Название | Werd ich noch jung sein, wenn ich älter bin |
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Автор произведения | Reiner Schöne |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870554 |
Darauf war ich ja nun gar nicht gefasst. »Ich glaube schon«, sage ich.
»Ich glaube nicht«, sagt er.
»Wieso?«
»Ich hab sie schon. Sie ist gar nicht gut. Wir können Sie nicht aufnehmen. Selbst wenn wir wollten.«
Die Kälte kriecht mir über den Rücken. Aber es kommt noch schlimmer. »Sie dürfen sich auch nicht an einer anderen Schauspielschule bewerben dieses Jahr, Sie müssen ein Jahr warten, aber wir werden Sie auch dann nicht nehmen.«
Originalton unseres Schuldirektors: »Demjenigen, der Künstler werden will, werfe ich Knüppel zwischen die Beine, bis er strauchelt. Wenn er sich trotzdem durchsetzt, dann hat er in meinen Augen das Zeug dafür.«
Ich denke mir, einen so großen Knüppel, über den ich straucheln könnte, kann der gar nicht werfen,. Und komme am Rosenmontag in die Schule mit superblond gebleichten Haaren. Als Prä-Punk. So was hat’s hier noch nie gegeben. Woraufhin sich Bob und Ulli auch gleich zum Friseur begeben, der Aufruhr eskaliert zum Wahnsinn. Mein Direktor nimmt das zum Anlass, sich jetzt den fettesten Knüppel für mich abzuschneiden. Als Monate später alle ihre Abizeugnisse erhalten, in einer wunderschönen Feierstunde in der Aula mit allen Eltern, da ist bis zur letzten Minute nicht klar, ob er mir meins überhaupt aushändigen wird. Immer wieder hatte er in den vier Jahren Penne versucht, mich von der Schule zu expedieren (wegen politisch motivierter Aufsässigkeit.) Und immer wieder hatte die Diplomatie meiner Mutter meinen Arsch gerettet. Aber jetzt sieht es ganz danach aus, dass ich ohne Abiturzeugnis die Schule verlassen werde. Und diesmal rettet mich mein Klassenlehrer.
Mir werden dann später immer wieder die Knüppel irgendwelcher ferngesteuerter Machtinhaber zwischen die Heldenvaterbeine geworfen. Die meisten haben nicht getroffen. Und einige hab ich mir selber geworfen.
Aber man hat ja früh gelernt, über sich selbst zu lachen. »Hööört, was die alten Hirten sich erzählen.«
Berlin, 11. Mai 2004
Reiner Schöne als Hamlet - 1975
Mahalia Jackson und die Folgen
Wie immer fing alles an mit »When the Saints go marchin’ in«. Dem fast zum Karnevalsschlager verpopularisierten Spiritual, das jedes Kind mitgrölen kann. Ich hab vor ein paar Jahren in der »Preservation Hall«, der ältesten Jazzkneipe von New Orleans, ein Schild gesehen, über der Bühne, eine Warnung für’s touristische Publikum: »Requests 20 Dollars, ,When the Saints go marching in’ 100 Dollars.« Schmerzensgeld für die alten Dixieland-Herren, die, wenn sie den Song schon zum drei-millionsten Male spielen müssen, wenigstens pekuniär dafür gestreichelt werden wollen.
Aus der Skiffle-Zeit der Fifties und frühen Sixties kannte man natürlich auch noch andere Spirituals wie »Down by the Riverside« oder »We shall not be moved«, und als ich später des Englischen mächtig war, merkte ich erstmal, was für einen phonetischen Schwampf man damals zusammengesungen hatte. Wir hatten uns die Texte ja ausschließlich von Platten oder Radiomitschnitten abgeschrieben und eben das meiste gar nicht wirklich identifizieren können. Noch heute singe ich manchmal so paar Textzeilen vor mich hin und denke mir, yikes, was für ein phonetisches Schlachtfest hab ich damals veranstaltet. Aber mit Gefühl und sehr viel Begeisterung. Und gemerkt hat’s eh keiner.
Nach und nach legte ich mir ein kleines Repertoire an Negro-Spirituals zu, wie das damals hieß. (Heute wär das nicht mehr politically correct.)
4. April 1961. Ich war nach Westberlin getrampt von Weimar, meiner jetzt wieder so schönen Heimatstadt. Damals ging das ja alles noch ganz easy; ein paar Monate später wurde die Mauer gebaut. Obwohl der kleine Sachse mit dem Spitzbart und der Fistelstimme auf der berühmt gewordenen Pressekonferenz am 15. Juni auf die Frage von Annamarie Doherr von der »Frankfurter Rundschau« doch versprochen hatte: »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.«
Am 4. April jedenfalls gab Mahalia Jackson ein Konzert. Und ich musste natürlich dabei sein. Mahalia Jackson war die Größte, die Göttin der Musik, die ich so liebte. Das Konzert fand in der in der Deutschlandhalle statt. Fast auf den Tag genau elf Jahre später, stand ich auf derselben Bühne als Jesus in der deutschen Erstaufführung von »Jesus Christ Superstar«. So schließt sich manchmal der Kreis.
Ich wollte natürlich mehr als nur das Konzert erleben, ich wollte nicht nur ein Autogramm von Mahalia Jackson, ich wollte mit ihr sprechen. Sie sehen. Hautnah. Ich schlug mich also durch die Barriere von tausend Ordnern und Abschirmern und stand plötzlich vor dem Konzertveranstalter.
»Ich komme aus Weimar und möchte Mahalia Jackson sprechen.« Ging nicht. Da könnte ja jeder kommen.»Mahalia Jackson kann vor’m Konzert nicht gestört werden. Sie betet.«
Ich ließ nicht locker. »Und nach dem Konzert!?« Er wimmelte mich ab. »Kannst es ja versuchen. Komm danach wieder hierher.« Was ich als Versprechen nahm und frohen Mutes meinen Sitz suchte in der Riesenhalle.
Dann kam sie auf die Bühne. Applaus. Setze sich in ihrer majestätischen Fülle ans Piano und spielte. Plötzlich kam ihre Zwillingsschwester auf die Bühne. Auch im langen Abendkleid. Noch mehr Applaus. Ich saß so weit weg, dass ich gar nicht mitgekriegt hatte, dass die erste Mahalia gar nicht Mahalia war sondern ihre Pianistin. Mildred Falls. Und dann groovten die beiden, dass die Deutschlandhalle wackelte. Keine Band, nur zwei dicke Damen mit viel Soul. Was für eine Stimme! Ich kriege noch heute eine Gänsehaut, wenn ich an den Abend denke. Bei der letzten der hundertfünfzig Zugaben ging die Godess of Gospel langsam von der Bühne, weit weg vom Mikrofon, sang weiter und füllte die Halle auch ohne Technik.
So, nun ging ich natürlich backstage; aber erst mal musste ich ja wieder an den Ordnern vorbei, die ihren Job sehr ernst nahmen. Mein Mantra war immer wieder: »Ich soll nach dem Konzert hierher kommen, der Chef hat gesagt, ich könnte zu Mahalia Jackson in die Garderobe.« No way. Nix ging. Aber ich blieb stur, bis einer sagte: »Hier, der kommt aus’m Osten, bring ihn in die Garderobe zu Miss Jackson.«
Und dann saß ich ihr gegenüber. Und radebrechte in schlechtem Englisch. Ehrfurcht und Dankbarkeit. Sie hatte gerade zwei Stunden gesungen und alles gegeben – und jetzt nahm sie sich Zeit, mit mir eine geschlagene Viertelstunde alleine zu reden. Das ist Größe. Ich sagte ihr: »Nächste Woche machen wir in Weimar das erste Gospelkonzert,« und sie wünschte mir Glück, und ich sollte das Publikum von ihr grüßen. Dann ging ich, reihte mich ein in die Reihe der Fans; sie kam auch raus und winkte mir tatsächlich noch persönlich zu, was mich in den Augen der anderen adelte.
Ich bin zu meinen Freunden, bei denen ich wohnte, gelaufen. Ziemlich lange hat das gedauert in dem großen Westberlin. Aber ich lief wie auf einer Wolke.
Und es war eigentlich kein wirkliches Gospelkonzert, es war ein Jazzkonzert, das erste in der Geschichte Weimars. Aber wir haben immerhin ein paar Gospelnummern gespielt. Und ich hab die Weimarer gegrüßt von Mahalia Jackson, was mir einen fetten Sympathiepunkt eingebracht hat.
Cut. Zeitsprung. Sommer 1963. Wir saßen am Lagerfeuer, auf dem Zeltplatz in Prerow. Dem Inbegriff der DDR-Ferienträume, dem beliebtesten FFK-Gelände der Welt. Ich schrubbte meine Gitarre, und alles sang mit. Auch so unheilige Songs wie den zeitlosen Hit »Tom Dooley« und so was. Und es wurde die Idee geboren, ich sollte in der Prerower Seemannskirche ein Konzert geben mit Gospelsongs und Bluesen. Am nächsten Morgen begeisterte ich den Pastor dafür; eine nicht ganz unmutige Entscheidung des Pfarrherren, in Zeiten des tiefsten Sozialismus, seine Kirche einem ungewissen Abenteuer zu öffnen.
Es wurde