1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

Читать онлайн.
Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



Скачать книгу

Wie sollen sie das denn schaffen?”

      „Ich glaube ja nun gar nicht, dass der Feind in Deutschland einrücken könnte, sehr verehrter Herr Oberst. Doch zeigt das Beispiel im Umkehrschluss, wie unvereinbar die Positionen sind.

      Jetzt aber drittens, sollten wir uns einmal in die Lage unserer Feinde versetzen. Was für uns als unakzeptabel gilt, empfindet der Feind umgekehrt ebenso. Also werden Clemenceau und Lloyd George niemals Verhandlungen zustimmen, es sei denn, sie wären militärisch praktisch erledigt, vollständig besiegt. Das träte aber erst ein, wenn wir die Front durchbrächen und Paris einnähmen. Zwar liegt Paris näher an der Front als Berlin, aber der Widerstandswille des Feindes wächst um so mehr, je stärker die Hoffnung wird, Amerika mit seinem ungeheuerlichen Industrie- und Rüstungspotenzial werde dem Westen doch noch zu Hilfe eilen.

      Und zum guten Schluss, viertens: Was für die Franzosen Amerika ist, sind für uns die Revolutionäre in Russland. Unsere Hoffnungen auf den Zusammenbruch der politischen Ordnung im Osten nährt die Hoffnung auf die schleichende Auflösung der Front, dann auf das unweigerliche Ersuchen um Friedensverhandlungen seitens der Regierung des Fürsten Kerenski sowie der ihn unterstützenden Liberalen und Sozialrevolutionäre, oder auch ihrer weiter links stehenden möglichen Nachfolger. Wenn wir aber im Osten gesiegt hätten, wären sie drei, meine Herren, im Bunde mit Generalfeldmarschall von Hindenburg die allerletzten, die über Frieden mit Frankreich verhandeln würden. Sie würden vermutlich ihre Divisionen aus dem Osten in den Westen werfen und auf Sieg setzen.”

      „Was wiederum fünftens bedeuten würde, verehrter Doktor Stresemann, beide Seiten sind von der Aufnahme von Friedensverhandlungen meilenweit entfernt. Das ist rein politisch-strategisch betrachtet, allen lärmenden Forderungen der linken Demokraten in allen Heimatländern der Kriegführenden zum Trotz.”

      „Verehrter Herr Generalquartiermeister, sie sagen es. Mit meinen Überlegungen wollte ich nur auf eines hinaus: Es droht ein Patt, das dazu führen könnte, dass der bald drei Jahre währende Krieg noch über Jahre fortdauert. Und das, obgleich die Völker zusehends ausbluten. Wenn aber die Völker ausbluten, die Arbeiter kriegsmüde geworden sind, in Petersburg der revolutionäre Mob regiert, ist die Welt, ist unser altes Europa dann noch sicher? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Das eine um das andere Mal zermartere ich mir den Kopf darüber, ob es uns im Reich nicht gelingen könnte, diese gegenseitige Blockade der Krieg führenden Mächte zu durchbrechen. Wie? Mit neuartigen Kriegszielen, die, wie die Amerikaner seit neuestem immer so Mode beflissen sagen, für beide Seiten eine Win-win-Situation schaffen?”

      „Und was soll das sein? Wie soll das denn funktionieren, lieber Stresemann?”

      „Kaiserliche Hoheit. Ich glaube, dass wir nur Erfolg haben können, wenn wir die Sicherheitsordnung im Europa der Nachkriegszeit neu aufstellen. Deutschland ist mit Abstand die mächtigste und fortschrittlichste Wirtschaftsnation des Festlandes. Gelänge uns die Zollunion, gelänge uns die Schaffung eines lockeren Staatenbundes, in dem sich niemand wieder gegen seinen Nachbarn verbünden dürfte, dann setzte sich das Reich langsam aber sicher, so ganz allmählich als natürlicher Hegemon durch. Um so sicherer bin ich mir da, falls es uns gelänge, eine Dominanz über Österreich-Ungarn und das bald geschlagene ehemalige Zarenreich zu erlangen.”

      „Und für solche Ziele hoffen sie sogar die Scheidemänner, die Eberts und Erzbergers dieser Welt gewinnen zu können?”

      Oberst Bauers scharfe Frage erstaunt mich für einen Moment. Und doch muss ich anerkennend feststellen, dass es natürlich genau darum ging, als ich mich vor Monaten dafür entschied, mit den Demokraten in vertrauliche Konsultationen einzutreten.

      „Meine Herren, die vier Herren, die sich seit etlichen Wochen als führende Vertreter ihrer jeweiligen Reichstagsfraktionen zu Gesprächen zusammen gefunden haben, verfolgen allesamt nuanciert unterschiedliche Interessen. Den einen, wie Herrn Scheidemann und auch Herrn Haußmann, ist der innere Friede am wichtigsten. Sie sind davon überzeugt, dass wir für die Zeit im Kriege und gerade auch danach diesem Ziel dann am besten dienen, falls es uns gelänge, jetzt schon das allgemeine Wahrecht in Preußen zu etablieren. Den anderen, wie Herrn Erzberger und mir, ist der äußere Friede zum mindesten ebenso bedeutsam. Doch ich verrate ihnen selbstverständlich nichts Neues, wenn ich ihnen sage, dass Herr Erzberger vornehmlich den Frieden als Selbstzweck anstrebt, während ich auf einen Frieden abziele, der Deutschland in der Welt von morgen auf jeden Fall sicherer macht, und auch ein wenig mächtiger als 1914.

      Mit dem Streben nach Macht brauche ich den Herren Demokraten gar nicht zu kommen. Anders fällt die Nachdenklichkeit aus, wenn ich meine Position zum Mitteleuropäischen Zollverband erläutere. Denn der würde mehr Wohlstand schaffen für die Arbeiter. Dessen Grundkonstrukt könnte bei entsprechendem deutschen Einsatz dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu einer erheblichen Geltung verhelfen. Und er würde die Chance bieten, dass die Nationen Europas in Zukunft zur Partnerschaft fänden statt zur Gegnerschaft in immer neuen Bündniskonstellationen.”

      „Das mit dem Selbstbestimmungsrecht meinen sie wohl nicht so recht ernst, lieber Stresemann. Ich möchte ihnen nicht kategorisch widersprechen. Doch ich beabsichtige sehr wohl, in einer fernen Zukunft einmal König von Preußen und Deutscher Kaiser zu sein, dann aber nach Möglichkeit auch noch König von Polen und Regent in Kurland, Livland und Estland. Ganz nebenbei, über Belgien haben wir da noch nicht gesprochen.”

      „Kaiserliche Hoheit, sie wissen ohne Zweifel, ich bin ein unbedingter Verfechter der preußisch-deutschen Monarchie. Und ich wünsche mir selbst, dass Euer Hoheit als deutscher Kaiser einmal König von Polen sein werden. Denn wie sollten wir jemals eine verteidigungsfähige Grenze zu Russland erhalten, wenn nicht Polen in unseren Machtbereich aufgenommen würde?

      Aber - und da bitte ich um eine vorurteilslose Betrachtung der folgenden Vergleichbarkeit: So wie der König von Preußen seinen Untertanen das gleiche Wahlrecht gewähren wird, so wird es der König von Polen ihm doch gleich tun können. Das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes beginnt zuallererst im Inneren. Und da hat die Monarchie der Hohenzollern den polnischen Bürgern und Adeligen unendlich mehr zu bieten als diejenige der Romanows in der Vergangenheit. Was die Selbstbestimmung nach außen anbelangt, ist das Königreich Polen seit dem letzten Jahr durch einen völkerrechtlichen Akt der Mittelmächte schließlich wieder erstanden. Auch das ist eine eklatante Verbesserung. Jetzt wird es noch darauf ankommen, die Nachkriegsgrenzen Polens und Deutschlands so abzustecken, dass sich die Polen nicht als die Verlierer des Krieges empfinden. Dazu gibt es aber Chancen.”

      „Aha, und welche sind das? Gerade ich als Militär werde darauf bestehen müssen, dass unsere Ostgrenze unter strategischen Gesichtspunkte so einige Arrondierungen erfährt.”

      Ludendorffs Einwand habe ich ganz sicher erwartet, zu bekannt ist seine Haltung, die er gleich beim Eintritt in die OHL im Vorjahr lauthals verkündete. Für diplomatisch klug hielt ich das schon damals nicht!

      „Sehr verehrter Herr Generalquartiermeister, mir ist eines nicht verborgen geblieben. Sie und Generalmajor Hoffmann von der Ostfront haben eine solche Forderung erhoben. Auch die Konservativen mit ihrer lautstark vernehmbaren Junker-Fraktion unterstützen das natürlich aus gänzlich anderen, aus siedlungspolitischen Gründen. Hier gelangen wir indes an einen Punkt, der für die Grundfesten Europas, für die Philosophie der deutschen Außenpolitik in den Friedensverhandlungen alles entscheidend werden wird:

      Eine neue Ordnung statt Land, aber das gegen einen echten, stabilen Frieden! Das ist mein Schlagwort. Dabei bitte ich sie, mich nicht misszuverstehen. Ich gedenke nicht, für Deutschland auf territoriale Erwerbungen zu verzichten. Doch sie sollen anders ausfallen als der Erwerb neuer Provinzen.”

      „Haben sie das von Duisberg und Ballin oder auch von Rathenau?”

      „Nein, nein, kaiserliche Hoheit. Ich tausche mich zwar des Öfteren mit allen drei von ihnen genannten Herren der deutschen Exportwirtschaft aus. Auf die eben von mir genannte Konklusion bin ich jedoch von selbst gekommen. Ich greife gerne die berechtigten Überlegungen von Herrn Generalleutnant Ludendorff auf: Das Heer verlangt nach strategisch sicheren Grenzen. Ob die Grenze zu Polen allerdings 50 Kilometer weiter westlich oder östlich verläuft, wird in dem Moment geradezu irrelevant, indem die Königreiche Polen und Preußen in Personalunion von