Werd ich noch jung sein, wenn ich älter bin. Reiner Schöne

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Название Werd ich noch jung sein, wenn ich älter bin
Автор произведения Reiner Schöne
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783862870554



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um dann aus dem Bauch raus zu spielen. Und nicht immer alles intellektuell zu hinterfragen. Eigentlich hab ich mich erst mit »Hair« freigeschwommen und begriffen, was Acting heißt. Nämlich eine bestimmte Figur in einer bestimmten Situation glaubhaft rüberzubringen. That’s it. Mehr ist es nicht. Simpel. Für »Acting« gibt’s ja noch nicht mal ein adäquates deutsches Wort. Schau-spielen triffts nur halb. Bei »Schauspielern« dreht sich mir immer der Magen rum. Das klingt nach Laienspiel und Muff.

      Zurück in die Vergangenheit, noch war ich in Zittau. Und fuhr nach Leipzig. Wieder mit der Bahn; Trampen war für die Mittellosen, ich war ja bald reich. Also ich reiste nach Leipzig zur Deutschen Bücherei. Ein ganz erstaunliches Institut; die haben alles gesammelt, was je in deutschen Landen in der Muttersprache gedruckt ward. Mit meinem Textbuch von »Orpheus steigt herab« erschien ich an der Pforte und wollte alles lesen, was es über Tennessee Williams und sein Werk zu lesen gab. Ich hätte genauso gut nach den geheimen Unterlagen der Freimaurer fragen können, das wäre nicht schwieriger gewesen. Was ich wollte, lag nicht einfach offen rum, für jedermann einsehbar. No way, José; was ich lesen wollte, lag im Giftschrank. Ein Bibliothekar schritt vor mir her, schloss Türen auf und hinter uns wieder zu, bis wir zum Allerheiligsten kamen. Dann wurden Mappen mit Zeitungen vor mir aufgehäuft, die zu lesen einer Sondergenehmigung bedurften. West-Zeitungen. Gift.

      Ich las und lernte, machte mir Notizen und verließ nach ein paar Stunden das Haus auf demselben komplizierten Weg.

      Dann begannen endlich die Proben in Berlin, und ich war in dem Himmel, aus dem ich geschickt worden war. Ich kriegte einen Vorschuss, holte mir von der Bank ein Bündel Zehnmarkscheine und steckte sie in die Brusttasche meines Hemdes, die ich jederzeit wieder auffüllen konnte. Symbol meiner neuen Unabhängigkeit.

      Ich war frei. Ich war an keinen langfristigen Vertrag gebunden, ich konnte alles machen, was ich wollte. Ich hätte als Müllmann arbeiten können, wenn mir der Sinn danach stand; zum ersten Mal in meinem jungen Leben war ich wirklich frei. So empfand ich das.

      Gisela May holte mich immer mit ihrem Westwagen ab, einem mörder Ford Taunus. Für mich als Trabbikind, für das ein Wartburg schon das Non Plus Ultra war, war das wie ein Rolls Royce. Wir alberten rum, fielen in den Kurven verkehrsgefährdend aufeinander; es waren fröhliche Wochen. Wir hatten, wie am Theater, ein paar Wochen lang Proben. Dann gab’s erst mal eine vierwöchige Pause, weil La May eine Tournee im »kapitalistischen Ausland« hatte (was war die DDR-Terminologie doch verschroben). Ich fuhr ins Zittauer Gebirge zurück und spielte auf der Freilichtbühne in Oybin.

      In einer Nachmittagsvorstellung auf den Felsen im unwegsamen Gelände passierte’s dann. Ich knickte um, KRRRXXX und landete im Krankenhaus. Ich hatte mir das Bein gebrochen. Zwei Wochen bevor ich wieder in Berlin sein sollte. Eine Woche lag ich mit dem Bein im Gips in der Klinik und war am Boden zerstört.

      Aber der Schutzheilige der Mimen ließ mich nicht im Stich, das neue Röntgenbild zeigte nur eine leichte Fissur, nicht wirklich einen Bruch. Da hatte die Ärztin wohl ihre Brille nicht auf bei der Diagnose. Ich durfte gehen, ich konnte gehen, am Stock noch, aber ich konnte. Halleluja!

      Zurück nach Berlin, zurück zu den Proben, zurück in die große abenteuerliche Welt.

      Dann wurde endlich aufgezeichnet. Ein paar Tage lang. Mit vier riesigen Ampexkameras. In den Studios in Johannisthal. Die Takes waren nicht vergleichbar mit kurzen Filmtakes, es waren so zehn Minuten lange Segmente. Für mich Neuling war das wie Theater. Ohne Publikum. Und da wir ja tatsächlich noch in der Steinzeit lebten, musste nach jeder dieser für heutige Verhältnisse endlos langen Einstellungen das Regieteam nach Adlershof fahren, um sich das anzusehen. Das dauerte immer ewig. Gisela May durfte natürlich mit, wir anderen warteten, bis die Gang wieder zurück kam und das Urteil verkündete.

      »Gestorben, nächste Szene bitte.« Ich war bodenlos enttäuscht. »Wie, wir können das nicht noch mal spielen, das wars schon?« Alle kuckten mich an, als ob ich komplett meschugge wär. »Sei doch froh, dass es gut war und die Szene im Kasten ist.« Besonders Gisela May sah mich an, also ob ich vom Mond käme. Ich kam ja auch vom Mond. Das Theater war mein Mond, und da gab’s Proben, dann die Premiere und dann viele Vorstellungen, in denen man die Chance hatte, immer besser zu werden, immer mehr Spaß an der Rolle zu haben. Und nun war die Premiere auch gleich die letzte Vorstellung. Das gefiel mir nicht. »Ich möchte das aber gerne noch mal machen,« maulte ich. Und kam nicht durch. Gestorben ist gestorben. Wir machen hier kein Theater.

      Irgendwann gab ich meine kindischen Wünsche auf und war dankbar, dass sie mir Komplimente machten. Ich war ja so käuflich.

      Die Rolle war mein Break im Osten; ein paar Monate später lief das Fernsehspiel auf dem Schirm; es war der Beginn einer produktiven und schönen Zeit. Die keine drei Jahre dauern sollte.

      Ich war ursprünglich zum Casting getrampt, um einen festen Vertrag zu bekommen beim »Ensemble des Deutschen Fernsehfunks«.

      »Den würden wir Ihnen auch gerne geben, aber wir haben keine Vakanzen mehr. Aber…« ich hatte schon die Ohren hängen lassen, »Sie werden ein ,frei-fester’ Schauspieler bei uns, ohne Vertrag, jedoch mit der Zusicherung, dass wir Sie auch beschäftigen.« Das kriegte ich schriftlich.

      Gut. Sehr gut, denn sonst hätte ich keine »Zuzugsgenehmigung« nach Berlin bekommen. Wir schrieben das Jahr 1965 im ultrabürokratischen Arbeiter- und Bauernstaat. Da konnte man nicht einfach von A nach B umziehen ohne staatliche Absegnung.

      Es war die Steinzeit.

      Als wunderbares Nebenprodukt dieses Deals konnte ich meinem Wehrkreiskommando in Zittau entfliehen; als sie mich dann in Köpenick gefunden hatten nach ein paar Monaten, war ich schon in Karlshorst. Solche Lücken im System gab’s schon. Sonst hätten sie mich vielleicht doch noch shanghaied. Und ich hätte, statt Filme zu drehen, die Panzerketten der Nationalen Volksarmee geölt. Wahrscheinlich wäre es eher der Dienst mit dem Spaten gewesen. Auch verlorene Jahre.

      »Papa was a rolling stone, wherever he laid his head was his home.« So bin ich dank meines unruhigen Blutes ja letztendlich drumrum gekommen. Ohne einen Felix Krull zu machen.

      Statt bei der Volksarmee landete ich im Hootenanny-Klub. Dem wichtigsten Forum der Folkniks von Ostberlin. Die Proteste gegen den Vietnamkrieg hatten weltweit eine powervolle Bewegung hervor gebracht, und die musikalische Ausdrucksform waren die Protestsongs. Wir sangen mit Inbrunst Bob Dylans »Blowing in the wind« und vor allem die Hymne der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung »We shall overcome«, mit Fug und Recht die »Internationale« unserer Generation.

      Der Begriff »Hootenanny« ist tausendmal erklärt worden, und doch weiß kaum jemand, was es bedeutet. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein ungezwungenes Miteinander, Durcheinander, Füreinander von Leuten, die Lieder schreiben und dann das Bedürfnis haben, sie anderen vorzusingen. Die Jazzer haben das Jamsession genannt, und ich glaube, da haben sich mal ein paar Folkniks eine fette Tüte gedreht, ihre Gitarren gezupft und gejodelt, und als sie dann gut drauf waren, hat einer zur Kinderfrau der Familie, der Nanny, gesagt: »Man, that’s a hoot, nanny.«

      Das Ganze geht auf die Vierziger Jahre zurück, auf Gewerkschaftslieder, auf Sing-alongs, auf Woody Guthrie, dann Pete Seeger; also wo kam wieder mal her, was die Welt bewegte? Aus den US of A. Und kam, trotz aller Abschirmungen irgendwann in die DDR. Und wurde im musikalischen, im kulturellen Vakuum aufgesogen. Talente gab’s genug.

      Aber es gab nicht nur den Vietnamkrieg und die weltweiten Proteste dagegen. Man hatte ja auch genug Dreck vor der eigenen Haustür weg zu fegen. Doch da wurden die Oberen ganz schnell zickig. Biermann wurde »ausgebürgert«, andere wie Renft schlichtweg verboten. Das ist ja alles bekannt. Wenn es um die Kritik am Leben in der DDR ging, kannte die Partei kein Pardon. Insofern war die politische Stoßrichtung gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam den Genossen nur willkommen.

      Aber neben Politik gabs auch noch Poesie. Ich nahm mir Wolfgang Borcherts Gedicht »Versuch es« vor, schrieb eine schöne Weise dazu und sang es auf den Hootenannys so wie das alte Volkslied »Der König von Thule«.

      Marianne Oppel war eine der Stützen des Hootenannyklubs mit ihren Möglichkeiten, die sie bei DT64 hatte, dem wohl wichtigsten Sender dieser Jahre. Der dann leider nach der Wende