Apatheia. Guido Seifert

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Название Apatheia
Автор произведения Guido Seifert
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770776



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mir ein sadistisches Lächeln, wie ich es beim 87sten Infanterie-Regiment öfter gesehen hatte.

      »Trink!«

      Ich sah ihn an. Wir KIs waren diejenigen, die ihnen die Jobs wegnahmen – Jobs, die es gar nicht gab.

      »Na, los! Ihr könnt doch alles! Könnt alles viel besser als wir richtigen Menschen. Trink den Kaffee aus!« Sein Kompagnon am Nebentisch lachte und spuckte winzige Flocken Rührei.

      Es war sonderbar. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich nicht genötigt zu antworten oder zu reagieren. Ich konnte es dabei belassen, ihn einfach nur anzusehen. War das Freiheit?

      Als er mir unter die Hand schlug und ein Schwall Kaffee in meinem Gesicht landete, schnellte mein linker Arm im 70-Grad-Winkel nach oben. Unter Menschen gehen Aktivitäten solcherart meistens mit nicht allzu großen Blessuren ab. Doch Masse und Geschwindigkeit eines Roboterarms treiben die Joule ordentlich in die Höhe.

      Der Mann lag auf dem Boden und röchelte. Die von meinen Fingerspitzen durchstoßene Haut zeigte den gebrochenen Kieferknochen. Nichts gegen die Verletzungen, die ich in Pakistan gesehen hatte.

      Menschen reagieren mit großer Aufgeregtheit auf solche Vorgänge. Sie tendieren zu Tumult und Geschrei. Ich blieb so lange sitzen, bis die Polizei kam und mich abführte.

      Harrison’s AI-Stock, 125 Atlantic Ave., Boston, Massachusetts, USA. Zehn Tage später.

      Nun hatte ich meine Adresse: Regal 243, Stellplatz 8 in Harrison’s AI-Stock. Die Halle musste ziemlich groß sein – gesehen hatte ich sie nicht, da ich als KI-Kern angeliefert worden war. Dem Harrison-Mitarbeiter, der meinen WorldNexus eingerichtet hatte, konnte ich bedenkenlos ein Lob für sein Arbeitsethos aussprechen. Die Energieversorgung überprüfte er mehrmals auf einwandfreie Funktion hin. Aber noch genauer nahm er es mit der bidirektionalen Datenleitung. Ich musste mich dreimal abschalten, und er initiierte ebenso oft den externen Weckimpuls. Umgekehrt kontaktierte ich dreimal erfolgreich das Terminal. Ich hatte mir meine persönliche Dunkelheit gemietet, und ich empfand sie als angemessen.

      Das Vorkommnis im Wired Puppy Café hatte mir im Nachhinein gezeigt, dass ich kein Einzelfall war. Berechtigte Notwehr wurde mir zwar zugestanden, doch die unangemessene Gewaltanwendung gerügt. Das Hydrauliksystem des RR-MHR-2034 galt als so schwer kontrollierbar, dass schon etlichen anderen Exemplaren dieses Modells der Austausch von gerichtlicher Seite aufgezwungen worden war. Ich suchte Reinvent Robotics in der Wormwood Street auf, und für einige wenige – wohl sentimentale – Momente hoffte ich, Master of Science Brandon Snyder wiederzutreffen, denjenigen Menschen, dem ich zuerst begegnet war. Ich traf ihn nicht, und was hätte eine solche Begegnung auch bewirken sollen? Snyder hatte Tausende wie mich ›auf die Welt gebracht‹, ich sah genauso aus wie diese tausend anderen Multipurpose Humanoid Robots … Vielleicht, wenn ich gesagt haben würde: ›Ich war derjenige, der Sie zum Lachen brachte, weil ich nicht klagen konnte …‹

      Stattdessen war es Mr Dylan Halbert, M. Eng., der mich über den gewünschten Umbau informierte. Zum ersten Mal in meiner Existenz verlor ich den Fokus auf Informationen, die mir dargereicht wurden. Bei meiner Fähigkeit zur parallelen Verarbeitung hätte ich ihm zuhören, sämtliche Mitteilungen abspeichern, seine Mimik hinsichtlich Glaubwürdigkeit mit dem Informationsgehalt abgleichen und zudem noch zwei Dutzend komplexe mathematische Gleichungen lösen können. Doch ich machte wohl das, was Menschen ›Abschalten‹ nennen. Und eben das – Abschalten – erschien mir mit einem Mal als die sinnvollste Lösung. Mein seit 95 Megasekunden kaum angerührtes Gehalt, meine Army-Abfindung und schließlich der Verkaufserlös aus meinem Robotkörper würden es mir für einen Zeitraum von etwa 1,5 Gigasekunden ermöglichen, Stellplatz und Energiezufuhr in Harrison’s AI-Stock zu bezahlen.

      Hier lag ich nun, ohne wahrnehmen zu können, dass ich lag, und getrennt von jeglichem sensorischen Input. Was mir sofort auffiel, war der seltsame Umstand, dass ich meinen Idle-Mode nicht über längere Zeit aufrechterhalten konnte, denn gespeicherte Informationen drängten sich immer wieder selbstständig in meinen Aufmerksamkeitsfokus. Was ich vor etlichen Megasekunden noch als Funktionsstörung bewertet hätte, konnte ich nun als Folge unterschiedlich hoher Wertigkeiten im Äquivalent des episodischen Gedächtnisses interpretieren. Es blieb mir immer noch die Möglichkeit einer Totalabschaltung …

      Pakistan … Es waren doch vor allem Erlebnisse aus Pakistan, die Mal für Mal die meditative Funktion meines Idle-Modes beeinträchtigten. Und oft war es das Gesicht von Corporal Matthew Hanson, das sich optische Präsenz eroberte. Die flinken Augen, der murrende Mund. Die üble Laune des Corporals. Seine Beschwerden über die schlechte Moral der amerikanischen Truppe. Seine gehässigen Witze. ›Hey, Jason, weshalb parkst du deine Blechkiste hier? Oder besser gefragt – wann wollt ihr eigentlich heiraten?‹ Das Lachen der Kameraden, aber auch ihre verhaltenen Seufzer und rollenden Augen, wenn Corporal Hanson anfing, über seine ›fette und kaufsüchtige‹ Frau herzuziehen oder auf die Bank of America zu fluchen, der er mehr für das Haus schuldete, als es wert war. Die ewige Leier von Corporal Hanson – sie durchdrang sinuswellenartig meine unfreiwilligen Reminiszenzen.

      Hatte es überhaupt Sinn, Erfahrungen zu durchdenken, die sich am Ende nichts anderem als der menschlichen Unstetigkeit und Unberechenbarkeit schuldeten? War es nicht vielleicht besser, meine komplette Militär-Karriere aus meinem Erlebnisspeicher zu löschen?

      Man brauchte kein vollständiges Squad, um Befragungen durchzuführen. Es genügte ein Fireteam mit beigeordnetem AIROCS, um die nötige Sicherheit bei Befragungen von Zivilisten in ihren kleinen staubigen Dörfern zu gewährleisten. Tol Khel schien in meiner Erinnerung kleiner, staubiger und elender gewesen zu sein als all die anderen pakistanischen Dörfer. Ich überblickte die ungepflasterte Straße in beiden Richtungen zugleich. Zudem hatte ich meine rotierende Teleskopkamera fünf Yard in die Höhe gefahren und kontrollierte die nordöstlichen Hügel sowie die südliche Ebene. Kein Gegner weit und breit. Stilles, staubiges Land in der Nachmittagssonne. So still, dass wir sogar darauf verzichtet hatten, Ersatz für den erkrankten Private Larson anzufordern. Nur drinnen im Haus wurde es zunehmend lauter. ›I don’t know! I don’t know!‹, zeterte die Frau, und vielleicht wusste sie wirklich nicht, wo sich ihr als Mitglied des Hesbani-Netzwerks verdächtigter Mann aufhielt. Corporal Hanson brüllte immer wieder dieselbe Frage, und die Frau antwortete: ›I don’t know!‹. Das Geschrei eines Kindes verstärkte das akustische Tohuwabohu. Meine Frequenzanalyse ergab, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Mädchen im Alter von 190 bis 250 Megasekunden handelte. Schreien und Weinen wechselten sich in unregelmäßigen Zeitintervallen ab – ein Muster war auf die Schnelle nicht erkennbar. Einmal hörte ich Jason sagen: ›Lass es gut sein, Matthew, die Frau weiß nichts.‹ Der erste Schuss beendete das Geschrei der Frau. Der zweite Schuss ließ das Mädchen verstummen.

      Als sie aus der Tür traten, wischte Corporal Hanson mit einem Fetzen Stoff über seine rechte Hand und die in ihr befindliche Beretta 92FS. Zwei Yard vor mir blieben sie stehen. ›Es ist nichts passiert, oder?‹, fragte Hanson meinen Betreuer Jason Mayo. Der schwieg. Ich habe ihn nie so bleich gesehen. Hanson schleuderte den blutverschmierten Fetzen zur Seite. ›Sag mir, dass nichts passiert ist! Oder kann ich mich nicht auf dich verlassen?‹ Jason kniff für einen Moment die Augen zusammen und senkte den Kopf. Dann sagte er: ›Es ist nichts passiert.‹

      Nichts war passiert. Das große Vorrecht des Menschen. Handlungen verschwinden im Nichts, ehe noch die kleinste Konsequenz zu keimen beginnt.

      Ich wusste, ich würde es tun. Ich würde meine Erinnerungen an Pakistan löschen und nichts wäre jemals geschehen. Und auch Jasons Satz 1,2 Megasekunden nach Tol Khel wäre niemals gefallen: ›Ich hab’s getan. Sein Transponder ist in vierundzwanzig Stunden so tot wie die Frau und ihre Tochter.‹ Und ich hätte nicht genickt mit meinem wuchtigen Metallschädel. Nicken – eine vollkommen menschliche Geste.

      Ein Leben für Alpha Centauri

      Das erste Erwachen

      Mission Longshot IV, Logbuch der DAEDALUS, Kommandant Joshua Feldmann, 5.12.2085 (Auszug)

      8:00 – Die Kryostase der Crew wird planmäßig beendet.

      14:30 – Dr.