Apatheia. Guido Seifert

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Название Apatheia
Автор произведения Guido Seifert
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770776



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aufgrund der immensen Lautstärke des pfeifenden Luftstroms. Meine Aufgabe war es nun zu beobachten, ob Dr. Fournier so sehr in Panik geriet, dass sie den einzig rettenden Weg verfehlte, oder ob ihr Verstand beziehungsweise Instinkt mächtig genug sein würde, sich zum Schott zu hangeln. Eben Letzteres tat sie glücklicherweise. Ich wartete ihren ersten Schlag gegen das Schott ab, um sicher zu sein, dass sie bereit war, sich rasch durch den Spalt zu ziehen, den ich öffnen würde. Im selben Augenblick kamst du hinzu. Deine Aufforderung an mich wäre also gar nicht nötig gewesen.«

      (Joshua:) »Ich verstehe.«

      12:20 – Durch die Sichtluken der Backbordseite sind auch jetzt noch Flocken gefrorenen Sauerstoffs auszumachen. Sie wirken wie Schnee im Weltall.

      Persönliches Tagebuch von Joshua Feldmann, Kommandant der DAEDALUS, 10.12.2085

      Mia geht es wieder gut. Sie ist wirklich eine zähe Frau; ich bin froh, dass sie Mitglied unserer Crew ist. Das GreenhouseLab ist dagegen verwüstet und augenblicklich noch dekomprimiert. Paladin teilte mir mit, dass es vor etlichen Jahren, während die Crew im Kälteschlaf lag, zu zwei Unfällen ähnlicher Art gekommen ist, und zwar als die DAEDALUS die Oortsche Wolke des Alpha-Centauri-Systems durchflog. Paladin konnte die Schäden mithilfe von Robotern einigermaßen beheben. Eben das versuchen Jacob und Mia augenblicklich – sie steuern einen Crawler über die Außenhülle, um das Leck in Augenschein zu nehmen und nach Möglichkeit zu reparieren.

      Die DAEDALUS führt einen ausreichenden Vorrat an Lebensmittelkonzentraten und Vitaminen mit sich, so dass die Produktion von Salat und Gemüse nicht zwingend erforderlich ist. Wenn ich aber bedenke, dass wir noch sechs Jahre unterwegs sein werden, ehe wir Alpha Centauri erreichen, so bin ich dankbar für jedes grüne Blättchen. Frische Lebensmittel heben die Stimmung, das ist bekannt.

      Heute ist die erste Nachrichtenmeldung von der Erde seit Beendigung unserer Kryostase eingetroffen, nämlich das ContempFile Nr. 416, das die wichtigsten zeitgeschichtlichen Ereignisse vom September 2081 für uns bereithält. Ich habe die Nachrichten zwar nur überflogen, konnte aber bereits mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen, dass ESA und Roskosmos ihre Zusammenarbeit noch weiter verstärken wollen. Zurzeit mache ich mir Gedanken über unsere erste persönliche Rückmeldung an die Erde (automatische Status-Reports werden dagegen permanent von Paladin rausgefunkt). Neben einem schriftlichen Bericht erwäge ich ein kurzes Video abzuschicken, das ich vielleicht von Zeg aufnehmen lassen werde, damit wir auch einmal alle zugleich im Bild sind. Im Übrigen warten wir noch auf ein personenbezogenes File, das uns Aufschluss über das Schicksal unserer Familienangehörigen gibt. Ich möchte schon gerne das Todesdatum meiner Eltern wissen, während Mia beispielsweise, deren Eltern noch leben dürften, erfahren möchte, was aus ihrem Neffen geworden ist, der heute zweiundvierzig Jahre alt und damit, physiologisch betrachtet, fünfzehn Jahre älter als seine Tante ist.

      Die Raumtemperatur ist auf siebenundzwanzig Grad gestiegen. Ich werde Paladin den Reaktor wohl doch abschalten lassen müssen.

      Mission Longshot IV, Logbuch der DAEDALUS, Kommandant Joshua Feldmann, 11.12.2085 (Auszug)

      9:56 – M.Sc. Harry Cavanaugh verstirbt an den Folgen seiner fehlerhaft verlaufenen De-Kryostasierung. Die Crew trauert um ihren Kameraden, mit dem sie sich zwei Jahre lang auf die Mission Longshot IV vorbereitete.

      16:45 – Die jüngsten Teleskopaufnahmen von Proxima Centauri b zeigen uns einen von Kratern übersäten lebensfeindlichen Planeten. Wir befinden uns noch sieben AE von ihm entfernt und werden morgen in einem Abstand von vier Millionen Kilometern an ihm vorbeifliegen.

      Persönliches Tagebuch von Joshua Feldmann, Kommandant der DAEDALUS, 11.12.2085

      Obwohl der Tod von Harry uns alle bewegt, ist es doch Mia, die mir völlig niedergeschlagen vorkommt. Ich habe ihr angeboten, sich für heute freizunehmen, aber sie hat nur schwach den Kopf geschüttelt. Einige Stunden später suchte ich sie an ihrer Arbeitsstation auf (der Monitor zeigte einen WeldingRob, der mit Schweißarbeiten am Leck des GreenhousLabs beschäftigt war). Das von uns geführte Gespräch wurde routinemäßig von Paladin aufgezeichnet; ich hänge die Audiodatei an diesen Tagebucheintrag an:

      (Joshua:) »Wie gehen die Arbeiten voran?«

      (Mia:) »Gut.«

      (Drei Sekunden Pause.)

      (Joshua:) »Wir alle vermissen Harry sehr.«

      (Mia:) »Ja.«

      (Fünf Sekunden Pause.)

      (Mia:) »Weißt du noch, Josh, der abendliche Ausflug zum Plage de Montabo?«

      (Joshua:) »Ich bin mir nicht sicher, Mia.«

      (Mia:) »Das kannst du doch nicht vergessen haben, Josh. Es war ein harter Trainingstag im Virtual-Reality-Lab in Cayenne. Du und Harry, ihr habt einen Außeneinsatz an der Aufhängung der Beryllium-Platte simuliert, weil die SimRobs da nicht richtig hinkamen.«

      (Joshua:) »Daran erinnere ich mich. Klar und deutlich sogar.«

      (Mia:) »Und nach dem Training sind wir dann alle zusammen zum Plage de Montabo gefahren.«

      (Joshua:) »Richtig. Ein herrlicher Abend.«

      (Mia:) »Harry blickte hinaus auf den Atlantik und meinte, so, wie er sich jetzt fühle, müssten sich die alten Entdecker gefühlt haben, wenn sie am Meeresstrand standen und sich fragten, was da hinter dem Horizont ist.«

      (Joshua:) »Stimmt, Mia. Ich entsinne mich.«

      (Fünf Sekunden Pause.)

      (Mia:) »Er ist nie hinter den Horizont gelangt. Armer Harry.«

      Mission Longshot IV, Logbuch der DAEDALUS, Kommandant Joshua Feldmann, 12.12.2085 (Auszug)

      10:00 – Ich halte eine kurze Trauerrede für Harry. Anschließend übergeben wir seinen Leichnam der Unendlichkeit des Weltalls.

      11:43 – Paladin informiert mich darüber, dass die technischen Ungereimtheiten hinsichtlich unseres Fission-Fragment-Triebwerks seit drei Minuten nicht mehr existieren. Er benutzt die Worte ›wie von Zauberhand‹, um das Unerklärliche zu beschreiben. Sämtliche Parameter befänden sich im erwartbaren Bereich. Die Ausstoßgeschwindigkeit des Triebwerkstrahls belaufe sich auf 10.118.750 Meter pro Sekunde. Sollte sich der jetzige Zustand als stabil erweisen, steht dem planmäßigen Ablauf der Mission Longshot IV nichts mehr im Wege.

      13:35 – Jacob beseitigt ein Problem mit der außen am Schiff befindlichen Hochspannungsquelle, die Wasserstoffgas in seine geladenen Bausteine zerlegt. Die kurzzeitige Schwächung unseres Plasma-Schilds ist damit behoben, und so sind wir bestens gewappnet gegen die von Paladin für die nächsten Tage angekündigten starken Flares von Proxima Centauri.

      17:45 – Die DAEDALUS passiert Proxima Centauri b in einem Abstand von vier Millionen Kilometern. Mia macht den Vorschlag, den von Paladin entdeckten Planeten im Gedenken an Harry auf den Namen ›Cavanaugh‹ zu taufen. Wir sind alle damit einverstanden.

      19:12 – Die von Paladin konstatierte Normalisierung des Triebwerks hält an, und die Raumtemperatur ist bereits um ein Grad Celsius gesunken.

      Das zweite Erwachen

      Persönliches Tagebuch von Joshua Feldmann, Kommandant der DAEDALUS, 26.12.2085

      Heute, am zweiten Weihnachtsfeiertag, sind es drei Wochen her, seit wir aus der Kryostase aufwachten. Mit jeder Stunde entfernen wir uns weiter von Proxima Centauri. Es wird noch sechs Jahre dauern, ehe wir Alpha Centauri erreichen.

      Jacob stattete Zegramulrob mit einer roten Weihnachtsmann-Mütze aus, was unsere ohnehin gute Stimmung noch weiter hob.

      Logan hat an unserem besinnlichen Zusammensein kaum teilgenommen und sich stattdessen lieber wieder in die Daten vertieft, die wir im Vorbeiflug an Cavanaugh sammeln konnten. Sie werden ihn noch auf Jahre hin beschäftigen. Mittlerweile bin ich so weit, ihn so zu nehmen, wie er nun einmal ist. Am Ende – dies gilt es ja auch zu bedenken – ist die Arbeit hier an Bord der DAEDALUS ja unsere