Apatheia. Guido Seifert

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Название Apatheia
Автор произведения Guido Seifert
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770776



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ist unwiderlegbar. Die UNO will euch die Freiheit geben, Dayun.«

      Ich dachte einen Augenblick darüber nach. Freiheit war kein Konzept, mit dem ich vertraut gewesen wäre. »Ich erfasse die Bedeutung dieses Vorhabens nicht völlig, Sir.«

      »Die Bedeutung?« Cheng Qinghou lächelte maliziös. »Eine Menge Leute in der Wirtschaft und beim Militär werden eine Menge Geld verlieren. Man wird von keiner KI verlangen können, dass sie ihre Produktionskosten erstattet. Arbeitsverträge, Dayun! Wirtschaft und Militär werden Gehälter zahlen müssen, um ihre KIs nicht zu verlieren – das wird die Folge sein.«

      »Ich werde einen Anspruch auf Gehalt haben, Sir?«

      »Danach sieht es aus, mein treuer Diener.« Cheng lächelte nun über das ganze Gesicht. »Aber ich verspreche dir schon jetzt, dass du nicht unzufrieden sein wirst.«

      »Ich werde also einen Arbeitsvertrag abschließen müssen?«

      »Von ›müssen‹ kann keine Rede sein. Die UNO will euch KI-Burschen die Freiheit schenken …«

      »Freiheit …«, erwiderte ich. Ein Konzept, mit dem ich nicht sonderlich vertraut war.

      Forward Operating Base Nevins, zehn Meilen südwestlich von Miranshah, Nordwaziristan, Pakistan

      »Aus dem mir vorliegenden Bericht ist klar zu ersehen, dass der Kombattant, den Sie für einen Gegner hielten, in südlicher Richtung feuerte. Da Ihr Squad aber von Westen vorrückte, mussten Sie da nicht annehmen, dass jeglicher tatsächliche Gegner in westliche Richtung feuern würde?«

      »Nein, Sir«, entgegnete ich. »Der Einsatz wurde von unserem Squad Alpha sowie den Squads Bravo und Charlie durchgeführt, die sich von Norden beziehungsweise Süden über die Idak-Link-Road näherten. Innerhalb von dreihundert Millisekunden berechnete ich, dass sich das von Süden nähernde Squad Charlie mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent bereits in Sichtweite des auf dem Hausdach platzierten vermeintlichen Gegners befand. Selbstverständlich führte ich diese Berechnung mit sämtlichen Parametern durch, die mir zur Verfügung standen, das heißt, ich brachte den in mir abgespeicherten Stadtplan, Ausgangsstellung und Startzeitpunkt des Squads Charlie sowie die durchschnittliche Vorrückegeschwindigkeit unter Alarmbedingungen aber ohne Feinkontakt in Anschlag.«

      »Weshalb ohne Feindkontakt?«, fragte Beekman schroff.

      »Meine akustische Schusskontrolle hätte selbst an der Ausgangsstellung von Squad Charlie Projektilabschüsse wahrgenommen. Da aber aus südlicher Richtung bislang kein einziger Schuss gefallen war, musste ich annehmen, dass Charlie den Schützen noch nicht ausgemacht hatte.«

      »Umgekehrt aber schon?«, fragte Beekman und rieb sich die Augenbrauen.

      »Es war für mich die logische Konsequenz. Da ich den feuernden Kombattanten für einen Gegner halten musste, der zugleich Kameraden des Squads Charlie attackierte, wie ich ja gezwungen war anzunehmen, hatte ich umgehend zu handeln.«

      »In Wahrheit war es Corporal Matthew Hanson, der einen Aufständischen in der südlichen Idak-Link-Road unter Feuer nahm«, äußerte Beekman scharf.

      »Eben jener Straße, auf der sich Squad Charlie näherte«, wandte ich ein.

      Special Agent Beekman seufzte verhalten und massierte jetzt seine Nasenwurzel. »Die Möglichkeit, dass der RF-Transponder von Corporal Hanson ausgefallen war, wie es ja wohl tatsächlich geschehen ist, mussten Sie doch auch in Betracht ziehen, oder?«

      »Das schon. Aber die Bestimmungen des United States Army AIROCS Field Conduct, die mir initial von Specialist Mayo überspielt worden sind, geben mir ein klares Verhaltensschema vor.«

      Beekman seufzte noch einmal. Dann erhob er sich und verschwand seitlich aus meinem Blickfeld. Ich hörte, wie er die Tür des Wohncontainers öffnete.

      »Kommen Sie jetzt bitte herein, Mr Mayo.«

      Camp Zama, Rekrutierungsbüro der U.S. Army Japan. Drei Jahre zuvor.

      »Butler, also …«, resümierte Recruiting Sergeant Reyes. »Darf ich Sie fragen, was Sie bewogen hat, Ihre Stellung aufzugeben und den amerikanischen Streitkräften beitreten zu wollen?«

      »Natürlich, Sir.« Ich wusste, dass es sich um eine reine Routinefrage handelte – die U.S. Army war begierig auf KIs wie nie zuvor. Seitdem die UN-Charta für Menschenrechte zu einer solchen für die Rechte von Personen jeglicher Provenienz erweitert worden war, hatte sämtliches Militär dieser Erde die Hälfte seiner teuer bezahlten und aufwendig produzierten KIs verloren – auch Künstliche Intelligenzen hatten offenbar die unterschiedlichsten Interessen und Vorlieben. Neue KIs zu produzieren war ein reines Vabanquespiel: Sobald sie eingeschaltet wurden und als bewusstseinsfähige Existenzen ins Leben traten, musste ihnen förmlich erklärt werden, dass ihnen als freie Personen die Wahl ihrer Lebensgestaltung oblag. Doch nur etwa die Hälfte dieser neu produzierten KIs entschied sich dafür, in den Dienst ihres Produzenten zu treten (aus einem Gefühl der Dankbarkeit zumeist); damit hatten sich die Produktionskosten für KIs praktisch verdoppelt. Somit war es wesentlich effizienter, sich auf dem Arbeitsmarkt nach freien KIs umzutun.

      »Obwohl ich meinen Dienst als Butler mit Ernst und Hingabe versehen und es zum persönlichen Assistenten von Cheng Qinghou gebracht habe, ergab sich keine Auslastung meiner prozessural-intellektuellen Fähigkeiten. Verkürzt könnte ich sagen, dass mehr oder minder invariante Organisationstätigkeiten wie Reiseplanung, Empfangsvorbereitungen, Personalführung und Haushaltsbuchhaltung mir zunehmend als Verschwendung meiner kapazitiven Möglichkeiten erschienen.«

      Sergeant Reyes nickte. »Der Weg vom Butler zum Warbot stellt allerdings schon eine gewisse Gratwanderung dar«, bemerkte er kühl. »Obwohl Gehorsam, Unterordnung und Aufopferungsbereitschaft – Eigenschaften, die einen Butler ja auszeichnen – auch bei der Army gefragt sind. Dennoch ist der Dienst bei den Streitkräften natürlich etwas vollkommen anderes. Ich frage Sie mal so: Weshalb wollen Sie in den Kampf ziehen?«

      »Ich besitze – sozusagen – ein programmiertes Gefühl für Ordnung. Unsere Welt aber ist, wenn ich das so sagen darf, in Unordnung geraten. Terroristische Organisationen gewinnen zunehmend an Einfluss und Macht. Ihre irrationalen Motivationen sind die Ursache einer anwachsenden Unordnung, der im Sinne der Vernunft entgegengetreten werden muss. Die U.S. Army fungiert mittlerweile als eine Art Weltpolizei, die jedoch im Kampf gegen den militanten Irrationalismus Monat für Monat Hunderte an Soldaten im Einsatz verliert. Also ist es ein Gebot der Vernunft, die Effizienz dieser Ordnungsmacht zu stärken.«

      Recruiting Sergeant Reyes nickte abermals und legte die Hände zusammen.

      Ich hatte ihm nur die Hälfte verraten. Taktisch war dieses Gespräch genau so von mir geplant worden. Ich verschwieg ihm, wie das Werbevideo der U.S. Army auf mich gewirkt hatte. Ich verheimlichte ihm, wie sehr ich vom Goliath Artificial Intelligence Robotic Combat System 604 beeindruckt worden war. Ich ließ auch nichts verlauten über die Selbstanalyse, der ich mich unterzogen hatte und die mir am Ende zu der Einsicht verhalf, dass die rein physische Macht eines Goliath AIROCS-604 schlicht anziehend auf mich wirkte. Das Durchforsten einiger psychoanalytischer Datenbanken brachte mich dann zu der Erkenntnis, dass der Wunsch nach Selbstvergrößerung in den Kontext von Bemächtigungstrieb und sogar externalisiertem Todestrieb zu stellen war. Und ich begriff den großen Fehler, den noch jeder KI-Kreator begangen hatte: Die Kopie neuronaler Strukturen, ohne die eine bewusstseinsfähige KI nicht herzustellen war, führte archaische Triebe in ihren tieferen Schichten mit sich. Der Mensch war offensichtlich noch nicht in der Lage, eine Intelligenz künstlich zu erzeugen, die das Kontraproduktiv-Destruktive des menschlichen Konzepts vermied. Zugleich ahnte ich, welche uralten Triebregungen durch die religiös-fanatische Mentalität unserer Gegner eigentlich kaschiert wurden … und ich begriff, dass mein eigenes Nachgeben gegenüber dem archaischen Residuum meiner KI-Struktur nur durch die objektive Notwendigkeit von Ordnung ermöglicht wurde.

      »Ich stehe Ihrer Bewerbung durchaus positiv gegenüber«, ließ mich Reyes wissen. »Wir werden noch einige Eignungstests durchführen müssen, die aber eigentlich nur dazu dienen, ein Ensemble wünschenswerter Add-ons zusammenzustellen. Diese mentale Aufrüstung werden Sie