Projekt Null. Teja Bernardy

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Название Projekt Null
Автор произведения Teja Bernardy
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783960087526



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so zur besonderen Krise des glaubenden Menschen, des Gläubigen. Ist Gott unschuldig, wird er als Schöpfer des Himmels in der Erschaffung der Hölle und der Erde, des Menschen schuldig. Doppelt schuldig wird er, indem er all seine Schöpfung, all seine Geschöpfe sich selbst und selbstzerstörerisch überläßt. Ist GOTT also das personifizierte ‘schlechte Gewissen’?

      In „Kaspar Hauser“ gilt für Jakob Wassermann: ... unschuldig ist nur Gott. Khalil Gibrans These, Gott sei das Gewissen der vernünftigen Welt, widerfahren daraus zwei Konsequenzen: Der geglaubte Gott wäre zuerst ein Gott des schlechten Gewissens, ist IHM selbst doch nach ihm unterstellten Eigenschaften Handeln wider Wissen zueigen. Darüber hinaus wird zuletzt Welt an sich ihrerseits Produkt wider besseres Wissen, ergo unvernünftig. - Als letzteres stellt sie sich uns allerdings auch fortwährend dar, soweit sie den von Menschen besiedelten und erkundbaren Raum umfaßt. - Gefälliger, weil logischer erscheint die These, das Gewissen sei ein spezifischer Bewußtheitszustand des vernunftbegabten Menschen zur Gestaltung und Erhaltung eines/seines Lebensraumes nach freiem Willen innerhalb eines Kosmos, Welt genannt. Gott selbst und Gewissen aber sind einander aus dem gewissensinhärenten Dualismus zwischen Gut und Böse unvereinbarer Gegensatz.

      Nicht selten läßt sich unsere Welt als eine unvernünftige wahrnehmen, eine Welt, in der an Gewissen Mangel, ein gutes Gewissen Mangelware ist. Vernunftbegabung und Erkenntnisfähigkeit ermöglichen bewußtes Handeln in Übereinstimmung mit unserem Wissen. Taten wider besseres Wissen, gegen Ge-wußtes sind jene Mechanismen, die das Gewissen ins Bewußtsein rufen, es als schlechtes Gewissen dastehen und bewußt werden lassen. All dies Tun jedoch ist Menschenwerk. Gewissen ist weder Eigenschaft noch Wesen Gottes, sondern bestimmender, wertehaltiger Handlungsfaktor des Menschen, emotionaler Zustand nach vollbrachter Handlung. Auf diesem Wege gelangt das Individuum zur freien Selbstbestimmung und innerhalb der Welt und ihrer Vergesellschaftung zwangsläufig zur Goldenen Regel, vorausgesetzt, der Mensch gibt der Vernunft den Vorzug. Regelmäßig gelangt der Mensch bei Verletzung dieser Regel zu einem schlechten Gewissen, welches er regelmäßig verdrängt. Nicht Gott ist das Gewissen, sondern dem Menschen ist Vernunft gegeben, ein solches zu entwickeln, zu pflegen. Der Verdacht, pfleglicher Umgang mit solchem Wissen könne gottgefällig sein, mag einem guten Gewissen förderlich sein, ersetzt keinerlei Entscheidung, macht keine Tat, macht nichts ungeschehen. Der Aspekt göttlicher Allwissenheit, nur einer der Aspekte, nur ein anderer Aspekt Gottes, trägt in sich als verpflichtende Ansicht über Gott das Gebot der Liebe des Menschen zu sich selbst und untereinander.

      Fehlt in einer Welt vernunftbegabter Wesen Vernunft, schafft Menschheit wider besseres Wissen eine unvernünftige Welt, fehlt ihr bis zur Selbstverleugnung Gewissen, läßt das annehmen, in ihr fehle Anwesenheit Gottes, zumindest, wenn er existiert. Existiert er, fehlt Gott gleichwohl, und mit ihm fehlt Liebe, auch die seine zu den Menschen. Die Frage seiner Omnipräsenz, Ubiquität, zugleich Machtfrage und Erkenntnissuche, wirft die Frage nach einem Gegenspieler Gottes auf, da sinnentleerte Hemisphäre unter gleichzeitiger Annahme Gottes in den Denkkategorien des Menschen einander widersprechen. Überantwortung weg von jeder Verantwortlichkeit des Menschen und des im Menschen und menschlichen Denken angelegten Dualismus hin zu Gott zur Entscheidung, Fortsetzung des Menschengedanken kreiert Machtauseinandersetzung, Kampf, wobei gottähnliche Wesen, Engel gegen Gott rebellieren, Gott den Kampf für sich entscheidet, dem Widersacher trotz Verbannung Macht zugesteht, den Dualismus zuläßt, die von Menschen belebte Sphäre damit in Gut und Böse, in eine vernünftige und in eine unvernünftige Welt zerfällt. All dies denkt der Mensch und denkt es sich aus. Mit jedem gedachten Höllensturz, mit jeder Seele im Fegefeuer stürzt Gott in die Krise, wird zum unvollkommensten aller denkbaren Wesen.

      Mit Denkkategorien des vernunftbegabten Menschen ist dieser Widerspruch im menschlichen Gedankengebäude weder auflösbar, noch bringt es den Menschen im Denken näher an und zu Gott. Einkleidung des Gedankenkonstruktes in Religion, seine fundamentale Verfestigung in Glaubensgrundsätze errichtet konfessionelle Strukturen unterschiedlichster Ausprägungen mit absolutem Wahrheitsanspruch, denen das Wesentliche fehlt: absolute Wahrheit! Unmöglichkeit der Verifizierung dogmatischer Glaubenstheorie, wider besseres Wissen behauptete Wahrheit ist quasi natürlicher Streitanlaß für die Auseinandersetzung zwischen Gläubigen und Ungläubigen als auch der unterschiedlichen Konfessionen untereinander. Krise, die Unvorstellbarkeit eines Gottes, an dessen Existenz der Mensch zugleich glaubt, ist mithin Wesensmerkmal des Menschen, zugleich Eigenschaft Gottes. Darin wird Glaube des Menschen an Gottheit Anlaß und Rechtfertigung für Unfrieden, kollidiert mit dem Gottesgebot Du sollst nicht töten. Gott ist mithin in auch seinen Geboten Krise der Menschheit.

      Hier aufscheinender Aspekt Gottes ist jene Eselsbrücke, wie alle übrigen Aspekte auch, die Glauben erleichtert, ermöglicht, ohne den Abgrund der Gottesferne, ohne die Kluft der Gottundenkbarkeit überbrücken zu können. All die Aspekte zusammen ergeben ein virtuoses Bild dessen, von dem der Mensch sich kein Bild machen kann, kein Bild machen darf. Gewaltige Akkorde und Harmonien täuschen nicht darüber hinweg, die Lobpreisung gilt Gott, dem unbekannten Wesen, ist plumpe Anbiederung, bringt den Menschen nicht näher zu Gott, sucht Gott näher an den Menschen heranzuziehen, IHN herabzuziehen, menschenähnlich zu machen, ist Ausdruck der Krise. Glaube ist der lauteste, der deutlichste Beweis der Krise.

      Abgesehen davon, daß ein Darstellungsverbot zusammen mit Darstellungsunmöglichkeit in den bildenden Künsten religionsübergreifend längst marginalisiert, Relikt vorzivilisatorischen Kunstverständnisses bildet, Gottesabbilder im Christentum heute nahezu Regel sind, umgeht auch Sprache in ihrer Vielfältigkeit Verbot und Unmöglichkeit, gibt verbal dem Göttlichen Gestalt, schöpft aus menschlicher Erfahrungswelt, gleitet in Anthropomorphismen, kleidet Gott in das Gewand des gütigen Vaters oder zornigen Rächers samt aller dazwischen liegenden Schattierungen. Von Sprache und Kunst gemeinsam geprägte Bilder sind ihrem Grunde und ihrer Gestalt nach Menschenbilder. Wie könnte ein Abbild des Menschen GOTT spiegeln, ihn sichtbar machen?

      Wo kein qualifizierbarer und/oder verifizierbarer Beweis Gottes, wird Glaube Zufluchtausweg des zweifelnden Menschen. Aufhebung der Zweifel mag mit und im Glauben einen schlichten, in Glaubensfragen narzißtischen Menschen zeitweilig oder auf Dauer von Zweifeln befreien, wird aber bereits den im Glauben angelegten Aspekten Gottes, zum Beispiel Nächstenliebe und Gewissen, nicht gerecht, produziert das Bild des letztlich nur Selbstgerechten, der im übrigen Verantwortlichkeit delegiert, an Gott weiterreicht. Den übrigen Gläubigen bleibt der Kampf mit und um ihren Glauben, welcher keineswegs Kampf mit Gott ist, sondern jene Auseinandersetzung, die im Islam Djihad, heiliger Krieg heißt und die Auseinandersetzung des Menschen mit der Krise, mit seiner Krise, mit seinem Gott kennzeichnet. Die mannigfachen Aspekte des geglaubten Gottes gerade sind es, welche einerseits Zweifel an seiner Existenz begründen, anderseits in den Werken, in den Taten, vor allem in den Untaten des Menschen, nicht und nie in den Werken Gottes(!), sowohl die Aspekte in Frage stellen, als auch die Frage nach der Verantwortlichkeit aufwerfen. Hier trifft der zweifelnde Gläubige auf den vom Glauben Überzeugten, und beide zusammen und jeder für sich sucht zur Beantwortung der Gewissensfrage die Verantwortung bei GOTT.

      Immanuel Kants delphische Forderung Erkenne dich selbst umfaßt weit mehr als bloße Selbsterkenntnis. Sie beinhaltet über Selbsterkenntnis hinaus Anerkenntnis der Eigenschaften und Fähigkeiten im Guten wie im Bösen, umfaßt das Bekenntnis zu sich selbst einschließlich aller Fehlbarkeit, die sich noch und aus sich heraus auch auf Selbsterkenntnis erstreckt. Solcher Umgang mit der persönlichen Innenwelt macht unmißverständlich deutlich, Glaube, der Gedanke an Gott im hergebrachten Sinne ist ein Mißverständnis, welchem nicht zuletzt der Philosoph Kant gewaltig aufsitzt. Der Homo sapiens, der Verstandesmensch ist und bleibt unfähig, ein perfektes, ein fehlerloses Wesen, einen allmächtigen, einen allwissenden Gott zu denken. Ketzerisch ließe sich anfügen, aller Gottesglaube sei Mißverständnis. Selbst wenn und wo dies zutrifft, erfüllt er dennoch eine zumindest soziale Funktion, erfährt darin seine Berechtigung. Erst seine klerikale Überzeichnung, der Hang und Drang, persönlichen Glauben allgemeinverbindlich zu machen, ihn ex Cathedra zu dekretieren, Institutionalisierung führt zur Auseinandersetzung der Glaubensauffassungen untereinander, verkehrt die sozialisierende Komponente in ihr Gegenteil, gründet, fördert, begründet Krieg, jenes Element, das mit einem Schöpfergott völlig unvereinbar ist. Die Hintertür des gerechten Krieges ist nichts als die Anmaßung, der Mensch sei gerechter als Gott, entscheide