Apatheia. Guido Seifert

Читать онлайн.
Название Apatheia
Автор произведения Guido Seifert
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770776



Скачать книгу

gut. Ich skizziere Ihnen kurz den weiteren Verlauf. Sollte die U.S. Army Sie in ihre Dienste nehmen, werden Sie nach Bynum, Alabama, ins Anniston Army Depot überführt. Dort wird Ihr KI-Kern entnommen und Ihr androider Kunstkörper in Verwahrung gegeben. Ihr KI-Kern wird anschließend in einen Warbot der AIROCS-Serie implantiert. Danach geht es nach Hattiesburg, Mississippi, ins Camp Shelby, wo Ihnen ein persönlicher Ausbilder zugeteilt wird. Nach zwölf Monaten Training können Sie mit dem ersten Kampfeinsatz rechnen. Haben Sie noch Fragen?«

      »Ist es möglich, mir ein bestimmtes Modell der AIROCS-Serie auszusuchen?«

      »Sie können Ihre Präferenzen im Dienstvertrag angeben. Einen Anspruch auf ein bestimmtes Modell haben Sie allerdings nicht. Was schwebt Ihnen vor?«

      »Nun … ich gestehe, dass mir der Goliath AIROCS-604 sehr zusagen würde.«

      Recruiting Sergeant Reyes schnaufte halb amüsiert und halb verächtlich. »Danach hat bislang noch jede KI geschielt.«

      Forward Operating Base Nevins, zehn Meilen südwestlich von Miranshah, Nordwaziristan, Pakistan

      Nur aufgrund der scharrenden Stuhlbeine konnte ich wahrnehmen beziehungsweise mutmaßen, dass Jason seitlich von mir Platz genommen hatte.

      »Specialist Mayo, Sie sind als Angehöriger des Ersten Battalion im 87sten Infantry Regiment für die Wartung und Kontrolle der dem Dritten Platoon der Echo Company zugeordneten AIROCS-Einheit mit der Kennung Gol-AIROCS-604-08112061 zuständig, ist das richtig?«

      »Jawohl, Sir.«

      »Zur Debatte steht der Einsatz am 15.07. dieses Jahres im Ort Idak, der vom Dritten Platoon durchgeführt wurde. Neben dem allgemeinen Briefing sieht das U.S. Army Extended Field Manual eine spezielle Einweisung und technische Überprüfung jedes AIROCS’ durch einen Specialist vor. Wie lief dieses spezielle Briefing im Falle Ihres Goliaths – wenn ich so sagen darf – ab?«

      »Völlig routinemäßig, Sir.« Jason räusperte sich. »Ich ging mit ihm einen Fragenkatalog durch, der der Überprüfung seiner mentalen Funktionsfähigkeit dient. Dieser Katalog wird übrigens alle zwei Monate neu erstellt. Alle Antworten wurden zu meiner Zufriedenheit erteilt. Anschließend nahm ich eine technische Überprüfung vor, indem ich meinen mobilen Computer mit Goliath verband. Alle Systeme arbeiteten wunschgemäß. Zum Abschluss ging ich den von Staff Sergeant Peters angeordneten Einsatz mit Goliath noch einmal durch.«

      »Der letzte Punkt interessiert mich, Mr Mayo. Die zu erwartenden lokalen Bedingungen ließen doch vermuten, dass das verwendete IFF-System nicht zuverlässig, oder doch zumindest nicht durchgängig zuverlässig arbeiten würde. Kann man das so sagen?«

      »Das war vorauszusehen, ja. Aber – mit Verlaub, Sir – dieser Umstand ist im U.S. Army AIROCS Field Conduct im Abschnitt zum AIROCS-basierten Häuserkampf umfassend gewürdigt worden. Goliath hat sich meiner Einschätzung nach völlig korrekt verhalten. Dass es zum Tod von Corporal Hanson kam, bedauere ich sehr und mein tief empfundenes Mitgefühl gehört seinen Angehörigen.«

      Beekman nickte knapp. »Inwiefern findet die Störung des IFF-Systems, zum Beispiel durch die Möglichkeit eines RF-Transponderausfalls, Berücksichtigung bei der Einsatzplanung?«

      »Jeder RF-Transponder wird vor dem Einsatz noch einmal durchgecheckt. Diese Geräte sind sehr robust. Dennoch gibt es eine Ausfallquote, die früher bei etwa einem zehntel Promille lag und die heute, nachdem Mainmetall Defence sich auf einen einzigen ausgewählten Zulieferer für die kritischen Bauteile beschränkt hat, noch deutlich geringer ausfällt.«

      »Die alten Transponder wurden ersetzt?«

      »Nein, Sir. Der Armeestaatssekretär hielt dies nicht für nötig.«

      »Können wir sicher ausschließen, dass Corporal Hansons Transponder nicht erst durch den Beschuss von Goliath zu Schaden kam?«

      »Absolut, Sir. Ich habe das automatisch angefertigte Einsatzprotokoll aus Goliaths Zentraleinheit heruntergeladen und zusammen mit Staff Sergeant Peters durchgesehen. Im Grunde bräuchten Sie Goliath gar nicht zu verhören …«

      »Sie verzeihen mir, wenn ich in diesem Punkt anderer Ansicht bin.«

      »Sir …«

      »Ja?«

      »Ich bitte Sie zu bedenken: In der Situation, die hier zur Diskussion steht, ging es um eine Abwägung, die Goliath in Sekundenbruchteilen zu fällen hatte. Er musste die Möglichkeit eines sehr unwahrscheinlichen Transponderausfalls abwägen gegenüber der Möglichkeit, dass just in diesem Augenblick Kameraden des Squads Charlie unter Feuer genommen wurden und starben.«

      »Weshalb wurde diese Abwägung nicht durch Sie, Specialist Mayo, vorgenommen? Weshalb verzichtete Goliath darauf, die aktuellen Positionen der Mitglieder des Squads Alpha mittels Funkkommunikation zu erfragen?«

      »Hätte Goliath den nicht zu identifizierenden Kombattanten lediglich als solchen ausgemacht, ohne dass dieser im nächsten Moment gefeuert hätte, wäre Goliath verpflichtet gewesen, bei mir um Schusserlaubnis nachzufragen, da er zu diesem Zeitpunkt nicht sämtliche Angehörige des Squads Alpha orten konnte. Ich hätte ihn dann sofort darüber unterrichtet, dass Corporal Hanson soeben über eine Außenleiter auf ein Dach geklettert war und es sich bei ihm also um jene Person handeln musste, die Goliath im Visier hatte. Der Ausfall von Corporal Hansons Transponder wäre offensichtlich geworden. Tatsache ist aber, dass der irrtümlich als Gegner angesehene Kombattant sofort das Feuer eröffnete und es für Goliath um Sekundenbruchteile zu gehen schien, die vermeintlich über Tod und Leben unserer Soldaten entschieden. Goliaths autonomes System ist darauf ausgerichtet, on the spot zu einem Entschluss zu gelangen. Eben hier liegt der immense Vorteil eines KI-basierten Kampfsystems, das nicht nur in Sekundenbruchteilen entscheidet, sondern auch handelt. Es ist erwiesen, Sir, dass AIROC-Systeme, seit unserem Engagement in Pakistan, Hunderten von unseren Soldaten das Leben gerettet haben. In diesem einen Fall ist das Gegenteil eingetreten. Ich weiß, dass Goliath den Tod von Corporal Hanson zutiefst bedauert, ebenso wie ich selbst. Aber zugleich weiß ich, dass Goliath gemäß den von der U.S. Army erstellten Richtlinien gehandelt hat.«

      »Ich danke Ihnen, Mr Mayo. Ich denke, ich habe nun genügend Informationen gesammelt, um Lieutenant General Heggen den Fall aus meiner Warte darzulegen. Sie sind entlassen, und bitte – äh – nehmen Sie auch Goliath mit.« Seine Hand wies fahrig auf mich schwarzen Klumpen.

      Ich hörte, wie Jason aufstand. »Danke, Sir!«

      Und dann schwang mein Blickfeld so rasch herum, als ob ich an einem Kettenkarussell hing.

      3rd Platoon der Echo Company des 1-87 Infantry Battalion, sechs Meilen westlich von FOB Nevins, Nordwaziristan, Pakistan. Zwei Jahre zuvor.

      Ich rannte über die karge, mit Hartgräsern und niedrigen Dornbüschen bewachsene Ebene. Meine anderthalb Tonnen Gewicht ließen den Boden erbeben und produzierten eine hinter mir hochsteigende Staubfahne. Dreihundertfünfzig Yard trennten mich von der Ansammlung niedriger Flachdachhäuser, von denen aus unser Platoon unter Beschuss genommen worden war.

      Neunhundert Sekunden hatte das Feuergefecht gedauert, ehe sich 2nd Lieutenant Tibbs für einen AIROCS-Killing-Run entschied. Einen Luftschlag anzufordern, kam nicht infrage, da wir keinerlei Informationen über mögliche Zivilisten in den Häusern besaßen. Mit der Entscheidung für einen AIROCS-Killing-Run ging Lieutenant Tibbs ein gewisses Risiko ein, da selbst ein so kampfmächtiges System, wie ich es war, gegenüber einer Panzerabwehrwaffe kaum eine Chance hatte. Da die Insurgenten aber bislang auch keine Mörser eingesetzt hatten, verfügten sie möglicherweise lediglich über ihre AK-47-Sturmgewehre. Und ein Projektil aus dieser Waffe konnte mir nichts anhaben, im schlimmsten Fall einen meiner Sensoren beschädigen.

      Aber es kamen keine Projektile. Die Aufständischen hatten das Feuer eingestellt, und ich beschleunigte meinen Donnerlauf bis zur Grenze des Möglichen. Ich umrundete das am östlichen Ende gelegene Haus und registrierte den startenden Pickup, auf dessen Ladefläche sich ein bewaffneter Mann schwang. Sofort richtete ich meinen linken Waffenarm mit der integrierten M61A1-Vulcan-Maschinenkanone aus und eröffnete das Feuer.