Lakritz. Klaus-D. Kreische

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Название Lakritz
Автор произведения Klaus-D. Kreische
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783941895850



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war dabei vielleicht ihr süßlicher Geschmack, und auch die Wirkung bei Husten dürfte schon früh bemerkt worden sein. Ihre durststillende Eigenschaft könnte aber vor allem den wandernden Stämmen wichtig gewesen sein, die sie deshalb sammelten und getrocknet mit sich führten. Erst später gelangte die Wurzel dann in die Hände von weisen Frauen und Männern, die sie systematisch bei Krankheiten einsetzten.

      Dieser langwierige Erfahrungsprozess zeigt sich noch heute an dem Beispiel zahnender Säuglinge, denen Wurzelstücke wegen ihrer antiseptischen und beruhigenden Wirkung in den Mund gelegt werden, damit sie dann genüsslich darauf herumkauen können. Auch die schmerzstillenden Tinkturen zum Einreiben der wunden Zahnflächen, die derzeit von Apothekern verabreicht werden, sind mit Süßholz verfeinert. Der Ursprung für eine solche Anwendung liegt aber tief verborgen in der Vergangenheit, wo er über Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergereicht wurde, ohne die Wirkung zu hinterfragen. Einzig der Erfolg, darin erkennbar, dass die kreischenden Kinder für kurze Zeit still sind, bestätigt die Richtigkeit dieser Anwendung. Gleichzeitig ist es für viele die erste Begegnung mit Lakritz.

      Seit dem Aufkommen von Schriftkulturen werden solche Erfahrungen auch schriftlich festgehalten und lassen sich dann frühestens auf den assyrischen Tontafeln entziffern, nach denen mit der Süßholzpflanze zur äußerlichen Anwendung medizinische Bäder zubereitet, mit ihren Blättern und Samen Bandagen und Verbände gegen Fußleiden, Schwellungen und Entzündungen im Genitalbereich bestrichen und mit der ausgekochten Wurzel Gelbsucht auskuriert werden konnten. Zur inneren Anwendung klein geschnitten und in Bier gegeben, half die Wurzel bei Husten, und ihr Sud war ein beliebtes Klistier. Darüber hinaus stand die babylonisch-assyrische Medizin im Dienst der Astrologie, wodurch die Glycyrrhiza einen magischen Platz erhielt, denn sie zählte zu einer der 51 Pflanzen, um einen Zauber zu entkräften. Zusätzlich bereicherte sie als Genussmittel neben Früchten und Nüssen jedes assyrische Festmahl.2

      Von ebensolcher Vielfalt wie in Assyrien sind auch die Belege über die Anwendung der Süßholzpflanze (madhuka/yastimadhu) in Indien. Zwar gibt es in Indien selbst keine nennenswerten Süßholzpopulationen, doch wurde die Pflanze aus dem mesopotamischen Reich und den angrenzenden Regionen Pakistans und Afghanistans eingeführt. Bekannt ist sie in Indien aus den vedischen Texten des Chirurgen Susruta, die bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. zurückreichen sollen. In der Veterinärmedizin hat sie sich gegen Fieber bewährt und wird in der Humanmedizin als durststillendes Mittel, gegen Grippe und Magenbeschwerden eingesetzt. Den Menschen hilft sie auch als Gegengift gegen Schlangenbisse und ist ein Genussmittel, das den Liebeszauber entfacht.3

      Der indische pharmazeutische Pflanzenschatz hat große Übereinstimmungen mit dem benachbarten chinesischen. Doch in China sind die Pflanzen in ein System der geschlossenen Ordnung eingebunden. Hier zeigt sich besonders deutlich die Entwicklung hin zu einem tradierten Wissen, das systematisch festgehalten wird. Es ist bestimmt von dem Drang des Menschen, das Leben nach Ordnungsprinzipien zu sortieren. Ein solches Prinzip ist in der chinesischen Heilmedizin die Unterteilung der Pflanzen nach bestimmten Klassen, ausgerichtet nach ihrer Wirkung.

      Dies geht unter anderem aus einem der ältesten und bekanntesten Bücher über Ackerbau und Heilpflanzen in China hervor, dem Shen nung pen-ts’ao king aus der Han-Zeit.4 Das Buch ist in drei Bände unterteilt, die jeweils eine bestimmte Klasse von Drogen behandeln. So gibt es in der chinesischen Heilkunde ›Fürsten‹, ›Minister‹ und ›Agenten‹. Die Fürsten sind unschädlich und können nach Bedarf beliebig lange eingenommen werden. Die Minister sollen hingegen mit Bedacht verabreicht werden, während die Agenten giftig sind und nur angewendet werden sollten, wo sie wirklich indiziert sind. In diesem Ordnungssystem verweist gerade die Vielfalt, mit der einzelne Drogen zu Rezepten kombiniert werden, auf den hohen Wissensstand über Krankheiten und ihre Behandlung.

      Die Süßholzwurzel (kan-ts’ao = Honig-Kraut) ist unter den Fürsten eine der wichtigsten Pflanzen. Eine gewisse ›Noblesse‹ ist ihr auch nicht abzusprechen, wenn wir die Illustration eines Arzneibuches aus der Shao-hsing-Periode (1159) betrachten.

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      Abb. 5 kan-ts’ao, Süßholzzeichnung der Shao-hsing-Periode (1159)

      Das ältere ›Shen-nung pen-Ts’ao‹ rechnet sie bereits zu den lebensverlängernden und verjüngenden Drogen. Außerdem zählt sie neben Ingwer zu den Mitteln, die alle Gifte paralysieren und steht symbolisch für Stärke und Ausdauer. Sie wird geröstet, gedörrt, in Wasser oder Wein mit Ingwer geschmort oder gekocht. Darüber hinaus wird sie in Verbindung mit Ministern und Agenten eingesetzt: als ›aufbesserndes Mittel‹ bei ›Kälte des Magens‹, als ›regulierendes Mittel‹ bei Erbrechen, als ›schweißtreibendes Mittel‹ bei ›heißer Haut und innerer Kälte‹, als ›antidyspeptisches Mittel‹ bei Schweißausbrüchen, Völlegefühl und Erkältung, als ›pneuma-regulierendes Mittel‹ bei ›inneren Schädigungen durch übertriebenen Geschlechtsverkehr‹, ›Leere des männlichen Prinzips‹ und Erkältungskrankheiten, als ›windvertreibendes Mittel‹ bei Kopfschmerzen, getrübtem Blick, Nacken- und Rückensteifheit, Krämpfen, Verwirrtheit, Sprachstörungen, Gefühllosigkeit, Hitze, Frost, Wahnideen und Schlaganfall, als ›kältevertreibendes Mittel‹ bei unwillkürlichem Urinabgang mit mangelndem Durstgefühl, Erbrechen, Durchfall, Leibschmerzen, als ›hitzevertreibendes Mittel‹, als Husten-Mittel, als Mittel gegen Schwindsucht, Geschwülste, zur Geburtshilfe und Gynäkologie, bei Augenleiden und Gonorrhoe. Und dies sind nur einige Beispiele zur Anwendung von Süßholz in der chinesischen Heilkunde, die der Experte Franz Hübotter zu berichten weiß.5

      Ein solcher Wissensschatz blieb natürlich nicht unentdeckt oder ließ sich hinter Mauern verbergen. Vielmehr hatte China mit seinen angrenzenden Ländern auch einen regen Wissensaustausch. Ein Indiz für diesen Transfer liefern die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern China und Indien. Dass dabei nicht nur mit Waren gehandelt wurde, deutet eine Legende an, wonach im Jahr 648 v. Chr. der Kaiser von China einen Gesandten nach Indien geschickt haben soll, welcher mit einem hinduistischen Gelehrten zusammentraf. Dieser erzählte dem Gesandten, er sei 200 Jahre alt und besitze ein Rezept für die Unsterblichkeit, woraufhin sofort nach Erhalt des Berichtes eine zweite chinesische Delegation abgeschickt wurde, um diesen ›Stein der Weisen‹ zu suchen.

      Ebenso gab es enge Beziehungen zwischen dem assyrischen Reich und China, und auch Indien war eng mit dem mesopotamischen Assyrien und Persien verbunden. Hier wurden die Waren über den See- und Landweg hin- und hertransportiert. Jedoch gibt es keine Anhaltspunkte, dass zu dieser Zeit über weite Entfernungen auch mit der Süßholzwurzel ein Handel getrieben wurde. Was sich einerseits daraus erklären lässt, dass die Wurzel zwar leicht von Gewicht, aber als Gehölz sehr sperrig ist und viel Platz einnimmt, während der Ertrag nur gering ausfällt. Andererseits bestand auch keine Notwendigkeit, mit ihr Handel zu treiben, da zumindest China und Mesopotamien selbst über große Ressourcen des wild-wachsenden Schmetterlingsblütlers verfügten.

      Einen Hinweis, dass es sich lediglich um einen Wissensaustausch handeln könnte, während die Pflanze auf eigenem Territorium wuchs und nur entdeckt werden musste, liefert die Bemerkung des griechischen Botanikers Theophrast von Eresos (372-288/7 v. Chr.), einem Zeitgenossen und Schüler des Aristoteles. Er hielt fest, dass die Skythen, ein Nomaden- und Reitervolk (9. Jh. v. Chr.-3. Jh. n. Chr.), auf ihren langen Reisen das Süßholz (Glykeia) als Reiseproviant mit sich führten:

      »Süß ist auch die skythische Wurzel, ja sie wird von manchen geradezu Süßwurzel genannt. Sie wächst an der Maiotis [Asovsche Meer]. Sie ist gebräuchlich gegen Asthma, trockenen Husten und überhaupt bei Brustbeschwerden. Auch gegen Wunden wird sie mit Honig gegeben. Sie vermag auch den Durst zu stillen, wenn man sie im Munde hält. Daher sollen die Skythen mit derselben und Hippake [Ziegenmilch] elf bis zwölf Tage lang aushalten können.«6

      Die Glycyrrhiza wächst tatsächlich auf dem ehemaligen Territorium der Skythen, das von den weiten südsibirischen Steppen über den Kaukasus bis zum Schwarzen Meer und dem Donaudelta reichte und dessen südliche Grenzen an China, Indien und Mesopotamien grenzten. Durch Eroberungszüge erstreckte sich ihr Gebiet zeitweise sogar bis nach Ägypten. Dass die Skythen auf ihren langen Strecken die Wurzel als Wegzehrung mit sich führten, sie hoch