Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

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Название Buchstäblichkeit und symbolische Deutung
Автор произведения Matthias Luserke-Jaqui
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772002151



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Glückseligkeit sey gezeiget in den Begebenheiten verschiedener FreundeBeyspiele daß Tugend und Rechtschaffenheit das sicherste Mittel zur menschlichen Glückseligkeit sey (Frankfurt, Leipzig 1772) gehören in die Reihe dieser didaktisch-literarischen Texte. Auch in manchen zeitgenössischen Dramen taucht im Titel der Begriff der Rechtschaffenheit in Verbindung mit TugendTugend auf, und 1795 erscheint in Wien anonym ein Manifest einer nicht geheimen, sondern sehr öffentlichen Verbindung ächter Freunde der Wahrheit, Rechtschaffenheit und bürgerlichen Ordnung, an ihre ZeitgenossenManifest einer nicht geheimen, sondern sehr öffentlichen Verbindung ächter Freunde. Dem Begriff der Rechtschaffenheit gelingt seit der ReformationReformation in der frühbürgerlichen und bürgerlichen Gesellschaftbürgerliche Gesellschaft eine unvergleichliche begriffsgeschichtliche Karriere, dessen sozio- und psychohistorische InskripturenInskriptur und Kongruenzen von religiöser Pflicht, gesellschaftlicher Erwartung und juristischem Selbstbild noch längst nicht ausgeleuchtet sind. Möglicherweise hat sich WagnerWagner, Heinrich Leopold von den Dramatischen KinderspielenDramatische Kinderspiele anregen lassen, die sind zwar anonym erschienen, aber schon in einer der ersten Rezensionen von 1769 wurde der aus Colmar stammende Schriftsteller und Pädagoge Gottlieb Konrad PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad (1736–1809) als Verfasser vermutet. Pfeffel hatte 1760 in Colmar eine Lesegesellschaftliteraturhistorischkulturhistorisch25 gegründet, die bis 1820 bestand, und 1773 eine École militaire, ebenfalls in Colmar, für die Söhne lutherischer oder reformierter Aristokraten.26 In der ‚Deutschen Gesellschaft‘ in Straßburg, die bis zu seiner Abreise im März 1776 von LenzLenz, Jakob Michael Reinhold geleitet wurde, las auch WagnerWagner, Heinrich Leopold seine KindermörderinDie Kindermörderin vor.27 Auf den Unterschied zwischen den Kinderschauspielen nach 1765 und dem aufgeklärtenAufklärung Schuldrama, die sich in Adressaten, Aufführungsort, GeschlechterdistinktionGeschlechterdistinktion und didaktischer Intention unterscheiden, wurde aus theatergeschichtlicherTheatergeschichte Perspektive aufmerksam gemacht.28 Die Dramatischen KinderspieleDramatische Kinderspielemüssen als ein typisches Zeitdokument in diesem Kontext der Kinderdramen der AufklärungAufklärung gesehen werden.29 An den Anfang seiner Dramatischen Kinderspiele, die von Arnaud BerquinBerquin, Arnaud (1749–1791) im selben Jahr auch ins Französische übersetzt wurden,30 setzt PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad folgendes Widmungsgedicht:

      „An Doris.

      Laß mich, o Doris, dem Gefühle

      Und dir, ein Opfer weihn.

      Die Muse dieser Kinderspiele

      Muß eine Mutter seyn.

      Sey stolz auf dieses Titels Ehre,

      Den selbst der Wilde schätzt,

      Und der noch mehr als wälsche Chöre

      Des Weisen Ohr ergötzt.

      Kein Reiz kann dein Geschlechte krönen,

      Den er nicht noch erhöht;

      Er mischt den sanften Blick der Schönen

      Mit edler Majestät.

      Ein Kind erregt in zarten Seelen

      Der Menschheit reinste Lust,

      Und schmückt, noch schöner als Juwelen,

      Der Mutter weise Brust.

      Wie manche Dame wird hier lachen!

      Auch du, Geliebte? … nein;

      Die Mutter der erlauchten Gracchen

      Wird stets dein Muster seyn.

      Einst gab ein fremdes Frauenzimmer

      Ihr einen Staatsbesuch;

      Ihr ganzer Leib war lauter Schimmer,

      Und lauter Wohlgeruch.

      Die Nymphe schwatzt von Putz und Kleide,

      So pflegt es noch zu gehn;

      Und endlich wünscht sie das Geschmeide

      Der Römerinn zu sehn.

      Cornelia ruft ihren Söhnen,

      Und als sie sich genaht,

      So sprach sie zu der eitlen Schönen:

      Hier, dieses ist mein Staat!“31

      Mit der angesprochenen Doris ist nicht eine konkrete historische Person adressiert, sondern die mythologische und mythopoetische Figur der Doris wird bei PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad als Repräsentantin von musterhafter Mütterlichkeit angerufen. Nach HesiodsHesiod TheogonieTheogonie ist diese „schönhaarige Doris“ (V. 241), die auch die Mutter von Doris, der „Geberin“ (V. 250), ist,32 in der griechischen Mythologie eine Okeanide (das ist eine Süßwassernymphe), Tochter des Okeanos und der Tethys. Sie ist mit Nereus verheiratet und hat 50 Kinder, die sogenannten Nereiden. Der Name Doris wird darüber hinaus auch als MetonymieMetonymie für das Meer in der Mythologie gebraucht.33 GoetheGoethe, Johann Wolfgang lässt noch in Faust IIFaust II im zweiten Akt der Klassischen Walpurgisnacht, Felsbuchten des ägäischen Meers den Nereus (V. 8346ff.), die Nereiden (V. 8043ff.) und die auf Delphinen reitenden Doriden (V. 8391ff.) auftreten, deren Vater Nereus sie „die Grazien des Meeres“ (V. 8135) nennt. Diese antworten:

      „Knaben sinds die wir gerettet,

      Aus der Brandung grimmem Zahn,

      Sie, auf Schilf und Moos gebettet,

      Aufgewärmt zum Licht heran,

      Die es nun mit heißen Küssen

      Treulich uns verdanken müssen;

      Schau die Holden günstig an!“ (V. 8395ff.)

      „Lobst du Vater unser Walten,

      Gönnst uns wohl erworbene Lust,

      Laß uns fest, unsterblich halten

      Sie an ewiger Jugendbrust.“ (V. 8404ff.)

      Zwar spricht der Verfasser PfeffelPfeffel, Gottlieb Konrad seine Doris mit den Worten „Auch du, Geliebte? …“34 an, doch ist das wohl eher poetische Fiktion als Ausdruck eines historischen Bezugs. Ist WagnersWagner, Heinrich Leopold Dorilis aus der KinderpastoraleKinderpastorale also möglicherweise eine Anspielung auf diese, nämlich Pfeffels Doris? Wenn in Pfeffels Gedicht der Name Cornelia angeführt wird, so öffnet dies folgenden historischen Bezug. CorneliaCornelia Africana Major (ca. 190 – ca. 100 v. Chr.) war die Tochter von Scipio Africanus maiorScipio Africanus maior und Aemilia TertiaAemilia Tertia. Die Römer verehrten sie als Inbegriff einer Matrona. Sie gilt als „Archetyp der röm.[ischen] Mutter“35 und war mit Tiberius Sempronius GracchusTiberius Sempronius Gracchus, der zwischen 177 und 163 v. Chr. römischer Konsul war und 154 v. Chr. starb, verheiratet. Aus der Ehe gingen zwölf Kinder hervor, von denen eine Tochter und zwei Söhne überlebten; die Söhne und späteren Volkstribunen Tiberius und GaiusGaius engagierten sich in Rom politisch und sind als die Gracchen bekannt. TacitusTacitus führt Cornelia in seinem Dialog über die RednerDialog über die Redner Cornelia als leuchtendes Beispiel an für den Inbegriff einer römischen Mutter, zugleich dient ihm das Beispiel CorneliaCornelia Africana Major auch zur Charakterisierung der in Erziehungsfragen besseren früheren Zeit. Zu den Merkmalen dieser GeschlechterstereotypieGeschlechterstereotype gehören unter anderem die persönliche Erziehung der Söhne durch die Mutter, das eigene Säugen, das nicht an eine Amme delegiert wird, und gewissenhafte Wahrung häuslicher Aufgaben. TacitusTacitus bilanziert diese ältere Art der Erziehung mit dem Hinweis, Cornelia und anderen beispielhaften römischen Müttern sei es auf diese Weise gelungen, dass sie die Erziehung „kontrollierten“ („praefuisse educationibus“), Cornelia habe so ihre beiden Söhne „zu führenden Politikern“ herangebildet; TacitusTacitus hebt die „strenge Disziplin“ hervor und die Ausrichtung der mütterlichen Erziehung an den „edlen Künsten“ wie Kriegsdienst, das Studium des römischen Rechts und die rhetorische Schulung, an deren Ende die umfassende Aneignung dieser Disziplinen stand.36 Der Vorbildcharakter wurde darüber hinaus auch in ihrem Umgang mit dem Verlust ihrer Kinder als Mater dolorosa gesehen und ihre Stärke als exemplum,