Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
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Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
„An Doris.
Laß mich, o Doris, dem Gefühle
Und dir, ein Opfer weihn.
Die Muse dieser Kinderspiele
Muß eine Mutter seyn.
Sey stolz auf dieses Titels Ehre,
Den selbst der Wilde schätzt,
Und der noch mehr als wälsche Chöre
Des Weisen Ohr ergötzt.
Kein Reiz kann dein Geschlechte krönen,
Den er nicht noch erhöht;
Er mischt den sanften Blick der Schönen
Mit edler Majestät.
Ein Kind erregt in zarten Seelen
Der Menschheit reinste Lust,
Und schmückt, noch schöner als Juwelen,
Der Mutter weise Brust.
Wie manche Dame wird hier lachen!
Auch du, Geliebte? … nein;
Die Mutter der erlauchten Gracchen
Wird stets dein Muster seyn.
Einst gab ein fremdes Frauenzimmer
Ihr einen Staatsbesuch;
Ihr ganzer Leib war lauter Schimmer,
Und lauter Wohlgeruch.
Die Nymphe schwatzt von Putz und Kleide,
So pflegt es noch zu gehn;
Und endlich wünscht sie das Geschmeide
Der Römerinn zu sehn.
Cornelia ruft ihren Söhnen,
Und als sie sich genaht,
So sprach sie zu der eitlen Schönen:
Hier, dieses ist mein Staat!“31
Mit der angesprochenen Doris ist nicht eine konkrete historische Person adressiert, sondern die mythologische und mythopoetische Figur der Doris wird bei PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad als Repräsentantin von musterhafter Mütterlichkeit angerufen. Nach HesiodsHesiod TheogonieTheogonie ist diese „schönhaarige Doris“ (V. 241), die auch die Mutter von Doris, der „Geberin“ (V. 250), ist,32 in der griechischen Mythologie eine Okeanide (das ist eine Süßwassernymphe), Tochter des Okeanos und der Tethys. Sie ist mit Nereus verheiratet und hat 50 Kinder, die sogenannten Nereiden. Der Name Doris wird darüber hinaus auch als MetonymieMetonymie für das Meer in der Mythologie gebraucht.33 GoetheGoethe, Johann Wolfgang lässt noch in Faust IIFaust II im zweiten Akt der Klassischen Walpurgisnacht, Felsbuchten des ägäischen Meers den Nereus (V. 8346ff.), die Nereiden (V. 8043ff.) und die auf Delphinen reitenden Doriden (V. 8391ff.) auftreten, deren Vater Nereus sie „die Grazien des Meeres“ (V. 8135) nennt. Diese antworten:
„Knaben sinds die wir gerettet,
Aus der Brandung grimmem Zahn,
Sie, auf Schilf und Moos gebettet,
Aufgewärmt zum Licht heran,
Die es nun mit heißen Küssen
Treulich uns verdanken müssen;
Schau die Holden günstig an!“ (V. 8395ff.)
„Lobst du Vater unser Walten,
Gönnst uns wohl erworbene Lust,
Laß uns fest, unsterblich halten
Sie an ewiger Jugendbrust.“ (V. 8404ff.)
Zwar spricht der Verfasser PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad seine Doris mit den Worten „Auch du, Geliebte? …“34 an, doch ist das wohl eher poetische Fiktion als Ausdruck eines historischen Bezugs. Ist WagnersWagner, Heinrich Leopold Dorilis aus der KinderpastoraleKinderpastorale also möglicherweise eine Anspielung auf diese, nämlich Pfeffels Doris? Wenn in Pfeffels Gedicht der Name Cornelia angeführt wird, so öffnet dies folgenden historischen Bezug. CorneliaCornelia Africana Major (ca. 190 – ca. 100 v. Chr.) war die Tochter von Scipio Africanus maiorScipio Africanus maior und Aemilia TertiaAemilia Tertia. Die Römer verehrten sie als Inbegriff einer Matrona. Sie gilt als „Archetyp der röm.[ischen] Mutter“35 und war mit Tiberius Sempronius GracchusTiberius Sempronius Gracchus, der zwischen 177 und 163 v. Chr. römischer Konsul war und 154 v. Chr. starb, verheiratet. Aus der Ehe gingen zwölf Kinder hervor, von denen eine Tochter und zwei Söhne überlebten; die Söhne und späteren Volkstribunen Tiberius und GaiusGaius engagierten sich in Rom politisch und sind als die Gracchen bekannt. TacitusTacitus führt Cornelia in seinem Dialog über die RednerDialog über die Redner Cornelia als leuchtendes Beispiel an für den Inbegriff einer römischen Mutter, zugleich dient ihm das Beispiel CorneliaCornelia Africana Major auch zur Charakterisierung der in Erziehungsfragen besseren früheren Zeit. Zu den Merkmalen dieser GeschlechterstereotypieGeschlechterstereotype gehören unter anderem die persönliche Erziehung der Söhne durch die Mutter, das eigene Säugen, das nicht an eine Amme delegiert wird, und gewissenhafte Wahrung häuslicher Aufgaben. TacitusTacitus bilanziert diese ältere Art der Erziehung mit dem Hinweis, Cornelia und anderen beispielhaften römischen Müttern sei es auf diese Weise gelungen, dass sie die Erziehung „kontrollierten“ („praefuisse educationibus“), Cornelia habe so ihre beiden Söhne „zu führenden Politikern“ herangebildet; TacitusTacitus hebt die „strenge Disziplin“ hervor und die Ausrichtung der mütterlichen Erziehung an den „edlen Künsten“ wie Kriegsdienst, das Studium des römischen Rechts und die rhetorische Schulung, an deren Ende die umfassende Aneignung dieser Disziplinen stand.36 Der Vorbildcharakter wurde darüber hinaus auch in ihrem Umgang mit dem Verlust ihrer Kinder als Mater dolorosa gesehen und ihre Stärke als exemplum,