Lakritz. Klaus-D. Kreische

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Название Lakritz
Автор произведения Klaus-D. Kreische
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783941895850



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konnten sich die einfachen Menschen auf dem Lande, wohin sich keiner der ›studierten‹ Laienärzte verirrte und wo die Kirche als Heilmittel nichts außer Wasser anzubieten hatte, nur an diese Frauen wenden. Dass die Süßholzwurzel nicht zu dem Repertoire der heilkundigen Frauen zählte, soll hier nicht weiter beunruhigen, denn einerseits ist die Quellenlage sehr dürftig, andererseits verwendeten sie nur den heimischen Pflanzenschatz, worunter in vielen Regionen, vor allem in Mitteleuropa, die Süßholzpflanze (noch) nicht zählte.

      Bekannt war die Wurzel allenfalls durch einige wenige Kräuterbücher und Rezeptsammlungen und wurde zum Beispiel im Codex Bambergensis (ca. 795) und im Codex Sangallensi (ca. 1260) als Heilmittel aufgeführt.8 Erstaunlich ist allerdings, dass die Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179) in ihrer Schrift ›Ursachen und Behandlung der Krankheiten‹ zwei Rezepte mit Süßholz (Succus Liquiricus) benennt, eines mit Fenchel und Honig gegen Herzleiden und das andere als Abführmittel:

      »Ein Mensch, der Abführgetränke herstellen und geben will, soll Ingwer, halb soviel Süßholz und ein Drittel soviel Zitwer wie Ingwer nehmen, dies pulverisieren und durchsieben und schließlich das ganze Pulver abwiegen. Dann nehme er so viel Zucker, wie das Pulver wiegt.«9

      Hildegard von Bingen übernahm zwar nicht einfach kritiklos die Drogenkunde des Altertums, sondern bildete sich durch Beobachtung und praktische Erfahrung ihre eigene Meinung zur Wirkungsweise der einzelnen Heilpflanzen und bezog das naturkundliche Volkswissen ihrer Umgebung mit ein. Der Einsatz der Glycyrrhiza ist aber sehr wahrscheinlich nicht ihren naturheilkundlichen Kenntnissen, sondern vielmehr dem Einfluss der Klostermedizin zu verdanken. Ungewiss ist auch, ob sie auf Wurzeln aus dem eigenen Klostergarten zurückgreifen konnte oder das Süßholz über den Handel erstanden hat.

      Im 12. Jahrhundert ist jedenfalls ein Handel mit der Süßholzwurzel nach Deutschland nachgewiesen. Sie wird in zwei Zolltarifen aus Stain an der Donau in Niederösterreich, einer Zollstätte an der Hauptstraße des Transithandels von Konstantinopel nach Deutschland, aufgeführt. Neben Süßholz wurden auch andere orientalische Kostbarkeiten, Aromen, Räucherwerk, duftende Gewürze und seltene Drogen, außerdem Seiden- und Goldstoffe, Priester-Ornate, Purpurmäntel und messingbesetzte Degenkoppeln gegen Waffen, Wolle, Tuch, Metalle und Holzwaren getauscht. Der Preis für Süßholz wird auf dieser Zollliste mit »Saum likoricii XXIIII or denaren« (24 Gold-Denare) angegeben.10

      Der Beginn des Handels nach Konstantinopel reicht zwar in das frühe Mittelalter zurück. Mit den Kreuzzügen des 12. und 13. Jahrhunderts hatte er aber eine so große Ausdehnung, dass er mitunter den Beginn des interkontinentalen Transithandels markierte. Während dieser Zeit beluden die europäischen Kaufleute und Drogenhändler ihre Schiffe mit den begehrten orientalischen, vorder- und ostasiatischen Luxuswaren und wohlriechenden Stoffen nicht nur in Konstantinopel, sondern auch in den Mittelmeerhäfen von Beirut, Alexandria, Accon und Tyrus und brachten sie nach Italien. Aus dieser Zeit ist in einem venezianischen Seestatut von 1233 die Bestimmung für die Ausfuhr von Süßholz aus Syrien festgehalten. Laut diesem Statut wurden die Waren nach ihrem Verhältnis von Gewicht und erforderlichem Raum in drei Ladeklassen eingeteilt, wobei Süßholz zu der ersten Ladeklasse gehörte.11 Die größten Umschlaghäfen, von denen die Waren dann per Landweg oder zur See weiter nach Norden transportiert wurden, waren die beiden Stadtstaaten Venedig und Genua.

      Von Venedig aus setzte sich im späten Mittelalter der Handel mit der Süßholzwurzel in nördliche Richtung auf den alten Handelsstraßen über den Ostalpenpass, die die Lagunenstadt mit der Donau und dem Rhein verbanden, fort. In Deutschland gelangten die Waren landeinwärts direkt in die großen Handelsstädte Nürnberg, Augsburg und Regensburg oder in die Messestädte Frankfurt (Main), Braunschweig oder Leipzig. Dort deckten sich dann auch die Arzneihändler mit den Drogen ein, die sie nicht aus der näheren Umgebung beziehen konnten.

      Dieser vermehrte Handel barg auch Gefahren. So war die Verbreitung der Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts über weite Teile von Europa der Vernetzung durch Handelskontakte zuzuschreiben. Seinen Ausgang nahm der ›Schwarze Tod‹ 1346 an der Seidenstraße, wo Pelzhändler mit virenverseuchten Murmeltierfellen ihren Handel trieben. Über Astrachan und Kaffa (Feodossija) gelangte der Virus schließlich auf dem Seeweg nach Konstantinopel und verbreitete sich weiter nach Westeuropa und den nordafrikanischen Ländern, bis die Seuche 1352 in Russland abklang. Ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung fiel der Pest zum Opfer. In vielen Städten wurde zur Bekämpfung der Pandemie eine ›Pestschrift‹ erlassen, die einen Verhaltenscodex und Rezepte enthielt. Unter den hilfreichen Drogen zur Bekämpfung der Seuche wurde auch das Süßholz aufgezählt, so zum Beispiel in der Pariser Pestschrift von 1348.12 Durch solche Schriften erlangte die Glycyrrhiza im 14. Jahrhundert eine, wenn auch ungewollte, so doch europaweite Bekanntheit.

      Die verheerenden Seuchen des 14. Jahrhunderts führten ebenfalls zu einer starken Vermehrung der Apotheken. War der Apotheker ursprünglich ein Händler, der von Stadt zu Stadt zog und seine Waren in offenen Verkaufsständen anbot, ließ er sich im Laufe des 14. Jahrhunderts häuslich nieder und regelte seine Geschäfte aus den Kontoren. Den Kontoren angeschlossen waren die ›Apotheca‹, zunächst Lagerräume für Waren unterschiedlichster Art, die sich ab dem 14. Jahrhundert zu den heute wohl vertrauten Handelsorten für Arzneimitteln entwickelten.

      Ab dem 15. Jahrhundert lässt sich der Handel mit der Süßholzwurzel durch den Weg, den die Arzneimittel in die Apotheken-Lager genommen haben, weiter nachzeichnen. Bezeugt durch die Arzneitaxen13, die von dem Magistrat der Städte und den Landesfürsten aufgestellt wurden, um die Preise für Arzneimittel festzulegen und dadurch einen aus der Not der Kranken heraus denkbaren skrupellosen Handel mit Heilmitteln zu unterbinden, taucht die Wurzel zum ersten Mal in einer italienischen Liste aus Ferrara von 1424 als Requelizia auf. 1450 befindet sie sich auf einer Taxe der Stadt Frankfurt (Main), wo sie als Liquericia angeboten wurde.

      In dem darauffolgenden 16. Jahrhundert geben die Medikamenten-Listen jedoch nicht nur Aufschluss über die Bezeichnung der angebotenen Waren, sondern auch über deren Darreichungsform und Herkunft. In dem Drogenverzeichnis der Stadt Esslingen von 1550 befindet sich der Succus Liquiritie, in der Apothekentaxe von 1571 sogar ein liquiriciae liquor cond., ein kondensierter Lakritz-Likör, und eine brandenburgische Taxe von 1574 weist geschabtes Süßholz (Glycyrrhizae rasae) aus. Mehrere Listen führen Kreta als Herkunftsort für den Succus auf, zum Beispiel die Frankfurter Listen von 1582 und 1609, die Taxen der Stadt Mainz von 1605 und Schweinfurt von 1608. Darüber hinaus stehen die ›skythische‹14 und ›spanische‹ Wurzel (Rad. Dulcis Scytia et Hispanica, Frankfurt a. M. 1582) und der ›venezianische Süßholzsaft‹ (Worms, 1609) in hohem Kurs.

      Doch das Süßholz wurde von Venedig oder Genua nicht nur auf dem Landweg über den Alpenpass in den Norden gebracht. Die Galeeren der italienischen Händler umschifften auch die iberische Halbinsel weiter nach Flandern und Brabant, Brügge und Antwerpen. Die Niederlande erhielten bereits im 13. Jahrhundert ›recalisse‹ aus Italien und Spanien, und im 14. Jahrhundert wurde es auch über Hamburg und Lübeck eingeschifft. Aus Flandern gelangte das Süßholz in die nördlichen Regionen, vor allem nach Dänemark, wo Hendrik Haperstreng schon 1244 seine Heilwirkung lobte.

      Den Schiffstransport von spanischem Süßholz nach Nordeuropa bezeugt auch die Schmähschrift »The Libelle of Englyshe Policye« (Das Büchlein von Englischer Staatsklugheit) aus dem Jahre 1436. In dem ersten Kapitel werden die Waren aufgezählt, die von Spanien nach Flandern zum Hafen von Brügge verschifft werden:

      »Ihr, die ihr’s wissen wollt, mögt jetzt erfahren,

      Was aus Hispanien an brauchbaren Waaren

      Zum Handel kommt. Es sind dem Lande eigen

      Rosinen, Datteln, Bastardwein und Feigen,

      Sevilla-Oel, Süßholz zu bill’gen Preisen

      Castil’sche weisse Seife, Wachs und Eisen,

      Korn, Wolle, Fries, Ziegen- und Lammfell auch,

      Für Laschen-Macher trefflich zum Gebrauch,

      Quecksilber, Schwefel.«15

      Diese Verse zeigen eindeutig, dass im 15. Jahrhundert die spanische Süßholzwurzel