Lakritz. Klaus-D. Kreische

Читать онлайн.
Название Lakritz
Автор произведения Klaus-D. Kreische
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783941895850



Скачать книгу

Wirkung von reiner Saccharose (Rüben- und Rohrzucker) hat.

      In Europa erfolgt die Ernte vom Spätherbst bis zum Frühjahr, bevor der neue Austrieb beginnt. In dieser Zeit hat der Strauch sein Laub verloren, und es kommt bis zur nächsten Regenperiode zu einem Wachstumsstopp. Bei der Ernte wird mit der Hacke oder dem Pflug der Boden umgepflügt und die Wurzel mit der Egge eingesammelt. Hierzu sind zwei Varianten überliefert. Zum einen bleibt die Hauptpfahlwurzel stehen, und es kommen nur die Ausläufer zur Ernte. Die Erntehelfer schneiden die Stolonen mit dem Messer ab und ziehen sie mit der Hand aus der Erde heraus. Zum anderen sammeln die Helfer die ganzen Wurzeln mit den Ausläufern ein, schichten sie auf Haufen und lagern sie über Nacht. Anschließend werden die Ausläufer und Wurzeln gewaschen, geputzt und meist durch oberflächliches Abschaben von den Nebenwurzeln befreit. Flinke Arbeiterhände zerteilen dann die Wurzelstöcke in 10 cm lange Stücke, um sie in einer Mischung aus Sand und Erde über den Winter zu lagern, und im Frühjahr wieder einzupflanzen. Währenddessen kommen die Ausläufer entweder roh in den Handel oder werden zum Süßholzextrakt weiterverarbeitet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbrachten die Felder mit wildwachsenden Pflanzen einen durchschnittlichen Ernteertrag von 1000 kg Süßholz pro Hektar. Der Ertrag bei Süßholzkulturen lag sogar bei 5000 kg pro Hektar.

image

      Abb. 4 Säubern und sortieren der frischgeernteten Wurzel (ca. 1900-1910)

      Der erste Schritt vor der Weiterverarbeitung der angeschnittenen geernteten Wurzelausläufer ist der Trockenprozess an der Sonne oder in eigens eingerichteten Trockenräumen, um eine Schimmelbildung zu vermeiden. Nach der Trocknung werden die Ausläufer gewaschen, zerschnitten, in einer Mühle zerquetscht und anschließend mit Wasser ausgekocht. Der Kochprozess setzt auch die Kohlenstoffe frei, die dem Lakritz seine schwarzbraun bis schwarze Farbe verleihen. Anschließend wird der Sud ausgepresst, bis die Süßholzmasse vollkommen ausgelaugt ist. Nach dem einfachen Verfahren dampfen die Arbeiter den gewonnenen Saft in Kesseln unter fortwährendem Umrühren ein. Der Sud kann auch mehrmals durchgefiltert und aufgekocht werden, bevor er zur Lakritz-Masse reduziert wird. Darüber hinaus wird der Lakritz-Masse heute durch das Vakuumverfahren die Feuchtigkeit entzogen. Allgemein erhält man aus fünf Teilen frischer Wurzel einen Teil fertiger Ware – den Lakritz-Extrakt ›Succus Liquiritiae‹.

      Aus dem Succus lassen sich die schwarzen Lakritz-Blöcke bzw. -Brote (5 kg schwere Quaderblöcke), Stangen oder Pastillen formen. Nach dem Trocknen auf hölzernen Platten werden die Blöcke und Stangen in Lorbeer eingewickelt, um Bruch und Feuchtigkeit zu vermeiden. Die Pastillen kommen in Dosen in den Handel.

      Die Qualität des Succus lässt sich besonders gut an den Lakritz-Stangen überprüfen. Sie besitzen je nach Sorte verschiedene Durchmesser und verschiedene Längen (1-2,5 cm dick und 11-20 cm lang), sind schwarz, außen glatt und in der Wärme biegsam. Vollständig ausgetrocknet, lassen sie sich leicht zerbrechen. Die Bruchflächen sind dann muschelig, glänzend schwarz und zeigen einzelne Luftblasen.

      Während die Stangen und Pastillen direkt als Endprodukt verzehrt werden, sind die Lakritz-Blöcke der Ausgangsstoff für die Süßwarenherstellung. Sie finden aber auch in der Tabak- und Pharmaindustrie ihre Verwendung. Blocklakritz hat etwa folgende Zusammensetzung: 18 % Wasser, 18 % Glycyrrhizin, 11 % Sacharide, 28 % Gummi und Stärke, 20 % Farb- und andere Extraktstoffe und 5 % Asche.15

      Um das süße Weichlakritz herzustellen, werden diese harten, schwarzen Blöcke aus Süßholzsaft in heißem Wasser aufgelöst und anschließend mit den verschiedenen Zutaten vermischt. Dazu gehören Zucker (Saccharose, Invertzucker oder Rohrzuckermelasse), Mehl oder Stärke (Glucosesirup), Bindemittel (Gummiarabikum, Gelatine usw.), sowie geruchs- und geschmacksgebende Aromastoffe. Bei der Herstellung spielen noch die Temperatur der Verarbeitung (70-80° C bzw. 100-120° C), die Trocknungszeit und die Feuchtigkeit der Lakritz-Masse eine Rolle.16

      Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen der naturreinen, harten Lakritze und dem Weichlakritz ist der Glycyrrhizin-Gehalt, dem wichtigsten Inhalts- und Wirkstoff der Süßholzwurzel. Der Gycyrrhizin-Gehalt schwankt je nach Herkunft der unbearbeiteten Wurzel zwischen 6 und 25 %. Er liegt bei vakuumbearbeiteten Präparaten mit 20-25 % deutlich höher gegenüber einer Behandlung durch das Auskochen mit 10-15 %.

      Bei naturreiner Lakritze beträgt der Gehalt an Glycyrrhizin also mindestens 6 %. Diese Form kann naturrein belassen oder aber mit Gummiarabikum, Stärke und Glucose angereichert und mit Minze, Anis, Veilchen und anderen Geschmacksnoten aromatisiert werden. Bei Weichlakritz beträgt der Glycyrrhizin-Gehalt mindestens 1 %. Darüber hinaus gibt es auch Süßigkeiten mit Lakritze, in denen der Süßholzsaft nur für den Geschmack verwendet wird.

      Demnach ist der Inhalt nicht immer identisch mit dem, was die Verpackung verspricht. So wurde früher der reine Lakritzensaft in betrügerischer Absicht durch die Extrakte von Quecken, Löwenzahn, Zichorien, Schwefeleisen oder Tonerde verfälscht, oder das Süßholzpulver mit Mehl, pulverisierten Olivenkernen oder Curcuma versetzt. Abgesehen von diesen Eskapaden einiger gewinnsüchtiger Unternehmer war es weit verbreitet, den Succus mit Kirsch-, Pflaumen- und Aprikosenmus einzudicken, bevor daraus das süße Konfekt entstand.

      2 Tradiertes Wissen – Im Fokus der antiken Wissenschaft

      Ganz selbstverständlich führen wir heute das Süßholz in unserem Arzneischatz und genießen seine verspielte Variante – Lakritz. Dabei beruht unser Wissen auf jahrtausendalten Überlieferungen, die eine Transformation von der Wurzel zum süßen Konfekt erst möglich gemacht haben. Dieses Wissen gilt es nun aufzuspüren. Doch sind die Wege lang und weit, die der Spurensucher auf der Zeitskala zurücklegen muss, um Informationen über Lakritz zu erhaschen. Aus dem Lichtermeer der heutigen Zeit führen sie zurück zu einem gebündelten Lichtstrahl, der sich in kleine, flackernde Lichter auflöst. Solche flackernden Lichter sind die Quellen und Zeugnisse, die wir über die Süßholzwurzel aus der Zeit der Antike haben.

      Einen frühen Hinweis auf die Glycyrrhiza gibt eine Passage des Hedammu-Mythos, nach dem die Göttin Ištar die Begierde der ›alles-verschlingenden‹ Schlange Hedammu nur durch Süßholz einzudämmen wusste.1 Erzählt wurde diese Geschichte von den Hethitern (ca. 1700-700 v. Chr.), einem kleinasiatischen Volk des Altertums. Andere Quellen benennen die Gesetzessammlung des babylonischen Königs Hammurabi (1728-1686 v. Chr.) als erste namentliche Erwähnung der Süßholzpflanze. Darüber hinaus verweist eine Drogenliste, die im assyrischen Mesopotamien (17. Jh-609 v. Chr.) auf der Tontafel URU.AN.NA eingeritzt wurde, im 12. Jahrhundert v. Chr. auf die assyrische Entsprechung für die Süßholzwurzel – Šūšu. Ebenso enthalten zwei Rezepte gegen Gelbsucht, wiederum auf assyrischen Tontafeln aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., Šūšu als Wortschöpfung. Danach vergehen weitere 400 Jahre, bevor die nächsten schriftlichen Zeugnisse datierbar sind, diesmal neben Asien auch in Europa.

      In China wird die Wurzel als Heilmittel benannt, in Europa ist das antike Griechenland der Ort, an dem die Wurzel in Pflanzenbüchern beschrieben wird. Von Griechenland ausgehend, verdichten sich dann die Informationen über den medizinischen Gebrauch der Wurzel im Römischen Reich und verlieren sich nach dessen Untergang.

      Diese Aufzählung nach Daten und Orten über die erste historische Erwähnung der Glycyrrhiza markieren Schnittpunkte in einem Koordinatensystem, das nicht nur Zeugnis von ihrer Existenz ablegt, sondern auch ihre Verwendung als medizinische Heilpflanze dokumentiert. Darüber hinaus enthalten sie Informationen über den Hintergrund jener Kulturkreise, die sie verwendeten.

      Zunächst spiegeln die heutigen Informationen aber einen Wissensstand wieder, der auf einer langwierigen Erforschung beruht und einer solchen Benennung vorangeht. Dieser Forschungsprozess um den medizinischen Einsatz wirkungsvoller Pflanzen und ihrer richtigen Dosierung bestand anfangs aus kleinen, mühsamen Schritten. Es begann mit der Auswahl der richtigen Pflanze, die entweder als Ganzes oder in ihren Bestandteilen als Samen, Blüte, Blatt, Stiel oder Wurzel verwendet wurde. Dann ging es an die Verbesserung der Anwendung in unterschiedlichen Aggregatzuständen: roh, getrocknet, gekocht, gedörrt, gepresst, zerkleinert, als Pulver oder Saft.

      Die erste Erfahrung mit den Wurzeln des Schmetterlingsblütlers, auf die sich