Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
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Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
Eine Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur will an dieses zivilisationstheoretische Erbe (Norbert EliasElias, Norbert) anknüpfen, wonach KulturKultur als die Gesamtheit menschlicher Lebensäußerungen verstanden und prozessual begriffen wird, was als Ereignis kultureller Transformationsprozesse verstanden werden kann. Eine Kulturgeschichte der Literatur will demzufolge Einspruch erheben gegen die Vorstellung, ein objektivierbarer Autorwille sei Gegenstand einer Textinterpretation, statt dessen will eine Kulturgeschichte der Literatur die Frage stellen, ob Rückschlüsse aus literarischen Quellen auf nicht-literarische Kontexte und umgekehrt überzeugend sind und ob sie methodisch gesichert werden können. Hier gilt es, eine kritische Diskussion mit dem New Historicism zu führen und den textualistischen KulturbegriffKulturbegriff bis hin zu dessen kultursemiotischer Variante auf seine Brauchbarkeit hin zu befragen.18
Eine Kulturgeschichte der Literatur will Burkes Bedenken als starkes Argument gegen ein close reading, wie es in narratologischen Ansätzen expliziert wird, ernst nehmen. Eine Kulturgeschichte der Literatur untersucht die Bedingungen der RezeptionRezeption und TransformationTransformation von LiteraturLiteratur; sie will die gängigen und selbstverständlichen kulturgeschichtlichen Paradigmata von Mikrogeschichte und einer Geschichte von unten, die als das Erbe der SozialgeschichteSozialgeschichte bezeichnet werden können, bewahren und eine sich immer wieder abzeichnende Tendenz innerhalb germanistischer Arbeiten hin zum Höhenkamm kritisch befragen.
Das dritte Kapitel von BurkesBurke, Peter Buch widmet sich der Bedeutung der Historischen Anthropologie. Hier macht der Verfasser auf die Transformation des Kulturbegriffs aufmerksam und betont dessen Pluralisierung. Etwas emphatisch formuliert er: „Wir sind auf dem Weg zu einer Kulturgeschichte aller erdenklichen Gegenstände“19. Darunter rechnet er Träume und Gefühle ebenso wie Nahrungsmittel, Gesten, Reisen, Treppen etc. Dies sei die Geburtsstunde der sogenannten Neuen Kulturgeschichte, die zunächst als New Historicism aufgetreten sei.20 Beispielhaft seien nur vier monografische literaturwissenschaftliche Konkretisierungen genannt, die Kulturgeschichte der Grabschrift21, die Kulturgeschichte des Kusses22, die Europäische Kulturgeschichte23, die aber mit historisch recht großräumigen Substanzialismen arbeitet, die für eine konkrete Textarbeit nur bedingt tauglich sind und eher eine Ontologie des Historischen konstruieren helfen, und die Kleine Literaturgeschichte der großen Liebe24.
Burke spricht in seinem Buch von der „anthropologische[n] Wende“25, die sich auch in der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft vollzogen habe. Dies ist eine Redeweise, die von der Germanistik übernommen, aber in einem anderen wissenschaftshistorischen Kontext gebraucht wurde. Innerhalb der germanistischen Kulturwissenschaft wird auch von einem cultural turncultural turn gesprochen, nachdem es den linguistic turnlinguistic turn und den anthropological turnanthropological turn gegeben hatte. Eine Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur will diese Ansätze weiterentwickeln.
Das vierte Kapitel von Was ist Kulturgeschichte? heißt Ein neues Paradigma? Die Neue Kulturgeschichte habe zahlreiche „Inspirationsquellen“, sie sei „eklektischer“.26 Die Rede von einer New Cultural History taucht erstmals 1989 bei Lynn HuntHunt, Lynn auf. Neue KulturgeschichteKulturgeschichte wird als die „vorherrschende Form der heute praktizierten Kulturgeschichte“27 bezeichnet. Was sind nun die Kennzeichen der Neuen KulturgeschichteKulturgeschichte? Zuvörderst ein starkes Interesse an Theoriebildung, man mag dies durchaus auch als Ausdruck von Selbstvergewisserungstrategien begreifen. Dies schlägt bis in die PhilologienPhilologie durch, der Aufwand an Theoriesortierung und Theoriebewertung ist relativ hoch und ein charakteristisches Kennzeichen dieser Phase der Kulturgeschichte. Die Bedeutung der ZivilisationstheorieZivilisationstheorie von EliasElias, Norbert (BachtinBachtin, Michail Michailowitsch, FoucaultFoucault, Michel, BourdieuBourdieu, Pierre) wird dabei immer wieder hervorgehoben. Die Historiker sprechen bereits von einer Neuen Kulturgeschichte, da in der Philologie eben erst die alte Kulturgeschichte angekommen scheint. Es gibt also eine disziplinärspezifische Verzögerung im Prozess der Paradigmentransformation. Eine Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur will diese terminologische Verschiebung bei einer transdisziplinären Aufgabenstellung berücksichtigen. Eines der Schlüsselwörter, so führt Burke aus, der Neuen Kulturgeschichte heißt Praxis, es geht beispielsweise dann nicht um eine Geschichte der Theologie, sondern um eine Geschichte der religiösen Praxis, oder nicht um eine Geschichte der Literatur, sondern um eine Geschichte des Lesens. Der Fokus liegt auf der RezeptionRezeption als einer Form kultureller Gebrauchsweisen. Burke verweist zwar auf die Konstanzer Schule und das Modell der RezeptionsästhetikRezeptionsästhetik, doch bleibt dieser Teil seiner Darstellung defizitär. Insbesondere die sehr wichtige und eigenständige sozialgeschichtlicheSozialgeschichte Leserforschung der 1970er- und 1980er-Jahre ist ihm nicht bekannt. Eine Kulturgeschichte der Literatur will diese sozialgeschichtlichen Ansätze als eine konsequente Weiterentwicklung der Sozialgeschichte der Literatur weiterführen. Was die Bedeutung der materiellen Kultur angeht, hätte BurkeBurke, Peter mit Sicherheit wesentliche Bestätigungen und Erweiterungen in den Arbeiten der Volkskunde bzw. der Europäischen Kulturwissenschaft gefunden. Eine Kulturgeschichte der Literatur will diese notwendige transdiziplinäre Perspektive sichern. Die Relevanz einer Geschichte des Körpers als einem Leitparadigma, die Burke herausstellt, kann durch den anthropological turnanthropological turn in der Germanistik etwa mit zahlreichen Studien zur Affektkontrolle, zum Leidenschaftsdiskurs, zu Körperbildern, zum Invaliden etc. bestätigt werden. Eine Kulturgeschichte der Literatur will auch dies weiterentwickeln. Am Beispiel der Liebe etwa greifen in einer Kulturgeschichte der Literatur anthropologische, soziale und ästhetisch-literarische Fragestellungen und Aufgaben in besonderer Weise ineinander. Möglicherweise eignet sich Liebe als Paradigma einer performativen Wende in der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft. Wo Liebe ist, ist KulturKultur, friedfertige Kultur. Liebe wird so als eine KulturtechnikKulturtechnik verstanden, die mehr ist als der aktive Beitrag der Natur zur Aggressionshemmung, um es evolutionsbiologisch auszudrücken, und Liebe ohne Intimität kann es nicht geben, denn davon berichtet die LiteraturLiteratur sehr beredt.
Das fünfte Kapitel widmet sich, so lautet die Kapitelüberschrift, dem Prozess Von der Darstellung zur Konstruktion. BurkeBurke, Peter diskutiert die Bedeutung der kulturellen Konstruktion von sozialer WirklichkeitWirklichkeit wie Klasse und Geschlecht, von Denkbildern, Handlungsvorstellungen oder Diskursen.28 Er thematisiert aber auch die Konstruktion von Identität und die Konstruktion von Geschichte. Die dieser Debatte zugrundeliegenden Fragen bleiben freilich weiterhin strittig: Wer konstruiert? Unter welchen Bedingungen? Aus welchem Material?29 Mit Blick auf die Entwicklungen dieser Debatte spricht Burke von einer „‚performativen Wende‘ in der Kulturgeschichte“30. Das ist sicherlich eine stimulierende Aussage, und es stellt sich für eine Kulturgeschichte der LiteraturKulturgeschichte der Literatur die Frage, ob sie an dieser Debatte teilhaben will. Als Leitfrage einer performativen Kulturgeschichte formuliert Burke den Satz: „Was tut dieses Schreiben?“31 Welches sind seine Strategien, Techniken, Inszenierungen, wie sieht seine Rezeption, wie seine Wirksamkeit aus? Hier gibt es erstaunliche theoriekonsistente Schnittflächen mit dem Modell der Bedeutung von RezeptionRezeption und TransformationTransformation von Texten, bis hin zur Theorie des anagrammatischen Lesensanagrammatisches Lesen. Eine Kulturgeschichte der Literatur will nicht den Anschluss verlieren an arbeitsfähige Performanztheorien.32 Die performative Wende ist in der PhilologiePhilologie oder zumindest in Teilen längst vollzogen. Aus diesen Bestimmungsmerkmalen einer KulturgeschichteKulturgeschichte leitet Burke eine terminologische Präzisierung ab, die er „Okkasionalismus“33 in der Kulturgeschichte nennt. Okassionalismus bedeutet demnach „eine Verschiebung weg von der Idee festgelegter, an Regeln ausgerichteter Reaktionen hin zur Vorstellung eines flexiblen Verhaltens, das sich an der ‚Logik‘ oder ‚Definition der Situation‘ orientiert“34.
Unter die Frage Jenseits der kulturellen Wende? – so lautet der Titel des sechsten Kapitels – summiert BurkeBurke, Peter die Neue KulturgeschichteKulturgeschichte,