sich vor, nach diesem Abend ein wenig zu recherchieren. Statt dessen rutscht ihr eine Frage heraus, für die sie sich sogleich am liebsten auf die Zunge gebissen hätte:

      „Herr Oberleutnant, sie sind sehr ernst heute Abend. Dabei feiern wir doch so einen schönen Ball. Mag es vielleicht daran liegen, dass sie an der Front schon zu viele Männer haben sterben sehen?”

      Thorsten Ballin sieht Helena völlig überrascht an. Sein Erstaunen rührt indes nicht daher, dass er peinlich berührt wäre oder sich scheuen würde, auf eine Frage nach seinen Kriegserfahrungen zu antworten. Es ist mehr die völlige Überraschung darüber, dass eine junge Dame des Hochadels so unbefangen mit den schmerzlichen Seiten des Kriegs umgeht und dies sogar an einem solchen Abend, an dem die beste Berliner Gesellschaft doch deshalb zusammen gekommen ist, um unbeschwert zu feiern und gerade den Krieg für einen Abend einmal hinter sich zu lassen.

      „Liebe Prinzessin Helena, es ist unbestreitbar ein Vorteil der Artillerie, dass man nicht im Schützengraben und nicht in vorderster Front steht. Sicher kommt es vor, dass die feindliche Artillerie aus vielen Kilometern Entfernung auch einmal versucht, unsere Stellungen unter Feuer zu nehmen, aber das ist selten. Ich musste glücklicherweise bisher in knapp einem Jahr Fronteinsatz nur wenige Kameraden sterben sehen.”

      „Lieber Oberleutnant Ballin, nicht Prinzessin Helena. Bitte sagen sie nur Helena zu mir. Das wäre mir sehr viel lieber.”

      „Sehr gern, liebes Fräulein Helena. Sie würden mir nun einen Gefallen damit erweisen, den Krieg für kurze Zeit aus ihren Gedanken zu verbannen und mir von ihrer schönen griechischen Heimat zu erzählen.”

      Helena lacht und beginnt eine für Thorsten Ballin spritzig vorgetragene Geschichte über ihre Kindheit am Athener Hof, über Musik und Handarbeit und vor allem das Erlernen von Sprachen. Sie schwärmt von den Stränden Attikas und der Ägäis und wünscht sich, dass Oberleutnant Ballin sie dort einmal besuchen möge. Plötzlich stockt ihre Erzählung und sie blickt sehr ernst. Noch bevor Oberleutnant Ballin Gelegenheit bekommt, nach der Ursache zu fragen, antworte sie selbst.

      „Ich bin aber auch traurig, wenn ich an Griechenland denke. Der Grund meiner Abreise waren die Wirren zu Hause, denn der Krieg lässt meine Heimat ja leider auch nicht verschont. Im Juni, das wissen sie sicherlich, musste mein Papa abdanken, weil er nicht bereit war, dem Druck der britischen Besatzer nachzugeben und gegen Österreich, Deutschland und die Osmanen in den Krieg einzutreten. Ich habe hautnah miterlebt, welche Gewissensnöte Papa Konstantin durchlebt hat. Er konnte nicht gegen unsere Familie in Berlin zu Felde ziehen. Griechenland hat ja auch gar keinen Grund, keine Ziele, keine verletzten Interessen, um das zu tun.”

      „Und dann hat er seinen Thron ihrem Bruder überlassen.”

      „Ja genau, aber nicht einfach so. Papa hat von den Briten die feste Zusage, das Ehrenwort der britischen Krone verlangt, dass sein Thronverzicht nicht das Ende unserer Dynastie bedeuten würde, sondern dass mein gut zwei Jahre älterer Bruder Alexander ihm nachfolgen dürfe. Das hat er geschafft und zugleich ist er nach der Abdankung am 12. Juni in eine tiefe Zurückgezogenheit verfallen. Ich hoffe und bete, dass er nicht daran zerbricht.”

      Aus Prinzessin Helenas linkem Augenwinkel rollt eine einzelne Träne. Thorsten Ballin ist betroffen. Er reicht ihr wortlos ein Taschentuch. Am liebsten würde er sie sofort in den Arm nehmen und trösten. Doch das geht am Hofe des Kaisers natürlich nicht! Also fällt ihm nur eines ein, um Helena wieder auf andere Gedanken zu bringen. Thorsten Ballin fordert sie zu einem zweiten Tanz auf, besorgt anschließend zwei Schalen Sekt und setzt die Unterhaltung mit Helena fort.

      Die beiden jungen Leute gehen ungezwungen und beinahe schon vertraut miteinander um. Junge Damen des Hofes beobachten sie aus der Ferne, von intensivem Tuscheln begleitet. Helena bemerkt das und weist Oberleutnant Ballin darauf hin. Doch statt verschreckt den jungen Mann zu verabschieden und zu ihren Begleiterinnen aus den zurückliegenden Tagen am Hofe zu eilen, amüsiert sich die Prinzessin, winkt verschmitzt hinüber und schenkt ihre Aufmerksamkeit anschließend erneut dem jungen Artillerieoffizier aus bürgerlichem Hause. Thorsten Ballin ist beeindruckt von Helena, die sich scheinbar wenig daraus macht, dass ihre neuen Freundinnen aus Berlin sie misstrauisch beäugen. Dies steigert Thorstens Interesse an, vor allem aber seine Sympathie für Helena. Trotz ihres offenkundigen Vergnügens, das sie aneinander finden, beschließen Thorsten und Helena nach einem dritten Tanz, sich einer Gruppe junger Hofdamen und Offiziere anzuschließen, die im kleinen Empfangssaal neben dem Tanzparkett eine Menschentraube in heiterem Gespräch bilden. Thorsten Ballin weiß bereits, dass er diesen Ball nicht verlassen wird, ohne Prinzessin Helena von Griechenland bedeutet