Название | Lakritz |
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Автор произведения | Klaus-D. Kreische |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895850 |
Im gleichen Zeitraum, wie der unbekannte Autor der ›Englischen Staatsklugheit‹ die spanischen Galeeren mit Süßholz an den englischen Küsten vorüberziehen sah, soll sich auch ein französischer Staatsmann um die Verbreitung der Pflanze verdient gemacht haben. Es ist Jacques Cœur (1395-1456), der Kaufmann aus Bourges und Schatzmeister des französischen Königs Karl VII., ein kluger Geschäftsmann und Abenteurer seiner Zeit, dem am Ende seines Lebens durch eine Intrige der Mord an der Favoritin des Königs, Agnès Sorel, vorgeworfen wurde. Durch seine Verbindungen mit dem Hause Aragon, dessen Königreich auch Sizilien und Süditalien einbezog, hatte er rege Handelsbeziehungen nach Neapel. Die Schiffe seiner Handelsflotte sollen, unbestätigten Quellen zufolge, von hier das kalabresische Süßholz nach Marseille und Montpellier mit sich geführt haben. Ein solcher Handel zwischen Sizilien und Marseille wird jedoch bereits im 12. Jahrhundert erwähnt. Demnach hatte ein französisches Schiff in Italien 17 Pack (etwa 480 kg) gebündeltes Süßholz (faisos Liquiricie) an Bord genommen.16
Über das Mittelmeer und die Levante kamen mit der französischen Handelsflotte aber auch andere, seltene Spezereien nach Europa – so zum Beispiel das Gummiarabikum, das bis in die heutige Zeit als natürliches Bindemittel für die Lakritz-Herstellung eine wichtige Rolle spielt.17 Ursprünglich wurde das Gummiarabikum in Ägypten eingeschifft. Hierher kam das Beste aus der senegalesischen Akazie gewonnene Harz, von der Westküste Afrikas. Es wurde quer durch den ›arabischen‹ Kontinent zu den Häfen der Levante transportiert, was ihm auch seinen Namen gab. Dieser Handelsweg verkürzte sich, als 1364 französische Kaufleute aus Dieppe die westafrikanische Küste ansteuerten, das Gummiarabikum aus dem Senegal ausführten und vor Ort eine Handelsgesellschaft gründeten, die von nun an den europäischen Kontinent auf direktem Wege mit dem teuren Harz versorgte. An dem Handel mit Gummiarabikum beteiligte sich auch Jacques Cœur, dessen Schiffe in den französischen Mittelmeerhäfen anlegten.
Montpellier, eines der Zentren seiner Handelstätigkeiten, stand im Mittelalter ebenfalls unter dem Szepter des Hauses Aragon und unterhielt Konsulate in Accon, Tyrus und Tripolis. Die Stadt lag an der mittelalterlichen Salzstraße und war eine Station auf dem Jakobsweg, der zahlreiche Pilger zum Grab des heiligen Apostels Jakob nach Santiago de Compostela führte. Bereits im 12. Jahrhundert bezeugte der Rabbiner Benjamin bar Jona aus Tudela in Kastilien in seinem Reisebericht den frühen Handel in Montpellier.18 In diese Zeit wird auch die Legende über schlaue Händler angesiedelt, die mit kleinen Lakritz-Honigkugeln das Wechselgeld aufrundeten, das sie an die Pilger des Jakobswegs herausgaben, wenn diese auf ihrem Weg nach Santiago de Compostella in der Basilika Notre-Dame-des-Tables eine Pause einlegten.19
Parallel zum Handel hatte sich Montpellier auch zu einer bedeutenden mittelalterlichen Universitätsstadt mit einer starken medizinischen Fakultät entwickelt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass mehrere chirurgische Schriften im 13. Jahrhundert den ›Succus liquiritiae‹ erwähnen und selbst die Empfehlung zum Befördern des ›Zahnens‹ bei kleinen Kindern, niedergeschrieben von dem italienischen Arzt Aldebrandino di Siena (1256), aus Montpellier stammt.20 Für den Gründer der Universität, den Burgunderkönig Phillip IV. (1268-1314), wurde auch eine Handschrift des Platearius (der sog. Codex Hamilton) angefertigt, die eine frühe Abbildung einer stilisierten Süßholzwurzel enthält.
Abb. 8 Liquirite, Abbildung des Codex Hamilton (13. Jh.)
Ebenfalls in Montpellier soll das erste pharmazeutische Konfekt hergestellt worden sein. Diese Behauptung stützen die Manuskripte des berühmten Anatomie-Professors Bénédicitin (1494-1553). Nach seinen Rezepten hätten ortsansässige Apotheker kleine Lakritz-Dragées hergestellt, die als Glücksbringer von den Absolventen der Fakultäten verteilt wurden.21
Die Süßholzwurzel wurde jedoch nicht nur über die Handelszentren eingeschifft und in den Handels- und Messestädten angeboten, sondern auch in heimischen Gefilden angebaut. Wo es die Bodenbeschaffenheit und die klimatischen Bedingungen zuließen, war die Wurzel ein Bestandteil der Kräutergärten. Diese waren nach dem Vorbild der Klostergärten ausgebaut und gehörten den Apotheken oder wurden von Städten und Gemeinden angelegt. In solchen Gärten, so genannten Viridarien, zogen die Apotheker einen Teil ihrer Arzneipflanzen, die zur Ergänzung des Drogenbestandes, aber auch dem Studium dienten, selbst heran. Erst durch einen solchen Anbau wurde die Süßholzwurzel vollständig in den europäischen Arzneimittelschatz integriert.
Frühe Anzeichen für den Pflanzenanbau liefert bereits die erste christliche Weltchronik des Sextus Julianus Africanus aus Jerusalem (3. Jh. n. Chr.). Er schrieb, dass der Wein fruchtbarer werde, wenn man Süßholz dazwischen pflanze. Enthalten ist diese Empfehlung in der ›Geoponica‹, einem Sammelwerk über den Landbau, das Kaiser Konstantin VII. von Byzanz während seiner Regierungszeit (912-959) anlegen ließ. Noch zu seiner Zeit galt, dass Süßholz die Fähigkeit habe, Weinstöcke zum reichlichen Tragen zu bringen.22
Ungeachtet dieser Quelle konkurrierten bis ins 20. Jahrhundert vor allem Spanien und Italien um die Vorherrschaft, die Pflanze als erste kultiviert zu haben, obwohl in beiden Ländern Regionen mit wildwachsendem Süßholz vorhanden sind. Vor allem in Italien gilt Plinius’ Bemerkung über die sizilianische Wurzel als Beweis, das älteste süßholzkultivierende Land in Europa zu sein. Doch erst 1076 wird ein möglicher Anbau in Florenz erwähnt, der durch Steuerabgaben an ein städtisches Kloster in Form von ›rigritia‹ nachweisbar sei.23 Dies ist jedoch kein Beweis für einen Anbau in Italien. Vielmehr bedurfte der Süßholzstrauch in diesen Regionen keiner besonderen Pflege, sondern er war als Wildwuchs verbreitet. Erst am Anfang des 14. Jahrhunderts (1305-1309) beschrieb der Botaniker und Jurist Petrus de Crescentiis (1230-1321) aus Bologna in einem weit verbreiteten und viel gelesenen Buch einige Sätze über die Regeln beim Anbau. 1518 kam dieses Werk in einer deutschen Übersetzung in Straßburg heraus.24 Darin heißt es, dass die Wurzel einen leichten sandigen Boden begehre, um darin zu wachsen, und wenn sein junger Stängel in die Erde gesteckt werde, entstünden daraus andere Wurzeln.
Jedoch ist kaum anzunehmen, dass in Italien die Nutzung der Pflanze im 14. Jahrhundert schon so bedeutend entwickelt war, wie die heutige Ernte vermuten lässt. Vielmehr äußerten sich im Mittelalter die italienischen Autoren etwas verhalten über die italienische Glycyrrhiza. Der italienische Arzt und Botaniker Pietro Andrea Mattioli (1501-1577) schreibt zwar, dass es in großer Menge unter anderem in Apulien und auf dem Berg Gargano wachse und damit gehandelt würde. Doch da, »wo Süßholz einmal hin gepflanz wirdt / da kreucht es hin und wider / und kann schwerlich außgereuttet werden.« Er benennt zudem einen Wildwuchs der Pflanze in der Nähe von Montpellier, der in anderen Kompendien nicht aufgeführt wird.25
Dies alles sind jedoch keine Belege für einen sorgfältigen Anbau der Glycyrrhiza. Ein solcher lässt sich erstmals im 16. Jahrhundert in deutschen Landen finden. Frühe Hinweise liefern zum Beispiel die botanischen Abhandlungen der »Väter der Botanik«, allen voran das »Kreuterbuch« (1539) des Botanikers und Gartenbauinspektors Hieronymus Bock (1498-1554) aus Zweibrücken. In seinen Beschreibungen berücksichtigt er vor allem die Pflanzenwelt seiner engeren Heimat, des Wasgau. Daneben bezog er einige importierte Pflanzen ein, die im Wasgau kultiviert wurden, wie den Mandelbaum, die römische Kamille und das Süßholz.26 Sein Lieferant für die Süßholzpflanze könnte der Besitzer der Nürnberger Apotheke »Zum weißen Schwan«, Georg Öllinger, gewesen sein, der um 1540 einen Kräutergarten anlegte und Hieronymus Bock mit den seltenen Gewächsen aus seinem Garten versorgte.27
Im 16. Jahrhundert trat aber vor allem eine Stadt aus dem Frankenland ins Rampenlicht des Süßholzanbaus – Bamberg. Die Bamberger Gärtnerei – ein Lieferant für jeglichen Genuss – war spezialisiert auf den Anbau von Arznei- und Gewürzkräutern und den Handel mit Gemüsesamen. Das berühmteste Erzeugnis der Bamberger Gartenflur war jedoch das Süßholz.28
Der früheste Bericht über dessen Anbau stammt aus dem Jahre 1520 von Boemus Aubanus (Johannes Boemus, 1485-1536).29 Er schreibt über den Süßholzanbau als eine altgewohnte, längst bekannte Sache, was die Vermutung nahe legt, dass es schon im 15. Jahrhundert angepflanzt wurde. Denn