Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
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Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
Das griechische Wort opsis wurde im Fragmentum SyriacumFragmentum Syriacum mit Sehen, Sehvermögen übersetzt. Abū Bišr übernimmt diese Deutung und gibt das syrische Wort für opsis mit dem arabischen Begriff naẓar wieder. Dieser Begriff hat aber in der arabischen philosophischen Terminologie auch die Bedeutung von spekulativem Denken.54 AvicennaAvicenna (Ibn Sina) und AverroesAverroes übernehmen nun in ihren Poetik-Kommentaren diese Bedeutung. Avicenna erklärt das ursprüngliche Wort für Inszenierung so: „Was den naẓar betrifft, so ist er sozusagen eine Argumentation und eine Darlegung der Richtigkeit beider, der Gewohnheit [ethos] und der Erzählung [mythos]“55. Was die Übersetzung des MimesisMimesis-Begriffs betrifft, lässt sich Folgendes sagen: Das arabische tašbīh wa-muḥākāt, die Übersetzung des syrischen meddammyānūṯā, das wiederum auf PoetikPoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) 1449 b 24 rekurriert (die Tragödie ist Mimesis von Handlung, mimesis praxeos), ist ein Hendiadyoin und wird von Heinrichs mit „Gleichmachung (oder: Vergleich) und Nachahmung (oder: Sich-angleichen)“56 wiedergegeben. Die Poetik-Kommentatoren nach Abū BišrAbū Bišr übernehmen das im Gegensatz zu tašbīh bedeutungsmäßig nicht festgelegte muḥākāt für den fremden, aristotelischen Begriff der Mimesis, wenn sie das Hendiadyoin umgehen wollen.57 Eine exakte begriffsgeschichtliche Untersuchung müsste aber diese allgemeinen Zusammenhänge an den noch erhaltenen arabischen Schriften zur Poetik weiter überprüfen, um jene von Heinrichs festgestellte fatale Übersetzung des MimesisMimesis-Begriffs zu verifizieren oder zu falsifizieren.58
Die erste noch nachweisbare Schrift zur aristotelischenAristoteles Poetik ist ein sogenanntes Kompendium, das etwa ein Jahrhundert älter ist als die erste arabische Übersetzung, und stammt aus der Feder des arabischen Philosophen al-KindīAl-Kindī (†873 n. Chr.). Diese Schrift ist nicht mehr erhalten. In einer anderen, aber überlieferten Schrift al-Kindīs, dem Sendschreiben über die Anzahl der Bücher des AristotelesSendschreiben über die Anzahl der Bücher des Aristoteles, und was man (davon) für das Studium der Philosophie benötigt, findet sich die früheste Erwähnung der Poetik in der arabischen Literatur. Dieser Text (Risāla) enthält eine Aufzählung der einzelnen Organonschriften, darunter die Poetik und RhetorikRhetorik mit Inhaltsangaben. Über die Poetik schreibt al-Kindī:
„Was sein [Aristoteles’Aristoteles] Thema in seinem achten Buch, betitelt Poietike, d.h. das auf die Dichtung bezügliche, betrifft, so ist es die Erörterung über die Kunst der Dichtung von (den Unterarten) der sprachlichen Aussage und über die Versmaße, die in einer jeden Art von Dichtung, wie der Panegyrik, den Elegien, der Satire usw., angewandt werden.“59
Datiert wird die Risāla vor 833, während das erwähnte Kompendium vor 873 entstanden ist.60 Eine weitere, allerdings eher marginale Bemerkung zur Poetik findet sich bei dem Historiker al-Ya ʿqūbīAl-Ya ʿqūbī (†897 n. Chr.), der über die Poetik schreibt: „Was sein [Aristoteles’] achtes Buch, d.i. das Poietike benannte, betrifft, so ist sein Thema darin die Erörterung über die Dichtkunst, und worüber man dichten darf [!] und welche Versmaße man verwendet, und über jede Art“61. Aus diesen Textzeugnissen kann aber nicht auf eine vor Abū BišrsAbū Bišr Übersetzung entstandene Übertragung der aristotelischenAristoteles Poetik ins Arabische geschlossen werden. Problematisch ist Heinrichs’ Versuch, Scholien als Quelle der zitierten Kurzbeschreibungen der Poetik auszuweisen.62 Wissenschaftliche Beweise für diese Hypothese gibt es nicht. Wesentlich wichtiger ist, dass auch die frühesten arabischen Zeugnisse zur Poetik in diesem Text ein logofikatorisches Instrumentarium sehen, entsprechend der alexandrinischen Tradition.
DiePoetik (Aristoteles)Poetik (Aristoteles) beiden Kommentare von al-FārābīAl-Fārābī und AvicennaAvicenna (Ibn Sina) zur Poetik spielen sowohl für die arabische als auch für die europäische Poetik-Rezeption eine nicht unbedeutende Rolle. Der Philosoph al-Fārābī (†950 n. Chr.) sieht sich selbst als Schüler der spätalexandrinischen Tradition. Einer seiner Lehrer in Bagdad war Abū BišrAbū Bišr.63 Folgende kurze Notiz zur Poetik wird als ein sehr frühes Zeugnis von ihm gedeutet:
„Die Bücher aber, welche man nach der Lehre vom Beweis lesen muß, sind die, welche zwischen dem richtigen und falschen Beweis unterscheiden. Einige dieser Beweise sind geradezu falsch, andre aber gemischt (aus falsch und wahr). Den geradezu falschen Beweis lernt man aus seinem [AristotelesAristoteles’] Werk über die Dichtkunst […] kennen.“64
Diese offensichtliche Logofizierung der Poetik, d.h. die Auslegung der Poetik als eine logische Schrift im Kontext der anderen logischen Organonschriften, wonach dem poetischen Syllogismus der geringste Wahrheitsgehalt zukommt, bleibt in der arabischen Poetik-Rezeption, folgt man den Ausführungen Heinrichs’, ein Zwischenspiel. Bereits in der nächsten Schrift al-Fārābīs deutet sich neben der Logofizierung eine andere Lesart der Poetik an. Die Abhandlung über die Gesetze der Kunst der DichterAbhandlung über die Gesetze der Kunst der Dichter „is the earliest extant Arabic work on Poetics consciously based on the teaching of Aristotle“65. Darin wird u.a. Folgendes ausgeführt: Sprachliche Äußerungen sind differenzierbar in sinnvolle, zusammengesetzte, Sätze darstellende, assertorische, falsche Äußerungen und in Kontradiktionen. Unter die falschen sprachlichen Aussagen fallen die poetischen Sätze. Der Unterschied zwischen einem Sophisten, der täuscht, und einem Dichter, der nachahmt (muḥākī), besteht darin, dass der Sophist das Gegenteil einer Sache vortäuscht (Nichtexistentes als existent und umgekehrt), während der Dichter nicht das Gegenteil, sondern nur das Ähnliche nachahmt. Al-FārābīAl-Fārābī veranschaulicht dies an einem Beispiel „provided by sensation. A person […] is standing on the ground, in springtime, and looks at the moon and stars behind fast-travelling clouds“66. Das Ergebnis