1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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gebracht!

      Wohl sei dir, dass wir im 20. Jahrhundert leben und nicht mehr im 18.! Jetzt aber schweige und höre mir zu. Ich verlange von dir Respekt und Treue. So wie ich deine Leistung an der Spitze deiner Heeresgruppe schätze, obgleich dein Stab dir etwas mehr abnehmen mag als dies bei den übrigen Armeen der Fall sein wird.ˋ

      Diese Spitze tat mir weh, Herr Doktor Stresemann. Der Kaiser fuhr fort:

      `verlange ich von dir absolute, bedingungslose Treue und Loyalität gegenüber deinem Herrscher. Das verlange ich nicht deshalb, weil ich dein gealterter Vater bin. Allein der Umstand, dass du ein reifer Mann geworden bist und glauben magst, du wüsstest es jetzt besser als die Generation der Alten, gibt dir nicht das Recht, mich zu belehren, mir Vorwürfe zu machen, mich zu verurteilen! Deshalb warne ich dich mit brutaler Klarheit, mein Sohn Wilhelm. Höre ich noch ein einziges Mal in diesem Tone von dir, so entziehe ich dir dein Kommando und verurteile dich zur Untätigkeit auf deinem Landsitz Oels in Schlesien, solange, bis der Krieg beendet und die Gefahr für die innere und äußere Einigkeit unseres Vaterlandes gebannt sein wird.´

      Die Drohung, lieber Doktor Stresemann, verschlug mir für kurze Zeit den Atem. Von meinem zaudernden Vater hatte ich viel erwartet, etwa Vorwürfe, Mahnungen, eine Verteidigungsrede. Nicht aber, dass er mich im Alter von 35 Jahren wie einen Buben behandelte und androhte, mich gleichsam unter Hausarrest zu stellen, mich, seinen im Volk beliebten Nachfolger und den anerkannten Heerführer der Truppen bei Verdun und nun an der Somme! Ich blieb still. Und tatsächlich schlug die Stimme des Kaisers in Sanftheit um:

      `Was ich dir, mein lieber Sohn, hingegen zugute halte, ist der Takt, mich zwar zur Rede zu stellen, dafür aber einzig und allein eine Situation zu suchen, die unter vier Augen stattfindet. Ich wünsche von dir, dass die deutsche Öffentlichkeit und ebenso die Oberste Heeresleitung von deinen Ansichten ebenso wenig erfährt wie davon, dass diese Unterredung jemals stattgefunden hat.`”

      Mein sich anschließender Augenaufschlag scheint Bände zu sprechen. Der Kronprinz schmunzelt. Er zündet sich genussvoll erneut die noch zur Hälfte ungerauchte Zigarre an und blickt mir lange in die Augen.

      „Der einzige Mensch, dem ich bisher und vor ihnen von meinem Streitgespräch mit meinem Vater erzählte, ist meine liebe Gattin Cecilie. Betrachten sie es als Ausdruck unseres persönlichen Umgangs miteinander, dass ich ihnen auch davon kurz berichte. Es ist mir ein Bedürfnis, nicht zuletzt wegen der Anerkennung, die ich meiner Frau damit zollen möchte. Ich musste gestern Abend schlichtweg los werden, was mich beschäftigte. Nachdem die Kinder zu Bett gegangen waren, fragte ich recht unverbindlich nach, ob meine Frau noch die Frische aufbrächte, mir mit gutem Rat zur Seite zu stehen. Cecilie zeigte sich hoch erfreut über die ihr damit zu Teil werdende Anerkennung und lauschte äußerst geduldig meinem Bericht. Als ich geendet hatte, wartete ich einen Moment ab, ob meine Frau eine Bemerkung machen wollte. Das war nicht der Fall. Also begann ich selbst mit der Bewertung. Ich rügte mich als zu forsch, zuweilen beleidigend im Ton des Vortrags. Zugleich rechtfertigte ich mein Handeln, indem ich zu jedem sachlichen Argument stünde, das ich vorgebracht hätte.

      Jetzt unterbrach mich meine Gattin. Cecilie billigte mir ohne Zweifel das Recht zu, ein kritisches und offenes Gespräch mit Seiner Majestät zu suchen. Hingegen verlangte sie mir mehr Respekt vor dem Alter und der Lebenserfahrung meines Vaters ab. Es fiel der Satz:

      `Es mag Wilhelm selbstgerecht erschienen sein, dass du seine Regentschaft seit 1913 so durchgehend negativ beurteiltest. Es ist doch stets einfacher, aus der Rückschau die Dinge einzuordnen als in der akuten Entscheidungssituation des welthistorischen Augenblicks, den zum Beispiel die Kriegserklärungen der Mächte Anfang August 1914 bildeten. Prüfe dich bitte selbst, lieber Willi. Ist dir nicht ebenfalls seitdem das eine oder andere Fehlurteil unterlaufen?´

      Selten hatte meine Gattin bisher in diesen Worten mit mir gesprochen. Es war ein schönes Gefühl, in ihr diese Nachdenklichkeit, diesen Geist anzutreffen. So versetzte mich meine Cecilie in die Stimmung, durchaus ein wenig Selbstkritik zu üben. Plötzlich hörte ich mich selbst sagen, ich sei zwar ein großer Freund der dritten OHL, doch die beiden Herren Hindenburg und Ludendorff machten leider auch nicht alles richtig. Ebenso wie sie und viele andere in Deutschland hätte ich auf die Wirkung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges gegen England vertraut und fatalerweise die Gefahr unterschätzt, die von der Provokation ausging, die wir damit gegenüber den Vereinigten Staaten wagten. Aus heutiger Sicht billigte ich meiner Gattin zu, es sei ein Fehler gewesen, den U-Boot-Krieg als totalen Krieg wieder aufzunehmen. Wir stünden heute besser da, falls die USA weiter neutral wären.“

      Mit den letzten Sätzen des Kronprinzen gewinnt das Bild, das ich mir bislang von ihm gemacht habe, weitere wichtige und facettenreiche Züge hinzu. Dieser Mann ist für mich von nun an viel mehr als ein Vertreter der alten preußischen Elite. Wilhelms Fähigkeit und Offenheit zur Selbstkritik sowie seine sehr sympathische Äußerung zur Persönlichkeit seiner Gattin Cecilie hinterlassen bei mir den gesicherten Eindruck eines Mannes, der mit beiden Beinen fest in der Moderne des 20. Jahrhunderts stehe und von daher auch die Fähigkeit mitbringen werde, zu gegebener Zeit die Zukunft unseres großen Volkes zu gestalten.

      Der Kronprinz blinzelt mich aufmerksam an. Er scheint zu erraten, dass ich in meinen Gedanken ein wenig abgeschweift bin. Ebenso scheint er mir bewusst und gerne die Zeit dazu einzuräumen. Erst als ich ihm wieder mit voller Aufmerksamkeit ins Gesicht schaue, spricht Wilhelm weiter.

      „Sie fragen sich jetzt natürlich, wie ich es nur wagen kann, trotz der deutlichen Warnung Seiner Majestät vor jeder Indiskretion über meine Unterredung mit ihm dennoch heute dieses Gespräch mit ihnen zu führen. Die Verwunderung ist berechtigt. Sie vermag ich jedoch gleich aufzulösen, wenn ich ihnen die Ereignisse bis zum gestrigen Tage berichte. Denn gestern hat - als Ausfluss des Streitgespräches mit meinem Vater - auf Veranlassung des Kaisers der Kronrat getagt und bedeutsame Weichenstellungen vorgenommen. Diese sind der letzte Grund dafür, warum ich so viel Wert darauf legte, heute mit ihnen zusammen zu kommen. Aber greifen wir den Ereignissen bitte nicht vor. Zur Sache selbst, lieber Doktor Stresemann, nur Folgendes: Durch unsere tief schürfende Unterredung im Mai 1917 und die seitdem von uns allseits darüber gewahrte Verschwiegenheit sind sie nicht mehr ein Teil der deutschen Öffentlichkeit, sondern mein Vertrauter, mit dem ich mich berate und von dem keinerlei Gefahr ausgeht, dass die Berliner Neuesten Nachrichten oder sonst wer in der Presse davon erfährt.”

      „Ich danke ihnen sehr für ihr uneingeschränktes Vertrauen, kaiserliche Hoheit. Sie können sich jetzt und in Zukunft immer auf mich verlassen!”

      „Das weiß ich, verehrter Herr Doktor. Nun lassen sie mich aber noch die Wissenslücke bei ihnen schließen, damit sich der gestrige Kronrat auch vollends erklärt.

      Seine Majestät, der Kaiser, nahm nämlich nach seinem herrischen Auftritt doch die Verteidigung auf. Die Ernennung Graf Hertlings zum Reichskanzler sei eine aktive Tat gewesen, von der er sich eine starke Regierung und die Erringung des Friedens erwarte. Zwar habe die Mobilisierung der Kriegswirtschaft im zurückliegenden Jahr nicht ganz die erwünschten Fortschritte gemacht, doch der Feind sei weiter zurückgefallen. Demgegenüber gehe die Strategie zu Russland vollkommen auf: Lenin stifte nicht mehr nur erfolgreich Unruhe, er sitze jetzt gar in der Regierung und müsse seinen Worten vom Vorrang des Friedens vor allen anderen Zielen der Revolutionsregierung Taten folgen lassen. Seine Majestät der Kaiser sei sich mit Hindenburg und Ludendorff bei deren letztem Besuch in Berlin vor erst einer Woche einig darin gewesen, dass wir über den Osten endlich wieder Bewegung in die Westfront bringen werden. Nötig sei dafür natürlich der Fortbestand des Burgfriedens. Wir könnten jetzt einfach keine Arbeitermassen gebrauchen, die nach dem Frieden im Osten den Verhandlungsfrieden auf Basis des Status quo ante im Westen fordern und in den Bummelstreik treten würden.

      Sie können sich vorstellen, lieber Doktor Stresemann, damit hatte ich nicht ganz gerechnet. Einen guten Teil dessen, was ich für die Gegenwart und das Jahr 1918 von meinem Vater als Conclusio meiner Vorrede verlangen wollte, nahm er mir da gerade vorweg. Und noch bevor ich meine Gedanken neu geordnet bekam, preschte der alte Herr mit einer Initiative vor, der ich ohne Vorbehalte zustimmen wollte. Der Kaiser sagte nur noch kurz und knapp:

      `Es ist Weihnacht, lieber Willi, Hindenburg reist nach dem Fest wieder von Ostpreußen nach Westen und kommt