1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

Читать онлайн.
Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



Скачать книгу

Außenpolitik sicherstellt. Unser Grenzverlauf zu Polen hat dann gar keine strategische Bedeutung mehr, wenn Polen und Deutschland ein unauflösliches Militärbündnis eingehen, welches es dem deutschen Heere erlaubt, Garnisonen am Bug und in Galizien zu errichten, um von Osten her niemals wieder bedroht werden zu können.”

      Es herrscht sekundenlanges Schweigen. Der Kronprinz greift zum eben servierten Kognak, schwenkt diesen im dickbauchigen Glas und sieht versonnen aus dem Fenster in eine unbestimmbare Ferne. Ludendorff scheint das Argument nicht zu gefallen, doch auch er schweigt. Oberst Bauer indes lässt die Körpersprache für sich selbst reden. Er lehnt sich entspannt zurück, spitzt den Mund zu einem zustimmenden Lächeln und blickt mich mit glänzenden Augen an. Ich bin mir trotzdem nicht sicher, was ich gerade davon zu halten habe. Schließlich gilt Bauer nicht nur als der Vertraute des Generalquartiermeisters. Er ist zugleich sein Verbindungsmann in die Stahl- und Rüstungsindustrie an der Ruhr. Und deren führende Männer fordern ja bekanntlich lieber und lautstark Land. Denn als Alternative dazu lehnen sie, wie sie es abfällig nennen „diplomatische Kinkerlitzchen und handelspolitische Blütenträume allein” rundweg ab. Mir kommt ein etwas verwegener Gedanke, der nach sofortiger Verwirklichung verlangt:

      „Verehrter Oberst Bauer, ihnen eilt der Ruf voraus, über glänzende Verbindungen in die höchsten Kreise der Ruhrkonzerne zu verfügen. Das ist ja schließlich auch dringend nötig, um die Ausstattung unserer Truppen mit dem besten Kriegsgerät zu gewährleisten. Erscheint es ihnen verantwortbar, mir einen Eindruck davon zu verschaffen, welche Positionen die dortigen Herren zur Kriegszielstrategie ihnen gegenüber vertreten. Womöglich ist das ja nicht dasselbe, ob sie mit der Nationalliberalen Reichstagsfraktion sprechen oder aber mit der Obersten Heeresleitung.”

      „Ja wirklich, ein guter Gedanke, Bauer. Doktor Stresemann hat völlig recht. Das würde mich als Vertreter der Krone auch sehr interessieren, ob Hugenbergs und Stinnes Forderungen im vertrauten Kreise mit ihnen gar keine Grenzen mehr kennen.”

      Oberst Bauer sieht seinen Chef Ludendorff fragend, aber auch ein wenig auffordernd an. Der zuckt die Schultern und hebt dabei mit der Geste der Hilflosigkeit beide Arme. „Wenn der zukünftige Kaiser sie auffordert. aus vertraulichen Unterredungen zu berichten, Bauer, dann ist das für einen deutschen Offizier ein Befehl!”

      Der Oberst schmunzelt und nickt. Unangenehm scheint ihm das nun nicht gerade zu sein, aus Sicht der OHL gegenüber einem Fremden vertrauliche bis brisante Inhalte offen zu legen. Ich habe bisher immer gedacht, Oberst Bauer sei eigentlich ein Mann der Schwerindustrie. Doch womöglich ist er einzig und allein ein Mann des Militärs, der vor allem anderen gewinnen will. Und wenn er das vielleicht nicht vollständig kann, der dann zumindest einen so glänzenden Friedensschluss befördern möchte, dass niemand in Deutschland der dritten Obersten Heeresleitung jemals einen fundierten Vorwurf würde machen können, das Ergebnis des Krieges sei nicht mit einem vollständigen Sieg gleichzusetzen. Falls man also den Verzicht auf Maximalforderungen fürderhin werde so darstellen können, dass sie der langfristigen Eintracht der Nationen Europas dienten, so werde es ein leichtes sein zu betonen, dass jener Friede in der Zukunft selbstverständlich und hauptsächlich einer bestimmten Macht, nämlich jener Kraft ihrer Ressourcen natürlichen Vormacht des Kontinents zugute kommen müsse. -Zumindest hoffe ich, dass Bauer ein wenig so denkt und wertet wie ich selbst. Es dürfte für die kommenden Monate nur von Vorteil sein, einen solch exzellenten Netzwerker an der Seite Hindenburgs und Ludendorffs, und eben auch des Kronprinzen, zu den eigenen Vertrauten und am besten sogar Verbündeten zählen zu dürfen. - Und sofort rufe ich mich innerlich selbst zur Ordnung. Gegenüber einem so gewieften Taktiker wie dem Obristen bleibt für mich stets Vorsicht das oberste Gebot, keineswegs aber Anbiederung!

      „Kaiserliche Hoheit, meine Herren, seit Investitur der dritten Heeresleitung ist es meine Aufgabe, in regelmäßigen Gesprächen mit den großen Stahlproduzenten und Metallverarbeitern des Reiches die Versorgung der Truppe mit Waffen und Munition sowie mit logistischem Gerät sicher zu stellen. Dabei reise ich mindestens einmal im Monat in das rheinisch-westfälische Industrierevier. Die Vorsitzenden der Vorstände der großen Aktiengesellschaften, ob Hugenberg, Thyssen, Vögler, Stinnes oder Reusch, sie alle suchen häufig die Gelegenheit, um sich mit mir auszutauschen. Man könnte meinen, sie hofften darauf, mich als ihr Sprachrohr bei den Herren Exzellenzen Hindenburg und Ludendorff einsetzen zu können. Weit gefehlt, schließlich bin ich doch vornehmlich das Sprachrohr der OHL gegenüber den Ruhrbaronen!”

      Oberst Bauer lacht mit blitzenden Zähnen und hellwachen Augen kurz auf. Seine Aufgabe als wichtiger Kurier der militärischen Reichsleitung macht ihm offenkundig richtiggehend Freude. Somit darf ich davon ausgehen, dass er seinen Auftrag mehr als nur gewissenhaft, dass er ihn mit Hingabe erfüllt und dabei zugleich noch mit politischen Überzeugungen versieht. Ohne Zweifel, Bauer gehört zu jenen Strippenziehern hinter den Kulissen, die ganz vorne in der zweiten Reihe der Machtgeflechte des Deutschen Reiches stehen!

      „Lassen sie mich kurz von meinem letzten Besuch in Essen, bei Herrn Hugenberg erzählen, zumal Herr Hugo Stinnes gegen Ende des Gespräches sogar vom Krupp-Chef noch hinzugezogen wurde.”

      Bei Nennung dieser beiden Namen - neben Albert Vögler und August Thyssen unbestritten die maßgeblichen Sprecher der Ruhrindustrie - steigt mein Aufmerksamkeitspegel ungemein. Wie oft sind sie in den letzten drei Jahren bei Ernst Bassermann und mir aufmarschiert, um ihre Forderungen nach der Annexion Belgiens mitsamt der französischen Kanalküste, aber vor allem des lothringischen Erzbeckens von Longwy und Briey, das direkt an Deutsch-Lothringen grenzt, zu untermauern. Sicher, die Herren von der Ruhr wollen auch den Mitteleuropäischen Zollbund. Aber primär streben sie die Beherrschung ihrer europäischen Konkurrenten über die direkte Kontrolle der hochwertigen französischen Minette-Erze an. Nun denn, da habe ich dank der von Walther Rathenau beauftragten Recherchen noch einen Pfeil im Köcher. Walther hat nämlich ausgerechnet beim Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr, vis-a-vis zur Villa von Hugo Stinnes am dortigen Auberg, eine Untersuchung durchführen lassen zur Eignung chilenischer und schwedischer Erze. Und das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen.

      „Also, ich besuchte die Krupp-Zentrale in Essen-Altendorf zu Gesprächen über die Lieferung von Geschützen. Generaldirektor Alfred Hugenberg empfing mich nach den Verhandlungen mit seiner zweiten Konzernebene dann entre nous zum Abendessen. Er war bester Stimmung und sehr vertraut im Umgang. Sehr bald kam unser Gespräch auf seine Auffassung, die dritte OHL packe endlich den Stier bei den Hörnern und sei zur Mobilisierung aller nationalen Kräfte bereit, um bald den Sieg zu erringen. Von der Industrie seien mit dem Hilfsdienstgesetz schwere Opfer verlangt worden. Doch er sehe ein, dass wir die Arbeiterschaft bei Laune halten müssten. Für die Bereitschaft der Industrie, über die Grenze des Zumutbaren hinaus zu gehen, was die Einschränkung des Direktionsrechtes im Betrieb betreffe, habe die deutsche Industrie für die direkten Regelungen des Friedensschlusses ein weitreichendes Entgegenkommen verdient. Er meinte damit die Sicherstellung der Dominanz der deutschen Eisenindustrie über diejenige Frankreichs, und damit letztlich über ganz Kontinentaleuropa. Schließlich sei das Eisen die Grundlage aller übrigen industriellen Leistungsfähigkeit. Jene Vorherrschaft der deutschen Schwerindustrie sei leicht zu erreichen, indem wir den Franzosen zwar ihre Kohle beließen, ihnen aber die wichtigsten Minette nähmen durch die Eingliederung der entsprechenden Teile Französisch-Lothringens in das Reich. Auch Lille wollte er gemeinsam mit Belgien in das Reich eingliedern. Jede Form der direkten Herrschaft, des Landerwerbs durch das Reich, sei indirekter wirtschaftlicher Einflussnahme vorzuziehen. Lediglich dann, wenn die besagten Regionen nun überhaupt nicht mehr grenznah seien, müsse der französische Staat dem deutschen Kapital durch den Friedensvertrag ein Investitionsprivileg einräumen. Höchstens Franzosen selbst dürften dem gleichgestellt werden, aber auf keinen Fall ausländische Kapitalgeber. Hier meinte er explizit die Erzgruben der Normandie.

      Als sodann Herr Hugo Stinnes in unserer Zweierrunde erschien, wechselten die Herren das Thema und wollten von mir wissen, ob ihr Eindruck ein richtiger sei, zwischen der zweiköpfigen Führungsspitze der Heeresleitung und dem Herrn Reichskanzler tue sich ein wachsender Gegensatz auf. Sie bezweifelten, dass Bethmann-Hollweg überhaupt mit Überzeugung hinter dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg stehe, weil er Angst vor Amerika habe. Sie deuteten recht unverhohlen an, die Exzellenzen Hindenburg und Ludendorff in jeder nur denkbaren Art und Weise zu unterstützen, um die Mobilisierung