Apatheia. Guido Seifert

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Название Apatheia
Автор произведения Guido Seifert
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770776



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Logan Koschek und M.Sc. Jacob Guerin sowie meiner Person geht es den Umständen entsprechend gut. Bei M.Sc. Harry Cavanaugh allerdings kam es zu ernsthaften Problemen. Laut Mia führte ein beschleunigter Auftauvorgang zur partiellen Denaturierung der im Gewebe enthaltenen Eiweise. Harry wurde von Mia in ein künstliches Koma versetzt. Insbesondere ist die Funktionalität seiner Lunge in lebensbedrohlicher Weise beeinträchtigt. Paladin arbeitet an der Herstellung von Zellkulturen, zeigt sich aber wenig optimistisch im Hinblick auf Harrys Gesundung. Im Übrigen kann Paladin nicht erkennen, dass sich Mia eines Versäumnisses schuldig gemacht hätte. Sowohl die Beschleunigung des Auftauvorgangs als auch das Ausbleiben einer zeitnahen Rückmeldung müssen auf einen Fehler des technischen Systems zurückgehen. Paladin kann sich diesen Fehler nicht erklären und untersucht augenblicklich die Fehlfunktion.

      In Abhängigkeit vom Fortschritt unserer Rekonvaleszenz und Assimilation werden wir morgen oder übermorgen unsere Arbeit aufnehmen.

      Die Bordsysteme funktionieren mit Ausnahme des Kühlsystems einwandfrei. Uns allen fiel sofort die hohe Raumtemperatur von 26 Grad Celsius auf. Paladin erläuterte mir, dass das Fission-Fragment-Triebwerk, das seit zwanzig Jahren für die negative Beschleunigung der DAEDALUS sorgt, deutlich mehr Wärme produziert, als die Thermal Louvers abstrahlen können. Dies hat in der Vergangenheit mehrfach zum vorzeitigen Ausfall von Elektronikelementen geführt, die aber repariert beziehungsweise ersetzt werden konnten. Eine grundsätzliche Diskrepanz bei der Kalkulation von Triebwerksleistung und Radiatorenfläche kann Paladin nicht feststellen. Er arbeitet an dem Problem.

      16:30 – Paladin gibt mir einen kurzen Überblick über die astronomischen Fortschritte, die während unseres 40-jährigen Kälteschlafs gemacht wurden, insbesondere über neue Erkenntnisse das Alpha-Centauri-System betreffend. Eine Erkenntnis ist aber bereits jetzt der Mission Longshot IV zu verdanken: Proxima Centauri besitzt einen Gesteinsplaneten, der seine Sonne in einem Abstand von 0,041 AE umkreist und eine gebundene Rotation aufweist. Wir werden ihn in sieben Tagen passieren. Im Übrigen schloss Paladin bereits vor zwanzig Jahren, auf dem Höhepunkt der Acceleration, auf das Vorhandensein dieses Exoplaneten. Wiederholte Messungen der periodischen Radialgeschwindigkeit von Proxima Centauri überzeugten Paladin von der Existenz dieses Himmelskörpers, und er setzte eine Meldung an das ESA-Kontrollzentrum ab. Somit hat die Mission Longshot IV ihre Bedeutung der Erde bereits vor achtzehn Jahren bewiesen.

      Persönliches Tagebuch von Joshua Feldmann, Kommandant der DAEDALUS, 06.12.2085

      Die Crew, insbesondere Jacob, zeigte sich sehr gerührt, als uns Zegramulrob jeweils einen kleinen Schokoladennikolaus zum Frühstück servierte. Er bestand aus einer speziellen krümelfreien Schokolade, die allen mundete (obschon butterweich, bei der Wärme hier an Bord). Ich glaube, unsere Ergriffenheit gründete vor allem in der Rührigkeit, mit der sich der Longshot-IV-Planungsstab offenbar solchen Details widmete.

      Das Frühstück selbst ist mit einer gemütlichen Mahlzeit auf der Erde natürlich nicht zu vergleichen. Aber wir alle sind dies ja von unserem Training her gewohnt, das wir vor vierzig Jahren in der Schwerelosigkeit absolvierten.

      Unbefangene Heiterkeit kam allerdings nicht auf, da uns der Zustand von Harry doch alle bewegt, zumal Paladin seine negative Prognose von gestern bestätigte. Als er uns anbot, die neuesten Teleskop-Aufnahmen von Proxima Centauri b auf den Monitor zu legen, schien es mir, als ob er beabsichtigte, unsere Stimmung aufzuhellen, und ich fragte mich, ob eine Schiffs-KI tatsächlich Motivationen dieser Art entwickeln kann. Die gezeigten Fotos waren allerdings nicht dazu angetan, Begeisterungstürme auszulösen. Natürlich war dies zu erwarten gewesen, da die DAEDALUS immer noch rund 45 AE von Proxima Centauri b entfernt ist. Wir bekamen eine rötlich-braune Halbkugel ohne irgendwelche Strukturen zu sehen. Leider befindet sich der Planet mit seinem Abstand von 0,041 AE zum Zentralgestirn knapp außerhalb der habitablen Zone.

      Da waren die nachfolgend präsentierten Bilder von Proxima Centauri selbst doch deutlich beeindruckender. Wir bestaunten Aufnahmen eines hellrot glühenden Balls, wie sie noch kein Mensch zu Gesicht bekommen hat. Bei dieser Gelegenheit klärte uns Paladin darüber auf, dass die gravitative Bindung Proxima Centauris an Alpha Centauri A und B vor fünfzehn Jahren verifiziert wurde, so das Proxima Centauri zu recht auch Alpha Centauri C genannt werden darf (Alpha Centauri A und B lassen sich übrigens von unserer Position aus mit bloßem Auge unterscheiden).

      Nach dem Frühstück war für jeden von uns eine halbe Stunde ›Hamsterrad‹ angesagt, zum jetzigen Zeitpunkt nicht so sehr als Gegenmaßnahme zu den physiologischen Veränderungen durch die Schwerelosigkeit, sondern vor allem als Behandlung der Gliederschmerzen, die als Folge unserer langjährigen Kryostase zu verzeichnen sind.

      Logan, der als Erster das Training im Hamsterrad absolvierte, beabsichtigte – kaum, dass er den Physio-Raum verlassen hatte –, das AstroLab aufzusuchen. Mia wies ihn zurecht darauf hin, dass die Assimilationsphase zu diesem Zeitpunkt eine fünfstündige Ruhepause im Schlafköcher vorsieht. Logan zeigte sich ein wenig ungehalten, und ich, als Kommandant der DAEDALUS, schritt so behutsam wie möglich ein, betonte, dass unsere Arbeit erst mit dem morgigen Tag beginnen wird. Logan fügte sich schließlich, wenn auch missgestimmt. Ich schätze seinen wissenschaftlichen Eifer sehr, werde aber keinem Crew-Mitglied gestatten, wichtige Programmteile zu umgehen.

      Nach der Ruhephase verblieb ich in meinem Schlafköcher und holte mir eine Anzahl von ContempFiles auf den Kabinenmonitor. Ein seltsames Gefühl beschlich mich beim Zappen durch gut fünfunddreißig Jahre Erdgeschichte. Während wir in flüssigem Stickstoff lagen, wurden Kriege geführt, Friedenskonferenzen abgehalten, Bündnisse geschlossen, Verträge gebrochen, Erdbeben ertragen und Flüchtlingsströme aufgehalten. Es kann einem schon bedenklich zumute werden, wenn man in solch einer Raffung erlebt, wie menschliche Hoffnung doch immer wieder in Enttäuschung mündet.

      Wir besitzen insgesamt 415 ContempFiles, monatliche Nachrichtenzusammenstellungen, die den Zeitraum von Februar 2046 bis August 2081 abdecken. Es war beruhigend zu erfahren, dass bei all den Krisen die Europäische Union doch stabil ist, dass die ESA nach wie vor existiert und sogar in enger Kooperation mit Roskosmos arbeitet. Wenigstes bis vor vier Jahren, denn aktueller können die Meldungen aufgrund der riesigen Entfernung zur Erde nicht sein.

      Mission Longshot IV, Logbuch der DAEDALUS, Kommandant Joshua Feldmann, 7.12.2085 (Auszug)

      7:00 – Aufstehen, Post-Sleeping-Phase (Morgentoilette, Frühstück).

      8:45 – Planungskonferenz.

      9:15 – Jacob schickt eine Kamerasonde raus, um die mit Kevlar beschichtete Außenhülle der DAEDALUS zu inspizieren. Logan widmet sich der Untersuchung von Proxima Centauri b, dem wir uns bis auf 38 AE angenähert haben. Mia beginnt mit der Aussaat von Salat-, Radieschen-, Gurken- und Tomatensamen im GreenhouseLab; unterstützt wird sie hierbei von Zegramulrob. Ich selbst setzte die Lektüre der vergangenen fünfunddreißig Jahre Erdgeschichte fort und beginne mit der Erstellung eines Abstracts für die Crew.

      11:35 – Paladin informiert mich darüber, dass sich Harrys Zustand verschlechtert hat.

      12:00 – Lunch, Mittagspause.

      13:00 – Wiederaufnahme der Arbeit.

      18:00 – Abendessen (warm).

      19:00 – Abendkonferenz. Jacob konnte keine Beschädigungen oder sonstige Auffälligkeiten der Kevlar-Beschichtung feststellen. Logan bestätigt die bisherigen von Paladin zusammengetragenen Erkenntnisse hinsichtlich Proxima Centauri b: Bei diesem Planeten handelt es sich mit ziemlicher Gewissheit um eine kalte marsähnliche Welt.

      19:30 – Pre-Sleep-Phase. In meiner Kabine führe ich mit Paladin ein Gespräch über die unzureichende Wärmeabstrahlung der Radiatoren. Ich hänge die von ihm aufgezeichnete Unterredung als Audio-Datei an:

      (Joshua:) »Wenn du sagst, dass kein Konstruktionsmangel für das fehlende Gleichgewicht von Wärmeerzeugung und -abstrahlung verantwortlich ist, könnte es dann durch das interstellare Medium hervorgerufen worden sein?«

      (Paladin:) »Nach der uns bekannten Physik auf keinen Fall.«

      (Joshua:) »Es kann sich kein Fehler in deine