Lakritz. Klaus-D. Kreische

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Название Lakritz
Автор произведения Klaus-D. Kreische
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783941895850



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      »Sind die Mandeln durch Entzündung angeschwollen, ohne dass Geschwüre dabei vorhanden sind, so muss man gleichfalls (d. h. wie bei Zahnschmerzen) den Kopf einhüllen und die kranke Seite äußerlich mit heißen Dämpfen bähen; der Kranke muss viel spazieren gehen, im Bette den Kopf hochlegen und mit zerteilenden Mitteln gurgeln. Dasselbe leistet auch die sogenannte süße Wurzel, nachdem man sie zerstoßen und in Rosinenwein oder Honigwein gekocht hat.«12

      Doch schon sein vermeintlicher Schüler Scribonius Largus (1. Jh. n. Chr.) verfasste kompliziertere Rezepte, in denen mehrere Ingredienzien zu Pillen gedreht wurden. Die beiden Kompositionen mit Süßholz, einmal gegen Luftröhrenerkrankung (Rezept 75), zum anderen gegen Bluterguss (Rezept 86), werden zu Pastillen geformt und anschließend unter die Zunge gelegt oder in lauwarmem Wasser aufgelöst.13 In einem weiteren Sinne handelt es sich hier um die ersten Lakritz-Pastillen, die einem Kranken verabreicht wurden.

      Ein Zeitgenosse von Celsus und Scribonius, der römische Offizier und Staatsbeamte Plinius Gaius Secundus d. Ältere (23/24-79 n. Chr.) kannte das Süßholz (radix dulcis), neben Linden- und Palmensaft, als Süßstoff. Plinius benannte zwar die pontische Wurzel des Schwarzen Meeres, die beste Wurzel stammte ihm zufolge aber aus Sizilien. Darüber hinaus empfahl er bereits den eingekochten Süßholzsaft, der zur Verbesserung der Stimme unter die Zunge gestrichen und bei Brust- und Leberleiden angewandt wurde. Allgemein sei die Wurzel dem Wassersüchtigen gegen den Durst zu verordnen. Sie heile auch Blasengeschwüre, kranke Nieren, Geschwulst am After und Geschwüre an den Geschlechtsteilen. Gekaut sei sie ein gutes Magenmittel, hemme darüber hinaus den Blutfluss aus Wunden, weshalb sie als Trank vermischt mit Pfeffer und Wasser gegen das ›viertägige Fieber‹ helfe und Blasensteine abtreibe.14

      Die von Theophrast begründete Arzneipflanzentherapie setzte jedoch weniger Plinius, sondern sein Zeitgenosse Pedanios Dioskurides, ein Militärarzt aus Tarsus in Kilikien, fort. Sein in griechischer Sprache abgefasstes Hauptwerk ›De materia medica‹ (lat. Übersetzung, 78. n. Chr.) war noch über das Mittelalter hinaus ein beliebter Ratgeber. Das Süßholz (Glycyrrhiza) führt Dioskurides hier ebenfalls als Pontische Wurzel ein, das auch Gentiana, Skythion, Adipson (durststillend) oder Symphyton (dicht verwachsen) genannt werde und hauptsächlich in Kappadokien und am Pontus vorkomme.15 Bei seiner genauen Beschreibung unterlief ihm jedoch der Fehler, dass er die Glycyrrhiza glabra den dornigen Pflanzen zuordnet. Auch im Geschmack erwähnt er sowohl die süßen als auch die herbschmeckenden Wurzeln, wobei letztere sehr wahrscheinlich von der Glycyrrhiza echinata L. abzuleiten sind. Doch weist Dioskurides darauf hin, dass die Wurzel zu Saft verarbeitet, dann ausgehärtet unter die Zunge gelegt und gelutscht werden soll.

      Mit der Anwendung des Süßholzsaftes beschreiben Plinius und Dioskurides nun den Schritt, der in der Abhandlung von Theophrast über die Verwendung von Wurzeln nur angedeutet ist: die Zubereitung und Nutzung des ›Succus Liquiritiae‹ – des eingedickten Lakritz-Saftes.

      Hierzu wird nicht mehr die Wurzel oder das Pulver aus feingestoßener trockener Wurzel in roher, gerösteter oder gedörrter Form verwendet, sondern die Wurzel mit Wasser aufgekocht und der Sud eingedickt und eingedämpft. Nach der heutigen Definition für Lakritz als verarbeitetes Produkt der Süßholzwurzel kann mit diesen Erwähnungen der Beginn der Lakritz-Geschichte markiert werden, denn bis in die Gegenwart wird in dieser Form das naturreine, pure Lakritz hergestellt.

      Ein weiteres Zeugnis aus der Antike für die Verwendung des eingedickten Lakritz-Saftes liefert der ehemalige Gladiatoren- und Leibarzt von Marcus Aurelius und Septimius Severus – Galenos von Pergamon (129-199/216 n. Chr.). In seinem medizinischen Konzept, basierend auf der Säftelehre der vier Körperflüssigkeiten (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle), den Elementarqualitäten (Feuer, Erde, Luft und Wasser) und den vier Qualitäten (heiß, kalt, feucht und trocken), die in Einklang zu bringen sind, wird die Süßholzwurzel (dulci radice) als warm beschrieben. Der süße Geschmack weise darauf hin, dass sie die gleiche Mischung habe wie der menschliche Körper. Aber da die Wurzel etwas herb schmecke, heißt es weiter, müsse sie doch etwas kühler sein als die menschliche Natur. Dadurch habe sie die Fähigkeit, mit seiner Feuchtigkeit den Durst zu stillen. Schließlich reicht bei Galen die Behandlungsmöglichkeit mit Süßholz von Heiserkeit bis Tollwut.16

      In seinen Werken benennt Galen auch andere Autoren, die Süßholz verwendet haben. So erfahren wir zum Beispiel von Amarantus dem Grammatiker (2. Jh. n. Chr.) ein Mittel gegen Fußschmerzen, das unter zahlreichen Ingredienzien auch den Succus enthält und ein Jahr lang in Pillenform eingenommen werden soll.

      Hiermit sei der kurze Exkurs über die medizinische Verwendung der Süßholzwurzel während der Römerzeit, die eigentlich eine Zeitspanne von zwei Jahrhunderten umfasst, beendet. Zu bemerken bleibt noch, dass sich in dieser Zeit die Bedeutung der Medizin generell änderte. Galt es zunächst, die Bedenken der römischen Bevölkerung zu überwinden, schließlich war nach Aussage von Plinius bis dato die einzige Behandlungsweise von Krankheiten eine Diät aus Kohl, Salat, Zwiebeln und Kirschen, stand sie zu Galens Zeiten in hohem Ansehen.17 Ein Zeichen dieser Achtung ist die Benennung der ›Hiera‹ (Abführmittel), die nicht nur nach berühmten Feldherren und Herrschern benannt wurden, sondern auch so eindrucksvolle Titel trugen wie Athanasia (die Unsterbliche), Ambrosia (die Göttliche), Isotheos (die Göttergleiche) oder Isochryson (die Goldgleiche).18 In der Tradition der ›Empirischen Schule‹, alles zu einer Komposition zu vermischen, war auch für die Abführmittel das Süßholz unentbehrlich.

      Nicht zu vergessen ist, dass die Römer die Grundlagen ihrer Wissenschaft aus Griechenland bezogen. Vor allem nachdem der Glanz Griechenlands erloschen war und von Rom überschattet wurde, eilten die griechischen Gelehrten, Philosophen und Ärzte nach Rom und vermittelten dort ihre bis dahin unbekannten Kenntnisse. Angefacht durch die Neugier der Römer wurde die Nachfrage nach Ärzten bald so groß, dass selbst die Domestiken berühmter Gelehrter sich in Schenken einmieteten, um Kranke zu kurieren. Hier wurde das Wissen, das vormals Gelehrte auf ihren langen Reisen erworben hatten, direkt an ihre Patienten weitergegeben.

      Neben dem tradierten Wissen ermöglichte die militärische und politische Ausbreitung des römischen Imperiums die Einfuhr seltener und kostbarer exotischer Produkte, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden konnten. Als Herkunftsort der Süßholzpflanze benannten Plinius und Dioskurides Sizilien, Pontos und Kappadokien. Galen fügte diesen noch Kreta hinzu, und verweist damit auf einen weiteren Handelsweg. Denn der römische Kaiser unterhielt auf Kreta spezielle Kräutersammler und Wurzelschneider zur Versorgung des kaiserlichen Hofes, der Stadt Rom und anderer Provinzen, die die Bevölkerung mit Kräutern, Früchten, Samen, Wurzeln oder Säften belieferten.19 Dies markiert auch den Beginn der Tätigkeit von spezialisierten Drogenhändlern. Die Süßholzwurzel boten nun eigens ernannte Wurzelschneider und -sammler an Verkaufstischen oder an der Schwelle eines Ladens an. Zu dieser Zeit gab es aber auch wandernde Arzneihändler, ja, ganze Scharen von mehr oder weniger ehrbaren Kräuterhändlern, die nicht nur kostbare Heilmittel, sondern auch gefälschte und damit wirkungslose oder sogar gefährliche und tödliche Drogen anpriesen. Schon früh wurde hier der Ruf der Scharlatanerie gefestigt, der den Ärzten und Apothekern lange Zeit nachhing, sodass sie als würdelos bezeichnet und mit Wucherern und Gauklern in einen Topf geworfen wurden. Dies zeigt aber auch, wie erworbenes Wissen nach den Regeln der Gier und Gewinnsucht die Taschen mancher Blender bereichern konnte.

      3 Ferner Handel – Die Pfade der Wurzel

      Während das Süßholz eine weltweite Anerkennung genießt, ist der Genuss von Lakritz eine europäische Angelegenheit. Denn auf keinem anderen Kontinent zeigt die Wurzel durch ihre Verarbeitung und Anwendung eine solche Raffinesse und Vielfalt wie in Europa. Die Wurzel sollte hier jedoch erst im Mittelalter ihre volle Akzeptanz finden, nachdem deren Bekanntheit zeitweilig in Vergessenheit zu geraten schien. Deshalb steht nun die Frage im Vordergrund, welche Pfade die Glycyrrhiza seit der Antike auf ihrem Weg in nördliche Gefilde einschlagen musste, um zu diesem Ansehen zu gelangen.

      Zunächst ging es nach dem Untergang des weströmischen Reiches um eine Positionierung im Kampf gegen das ›Fremde‹, das von der neuen christlichen Welt mit den antiken Lehren und Wissen verbunden wurde. Denn neben der Zerstörungswut