Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

Читать онлайн.
Название Buchstäblichkeit und symbolische Deutung
Автор произведения Matthias Luserke-Jaqui
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772002151



Скачать книгу

Versen des Essay on ManEssay on Man geschrieben hatte, wird die Prosafassung veröffentlicht, die nur noch wenige englische Verse, mutmaßlich aus der älteren Fassung Schlossers, enthält.

      Der Anti-PopeAnti-Pope ist in zwei Teile untergliedert. Die Briefe eins bis vier umfassen den eigentlichen Anti-Pope, Brief Nummer fünf ist eine Prosaübersetzung von Popes Essay on Man.19 Neben dem Vorleser LenzLenz, Jakob Michael Reinhold und dem Verfasser Schlosser gibt es noch einen Herausgeber, der ein sechsseitiges Vorwort schreibt. Versucht man die Filiationen exakt zu differenzieren, stellt sich die Frage, ob der Verfasser mit dem Herausgeber und der Herausgeber mit dem Vorleser identisch ist, oder ob der Anti-Pope womöglich zwei Verfasser hat. Die oben zitierte Protokollnotiz der Deutschen Gesellschaft ist doppeldeutig, sie sagt einmal aus: Das ursprünglich englisch geschriebene Gedicht Schlossers wurde von Lenz ins Deutsche übersetzt und seine Übersetzung las er selbst vor. Oder sie sagt zum anderen aus, das ursprünglich geschriebene Gedicht Schlossers wurde von diesem selbst auch ins Deutsche übersetzt, und Lenz las die schlossersche Übersetzung vor. Und schließlich bleibt unklar, ob demnach die Formulierung „bis auf den 1ten Brief“ bedeutet: mit Ausnahme des ersten Briefs, oder: bis zum Ende des ersten Briefs. Natürlich kann man nicht vollständig ausschließen, dass sich Schlosser auf ein Spiel mit dem Publikum einlässt, wonach er gleichermaßen die Rollen des Autors, des Übersetzers und des Herausgebers besetzen würde. Doch ausgeschlossen ist auch nicht, dass Lenz selbst die Vorrede in der Rolle des Herausgebers geschrieben oder sogar an der Übersetzung mitgewirkt hat. Die beiden Asterisken, welche die Anonymisierung des Wohnortes des Herausgebers am Ende der Vorrede symbolisieren, könnten – dies ist freilich spekulativ und hat keinerlei Indiziencharakter – eher auf einen zweisilbigen Ort hinweisen. Dies würde den Gepflogenheiten anonymisierter Ortsangaben im 18. Jahrhundert durchaus entsprechen, wonach die Anzahl der Asterisken auch die Anzahl der Silben des Ortsnamens repräsentieren kann. In Frage käme demnach nicht Emmendingen, sondern Straßburg. Da der Text des Anti-PopeAnti-Pope als insgesamt kaum bekannt vorausgesetzt werden muss, soll an dieser Stelle der Wortlaut der Vorrede vollständig wiedergegeben werden:

      „Das Gedicht, welches hier unter dem Titel Anti-Pope erscheint, ist von einem Deutschen unter Umständen, die das Publikum wenig bekümmern werden, bis auf den fünften Brief englisch verfaßt, und vom Verfasser selbst übersetzt worden. Der fünfte Brief ward über zehn Jahre nachher von dem nehmlichen Verfasser, aber, weil er vielleicht weder Lust noch Zeit hatte, mehr englische Verse zu machen, deutsch nur entworfen, und nicht völlig ausgearbeitet.

      Man thut dem Verfasser einen üblen Dienst, daß man eine, auch von ihm aufgesetzte Uebersetzung des Popischen Versuchs über den Menschen an die Seite setzt. Allein, der verschiedne Gesichtspunct, in welchem beyde die Lehre von der besten Welt ansehen, erforderte eine so verschiedene Ausführung, daß keine Vergleichung zwischen beyden angestellt werden darf. Der Verfasser des Anti-Pope wird auch selbst auf Pope’s Genie keinen Anspruch machen, sondern zufrieden seyn, wenn er nur einen der ächten Dichter unsrer Nation etwa reizen sollte, diesen Gegenstand, den PopePope, Alexander blos für die Metaphysiker bearbeitet hat, für das Herz zu bearbeiten. – Wir glauben, daß, wenn dieses einmal geschieht, der Glückliche den Pope, der Unglückliche einen solchen Anti-Pope immer lesen wird, so lang’ es Menschen giebt, die über ihr Schicksal zu räsonniren der Mühe werth achten. Für die übrigen hat Voltäre gesorgt.

      Wir haben den Verfasser ersucht, manche übertriebene Stelle zu mildern, und manches, was blos ihn und seine Umstände betrifft, entweder wegzulassen, oder zu verkürzen. Aber das war seine Antwort:

      ‚Ich werde an dem Gedicht nichts ändern. Wollte ichs so einrichten, wie ich itzt denke, so muste ichs ganz umschmelzen. Vor zehn Jahren floß es ganz aus meinem Herzen; nun würde es mehr aus meinem Kopfe fließen. Nimmt das Publikum keinen Antheil daran, so wie es ist; so werde es vergessen mit andern: an dem, was ich itzt daraus machen würde, könnte es gewis keinen nehmen. Was Sie Uebertreibungen nennen, weis ich nicht. Ich glaube, wenn man alles auf alle zieht, so wird allerdings manches übertrieben scheinen und seyn; aber jedes einzelne Bild wird in der Natur sein Original finden: und jeder kann fürchten dieses Original zu werden‘.

      Wir wusten hierauf nichts zu antworten!

      Im Anti-Pope haben wir diejenige Stellen, die dem Uebersetzer im Deutschen nicht genug ausgedrückt schienen, aus dem englischen Original, welches noch nie gedruckt worden, beygesetzt. Im Popischen Versuch war das nicht nöthig, weil der in aller Händen ist.

      Wir hoffen auch Verzeihung zu erhalten, oder vielleicht von Manchen Dank, daß wir von diesem Popischen Versuch eine neue Uebersetzung bekannt machen. Die schon bekannten poetischen sind alle unerträglich, und die prosaische in den sämmtlichen Popischen Werken ist nicht überall richtig; aber sie schien überall frostig. Ob der neue Uebersetzer dem Engländer weniger Unrecht gethan hat, lassen wir den Leser entscheiden! – Warburtons Commentar hat der Uebersetzer nicht im Deutschen anfügen wollen; es schien ihm ungeschickt, dem denkenden Leser vorzugreifen, und die so rund, so stark, so gedrungen ausgedrückte Gedanken des Dichters, in der Ueberschwemmung der Worte des immer kalten, oft schiefen Commentators zu ersäufen.

      ** im März 1776.

      Der Herausgeber.“20

      Ist SchlossersSchlosser, Johann Georg Anti-PopeAnti-Pope tatsächlich „eine der merkwürdigsten Schriften in der deutschen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts“21, wie im Vorwort zum Reprint von Schlossers Kleinen SchriftenKleine Schriften (Schlosser) 1972 geurteilt wurde? Wilhelm Kühlmann untersuchte Schlossers Protesthaltung gegenüber der orthodoxen AufklärungAufklärung und seine Sympathien für die jungen Sturm-und-Drang-LiteratenSturm und Drang. Er kommt zu dem Schluss, der Anti-Pope könne als ein Dokument der Dialektik der Aufklärung verstanden werden und sei das bedeutendste Zeugnis des Bruchs mit der Vätergeneration der Aufklärer.22 Zwischen diesen Labels merkwürdig und bedeutend wird der tatsächliche Wert dieser Schrift zu finden sein, und es bleibt zu hoffen, dass die Beteiligung von Jakob Michael Reinhold LenzLenz, Jakob Michael Reinhold an diesem Text oder der Herausgabe des Anti-Pope mit belastbaren Argumenten in den Horizont des Möglichen rückt.

      Heinrich Leopold WagnerWagner, Heinrich Leopold KinderpastoraleKinderpastorale (1777)

      Die Kinderpastorale von Heinrich Leopold Wagner erschien 1777 in der Straßburger Zeitschrift Der BürgerfreundDer Bürgerfreund.1 Sie wurde nur ein einziges Mal wieder gedruckt, das war im Jahr 1875 und ohne weiteren, erläuternden Kommentar.2 Die Germanistik konnte offensichtlich mit diesem Text nur wenig anfangen, auch hier stand das Votum von Erich SchmidtSchmidt, Erich der Rezeptionsgeschichte sperrig im Weg. Denn über die Kinderpastorale urteilt er: „herzlich unbedeutend und durchaus unselbständig“, das spätere „kecke Originalgenie“ Wagner sei in seiner Saarbrücker Zeit „noch sehr zahm und bescheiden“ gewesen.3 „Den Papa zu erfreuen verfasst er für die kleinen Günderrodes im Spätsommer 1773 ein mehr als harmloses ‚Kinderpastorale […]‘“4. Wagners Bekannter, der aus Straßburg stammende baden-durlacher Hofrat Friedrich Dominikus RingRing, Friedrich Dominikus, besaß ausweislich seines Bücherverzeichnisses die Kinderpastorale und außerdem eine verloren gegangene Romanze Wagners mit dem Titel Beweis dass die Kinder von je her klüger sind als die Eltern.5

      Im Februar 1773 kam Wagner aus Straßburg nach Saarbrücken und nahm die Stellung eines Hofmeisters bei der Familie von GünderrodeGünderrode, Familie von an, ein Bruder der Sesenheimer Pfarrfrau BrionBrion, Friederike hatte ihm diese Stellung vermittelt. Schon in den 1770er-Jahren wurde von einem Gymnasialrektor Kiefer zwar eine erste Lesegesellschaft in Saarbrücken gegründet, doch entsprach diese offensichtlich nicht Wagners Vorstellungen, da sie sich vermutlich vorwiegend der Lektüre von Sachbüchern widmete.6 Im Juni 1772 war sogar Friederike BrionBrion, Friederike zu Besuch bei ihrem Onkel in Saarbrücken gewesen, ob Wagner ihr begegnete ist nicht überliefert. Am 9. Oktober 1773 zog Wagner über die kulturelle Diaspora vor Ort ernüchtert Bilanz. Die Gegend, in der er jetzt lebe, sei „fast eben so barbarisch“7, wie sein liebes Vaterland, schrieb er an Heinrich Christian BoieBoie, Heinrich Christian. WagnerWagner, Heinrich Leopold verbrachte die Jahre 1773 und 1774 in Saarbrücken und avancierte zu einer Art Privatsekretär des Präsidenten von GünderrodeGünderrode, Friedrich Maximilian