Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
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Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
Zwischenbilanz und Ausblick
Das Paradigma einer kulturwissenschaftlichen PhilologiePhilologie war zum Ende des vergangenen Jahrhunderts also nicht neu. Neu war aber der Versuch, die Germanistik neben den etablierten kulturwissenschaftlichen Theoriefeldern in Volkskunde, empirischer Kulturwissenschaft, Geschichte, Soziologie und Philosophie aufzustellen und theoriegeleitet diese Neuorientierung zu begleiten. Als 1996 der Sammelband zum Thema LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft als Kulturwissenschaft erschien, ahnte niemand, welche Dynamik dieses Paradigma in kurzer Zeit gewinnen sollte.1 Um eine Art von vorläufiger Bilanz formulieren zu können, sind die Ausführungen des Historikers Peter BurkeBurke, Peter in seinem Buch Was ist Kulturgeschichte?Was ist Kulturgeschichte? (2005) hilfreich.2 Allerdings muss man beim Rückgriff auf Burkes Ausführungen eine entscheidende Einschränkung formulieren, welche die Grenzen einer Zwischenbilanz markiert. Wenn über eine Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur, ihren wissenschaftstheoretischen Status, ihr Theorieprofil, ihre Absichten, Leistungen und Schwächen gesprochen wird, dann geschieht dies unter dem expliziten Vorbehalt, dass ein kritischer Forschungsüberblick zum Thema nach wie vor Desiderat bleibt. Eine Kulturgeschichte der deutschen Literatur gibt es noch nicht.3 Die Behauptung, „Literaturwissenschaft ist keine Kulturwissenschaft“4, war schon zum Zeitpunkt ihrer Äußerung obsolet. Die Diskussion um dieses Paradigma ist weder abgeflaut noch überflüssig. Das Buch Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie (2000) markiert zwar eine gewisse Zäsur in der Diskussion um die Sozialgeschichte.5 Ich teile allerdings nicht die Einschätzung einiger Autoren dieses Bandes, dass die SozialgeschichteSozialgeschichte der deutschen Literatur gescheitert sei. Im Gegenteil, sie findet ihre konsequente Weiterführung im Paradigma einer Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur.
Peter BurkeBurke, Peter nennt in Was ist Kulturgeschichte?Was ist Kulturgeschichte? das erste von sechs Kapiteln Die Große Tradition und führt darin die historischen Aspekte seines Themas aus. Zunächst werden die großen Traditionen der allgemeinen Kulturgeschichte referiert und die Wiederentdeckung der KulturgeschichteKulturgeschichte in den 1970er-Jahren reflektiert. Karl LamprechtLamprecht, Karl stellte im Jahr 1897 erstmals die Frage: Was ist Kulturgeschichte? Der Gegenstandsbereich wurde bis heute sukzessive erweitert, die Frage, was sich innerhalb der Grenzen befinde, bleibe schwer zu beantworten. Deshalb schlägt Burke vor, die Aufmerksamkeit vom Gegenstandsbereich weg auf die applizierten oder propagierten Forschungsmethoden zu richten.6 Als eine allgemeine, gemeinsame Grundlage aller Kulturhistoriker begreift er das Interesse am SymbolischenSymbol. Vier Phasen einer Geschichte der Kulturgeschichte werden dabei unterschieden. Die erste Phase ist die klassische Phase (das betrifft den Zeitraum von 1800 bis 1950); die zweite Phase ist die SozialgeschichteSozialgeschichte der Kunst ab 1930, die dritte Phase ist die Phase einer Geschichte der Volks- und der Populärkultur in den 1960er-Jahren; und die vierte Phase wird als Phase einer „Neuen Kulturgeschichte“7 bezeichnet. Überträgt man diese Analyse und Bewertung des historischen Verlaufs auf das Modell einer Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur, bedeutet dies Folgendes: In der kulturwissenschaftlichen Philologie war eine erste Phase geprägt von der Suche nach der Standortbestimmung mit den Leitfragen: welcher Theorietransfer zwischen Kulturwissenschaften und LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft könnte gelingen, welche Thementransformationen wären wünschenswert und welche historischen Vorbilder gibt es bereits zu diesem Neuansatz? Damit waren die Fragen verknüpft, was eine literaturwissenschaftliche KulturgeschichteKulturgeschichte ‚eigentlich‘ sei und was man sich unter einer Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft vorzustellen habe. Diese Phase begann in den 1990er-Jahren. Und obwohl sie nicht abgeschlossen ist, ist sie wissenschaftshistorisch und theoriehistorisch an einem Ruhepunkt angelangt. Man könnte diese Phase als die informative Phase in der philologischen Diskussion nennen. Besonders in der ersten Hälfte des neuen Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts machten die kulturwissenschaftlichen Fachorientierungen Diskursangebote. Besonders hervorgehoben seien die Arbeiten von Andreas Reckwitz Transformation der Kulturtheorien (2000), Stephen Greenblatt Was ist Literaturgeschichte? (2000) 8, Friedrich Kittler Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft (2000), Ute Daniel Kompendium Kulturgeschichte (2001), die Gründung der Zeitschrift KulturPoetik (2001), Mieke Bal Kulturanalyse (2002), Matthias Luserke-Jaqui Medea. Studien zur Kulturgeschichte der Literatur (2002), Ansgar und Vera Nünning (Hgg.) Konzepte der Kulturwissenschaften (2003), Markus Fauser Einführung in die Kulturwissenschaft (2003), Heinz Dieter Kittsteiner (Hg.) Was sind Kulturwissenschaften? (2004), Sigrid Weigel Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte (2004), Moritz Baßler Kulturpoetik (2005), Peter Burke Was ist Kulturgeschichte? (2005), Vera Nünning (Hg.) Kulturgeschichte der englischen Literatur (2005), Silvio Vietta Europäische Kulturgeschichte (2005), Franziska Schößler Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft (2006). Eine zweite Phase, die sich mit der ersten Phase überschneidet und die sich gewissermaßen mit der illokutionären Seite dieses Anspruchs befasst, ist nach der Orientierungsphase die transformative Phase, welche die Frage nach der Intentionalität eines kulturgeschichtlichen Paradigmas stellt und die die ersten beiden Dezennien des 21. Jahrhunderts prägt. Sie fragt: was will? und: was wird sein? und mündet in projektbezogene Arbeiten, so etwa in der Kulturgeschichte der englischen Literatur.Kulturgeschichte der Literatur9 Darin wird der Gegenwartsbezug eines Textes als Leitkriterium einer Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur benannt. Die Bedeutung der Intermedialität zwischen der LiteraturLiteratur und anderen Künsten für ein solches Projekt wird hervorgehoben, ferner das Verhältnis von Literatur und Wirtschaft, die Identitätsthematik (womit persönliche und kollektive Identität gemeint sind), die kulturspezifischen Normen und Werte und die Aufhebung der traditionellen Leitdifferenz von Hoch- und Populärkultur werden betont. Die Grundannahme einer Kulturgeschichte der Literatur sei die Extrapolierung von TextText und Kontext. Der Geschichtlichkeit und Kulturalität von Texten wird damit eine zentrale Bedeutung zugesprochen.10 Daraus ergeben sich diskursive Schnittflächen mit anderen Disziplinen, wobei ein textualistischer bzw. ein semiotischer KulturbegriffKulturbegriff unter Anlehnung an ein Drei-Welten-Modell der materialen, der sozialen und der mentalen Sphäre von Kultur favorisiert wird. Zuletzt bleibt aber der ästhetische Eigenwert von Literatur hervorgehoben.11 In den Analysen einer Kulturgeschichte der Literatur steht nach dieser Auffassung „eine Art der Bezugnahme [zwischen Text und Kontext, M.L.-J.] im Vordergrund, die in eine übergreifende Fragestellung eingebettet, in der jeweiligen Kultur verortet, methodisch fundiert und intertextuell oder intermedial orientiert ist“12. Daran ließe sich anknüpfen und im kritischen Befragen ließen sich neue oder andere Leitkriterien generieren, was eine Kulturgeschichte der Literatur will.
Das zweite Kapitel seines Buchs nennt BurkeBurke, Peter Probleme der Kulturgeschichte. Hier wird das Problem der Selektion der Quellen und der Quantifizierung diskutiert. Kommt es etwa bei größeren Datenmengen zu anderen Schlussfolgerungen? Burke widerspricht der Widerspiegelungstheorie, wonach „die Texte und Bilder einer Zeit unkritisch als Spiegelungen dieser Zeit“13 begriffen werden. Daraus folgt die Dringlichkeit und Sorgfalt der Quellenkritik und der kritischen Inhaltsanalyse. Denn was ein Dokument erzählt, muss noch lange nicht das Erzählte dokumentieren. Burke stellt die „grundlegende Frage […]: Ist es möglich, Kulturen als Ganze zu erforschen, ohne der falschen Grundannahme einer kulturellen Homogenität zu erliegen?“14 Daraus