Название | Lakritz |
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Автор произведения | Klaus-D. Kreische |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895850 |
Vor allem waren es aber Wissensreisende, die fremde Länder erkundeten und dort einen Wissensschatz aufnahmen, den sie in ihren eigenen Kulturbereich zurückbrachten. Einer dieser Reisenden war auch jener Theophrast von Eresos, der den Hinweis über die skythische Wurzel lieferte. Seine Kenntnisse von den exotischen Gewächsen hatte Theophrast weder vom Hörensagen noch aus anderen Schriften, sondern er stützte sich auf eigene Beobachtungen, die er auf seinen ausgedehnten Reisen machen konnte. Aufnahme fand dieses angesammelte Wissen im Lykeion (Scholarch) von Athen, einer von Aristoteles gegründeten philosophischen Schule, die unter seiner Leitung stand. Dem analytischen Anspruch dieser Schule folgend, sollten hier Phänomene wie Leben und Tod, Krankheit und Heilung erklärt werden.
Das Verdienst von Theophrast war nun, schon früh die Botanik systematisch zu erfassen, und die Herkunft von Pflanzen und ihre Anwendung zu beschreiben. In seinen Hauptwerken der ›Geschichte der Pflanzen‹ (Historia plantarum) und Ursachen derselben (De causis plantarum) sind über 500 Pflanzen (Arznei- und Giftpflanzen) verzeichnet, deren größter Bereich die Abhandlung über die Wurzeln und deren Säfte ausfüllt. Theophrast unterscheidet hier die Wurzeln nach ihrem Geschmack und Geruch: die einen schmecken scharf, bitter, die anderen mild, süß; die einen haben einen widerlichen, die anderen einen angenehmen Geruch. Während er das Einsammeln der Wurzeln zur Herbstzeit empfiehlt, wird der Saft aus der Wurzel entweder im Früh- oder im Hochsommer ausgezogen. Hierzu werden die Wurzeln zerrieben und mit Wasser zu einer dicken Brühe aufgekocht. Diese Richtlinien hatten lange Zeit auch für die Ernte und Weiterverarbeitung der Süßholzwurzel Gültigkeit.
Ein Handel mit der Süßholzwurzel nach Griechenland, wie er sich bei Theophrast andeutet, ist aber historisch nicht nachgewiesen. Er war hier ebenfalls nicht notwendig, da wilde Vorkommen der Pflanze an den Küsten des Schwarzen Meeres auf griechischem Territorium zu finden waren. Hierzu liefert uns Theophrast in seiner Beschreibung das wichtige Indiz: Das Süßholz gedeiht an der Maiotis, dem Asowschen Meer. Dieses Meer, angrenzend an das Schwarze Meer, wurde in Vorzeiten von den Skythen besiedelt.
An der benachbarten Nordküste des Schwarzen Meeres lebten die Pontos-Griechen, die verbrüdert mit den Hellenen waren, aber im Widerstreit mit den Skythen lagen und auch lange der Unterwerfung durch die Römer trotzten. Zu den hartnäckigsten Gegnern Roms zählte wiederum der König von Pontos, Mithridates VI. Euphator (136-63 v. Chr.), ein weiterer Zeuge der Süßholzpflanze. Dieser unbezwingbare Rivale der römischen Macht erlag zu seinen Lebzeiten der pharmazeutischen Kunst. Aus Angst, von seinen Feinden vergiftet zu werden, begründet durch seine Grausamkeit und seine heftige Leidenschaft, erprobte er an Sklaven, Verbrechern und Tieren alle ihm bekannten giftigen Substanzen, mit dem Ziel, ein allgemein wirksames Gegengift (Antidot) zu finden. Er selbst nahm täglich ein gewisses Quantum an Gift und Gegengift und gewöhnte sich dermaßen an den Gebrauch, dass er es im Augenblick seiner letzten Niederlage nicht vermochte, sich selbst mit einem geeigneten Gift zu töten. Insbesondere eines seiner Mittel, bestehend aus 54 verschiedenen Substanzen, zu denen auch die heimische Süßholzwurzel zählte, erlangte Weltruhm und wurde folglich nach ihm ›Mithridaticum‹ benannt.
In seiner pharmazeutischen Schöpfungskraft konnte sich Mithridates auf die Heilkunde der griechischen ›Empirischen Schule‹ berufen, nach deren Lehre alle verfügbaren Mittel zu Kompositionen (Mischungen) vereinigt wurden. Sie handelte gemäß dem Glauben, dass alles, was sich im Einzelfall bewährt, auch in gemengten Substanzen bei komplizierten Krankheiten und mit zahlreichen Symptomen helfe. Eine Spezialität aus dieser Zeit sind die Latwerge (Electuarium), bei denen gemischte Pflanzenpulver oder Pflanzenauszüge zu einer marmeladenartigen Masse aufgekocht und als Mus, Brei oder Paste verabreicht werden. Noch bis ins Mittelalter war Süßholz ein Bestandteil dieser Latwerge. Die Verwendung in Latwergen bewirkte jedoch, dass ihre Einzelwirkung lange Zeit unterschätzt wurde und sie nur in abenteuerlichen Kombinationen erhältlich war.
In der Antike zählten solche Kompositionen nicht nur zur geheimen Kunst des Arztes. Ihrer bemächtigten sich auch Feldherren und Herrscher, die schließlich, wenn schon im Leben versagt, als Namensgeber einer solch unnachahmlichen Mischung in die Weltgeschichte eingehen konnten und dadurch Unsterblichkeit erlangten. Die Kunstfertigkeit des Mithridates war jedoch bereits zu seinen Lebzeiten so berühmt, dass kurz nach seinem Hinscheiden der römische Feldherr Pompeius (106-48 v. Chr.) die Rezeptsammlung des König von Pontos übersetzen und als eine der Siegestrophäen nach Rom bringen ließ. In Rom wurde das Rezept ›Mithridaticum‹ von Andromachus (54-68 n. Chr.), dem Leibarzt Neros, korrigiert und die Anzahl der Substanzen auf 64 vermehrt. Neben Opium, Honig, Wein und dem Drüsensekret Bibergeil fügte er als wirksamste Kraft noch das Fleisch von frisch getöteten Vipern hinzu. Der Physiker Servilius Damocrates (1. Jh. n. Chr.) hielt die Herstellung dieses Trankes in Gedichtform fest und benennt in einer Verszeile das Süßholz: »Mische hinzu die gleiche Menge von schwarzer Süßholzwurzel mit ihren honigsüßen Zweigen«.7
Seine Komposition bezeichnete Andromachus als ›Theriak‹, und pries sie mit der Fähigkeit an, auch ›die widerwärtige, schweratmige Pest‹ zu heilen. Der ›Theriaca Andromachi‹ erlangte neben dem ›Mithridaticum‹ bis in die frühe Neuzeit als Universalheil- und Wundermittel eine hohe wirtschaftliche Bedeutung.8 Ein Umstand, der auch für die Geschichte des Lakritzes von Interesse ist. Denn die strikte Einhaltung des Rezeptes für diese ›Königin der Arzneimittel‹ machte die Süßholzwurzel für viele Jahrhunderte zu einem unabkömmlichen Bestandteil in den Regalen der Ärzte und Apotheker.
Abb. 6 Bestandteile des Theriak (1975)
Mit der Übernahme des medizinischen Heilschatzes des Königs von Pontos durch die feindlichen römischen Eroberer wird auch auf einen anderen Bereich hingewiesen, für den das Süßholz eine Bedeutung hatte – die Kriegsmedizin. Dass die süße Wurzel ebenfalls zu ihrem Kriegsproviant zählte, wird immer wieder von großen Armeen berichtet. Diese Tradition reichte bis in den I. Weltkrieg, als französische und türkische Soldaten mit Süßholzstangen ausgestattet waren.9 Früher sollen zunächst die Truppen Alexanders des Großen (356-323 v. Chr.), dann auch die römischen Soldaten die durstlöschende Wurzel als eiserne Ration im Tornister getragen haben. Dies sind jedoch Vermutungen, da zeitgenössische Berichte nirgends eine Mitteilung über den militärischen Gebrauch von Süßholz in der Antike aufweisen.10
Unbestritten ist jedoch, dass Alexander durch seine Feldzüge der griechischen Welt neue Handelsmöglichkeiten mit dem Orient eröffnete. Hierdurch gelangten exotische Substanzen aus Ägypten und Indien, wie Hyänengalle, Blut von Krokodilen oder Schildkröten, Kamelurin, gesprenkelte Echsenköpfe und dergleichen mehr, nach Griechenland. Zu seiner Zeit kommt die süße Wurzel in einem Rezept aus Makedonien vor. Das Antidot stellte der berühmte Chirurg und Pharmakologe Neilus um 320 v. Chr. für den Antipater zusammen. Die Überschrift »antidotus tyrannis dicta, ut Nilus Antipatris« lässt den Schluss zu, dass es sich bei dem Antipater um den Reichsverweser von Alexander dem Großen gehandelt habe, der 319 v. Chr. starb. Durch die Feldzüge Alexanders könnte die Pflanze auch in Ägypten bekannt geworden sein, wo inzwischen auch griechische Könige herrschten und Alexandria zum neuen Mittelpunkt des geistigen Lebens wurde. Jedenfalls mischte sich im 1. Jh. v. Chr. Mithridates von Pergamon (gest. 46 v. Chr.), der illegitime Sohn des Königs von Pontos und einer Konkubine, während des Alexandrinischen Krieges zwischen Julius Caesar und dem ägyptischen König Ptolemaios XIII., sein eigenes Antidot und griff dabei auf das Süßholz des Landes zurück.11
Auch für Rom bedurfte es keiner Einfuhr aus den weit entlegenen Regionen Chinas, Mesopotamiens oder der kaukasischen Steppe. Schließlich gehörte der gesamte Mittelmeerraum in seiner Blütezeit zum römischen Reich. Regionen mit einer natürlichen Population des Schmetterlingsblütlers Glycyrrhiza, wie Spanien, Südfrankreich, Syrien, Kilikien, Griechenland und die Küsten des Schwarzen Meeres waren Vasallenstaaten oder besetzte römische Gebiete. Demzufolge tauchte die Süßholzwurzel auch im römischen Arzneimittelschatz zu Beginn der Zeitrechnung auf.
Zunächst mussten die ersten medizinischen Schriften aber noch die Skeptiker über die Wirksamkeit von Medikamenten überzeugen. Dies gelang insbesondere dem Enzyklopädisten Aulus