Название | Lakritz |
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Автор произведения | Klaus-D. Kreische |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895850 |
Solche Kämpfe um Lakritz werden durchaus mit Leidenschaft geführt. Sie durchziehen so manchen Lebensbund. Während der eine Part sich völlig dem Genuss hingibt, überkommt den anderen schlichtes Entsetzen. Glücklich sind jene Lebenspartner, die diese Leidenschaft teilen. Und noch glücklicher, wenn ihre Beziehung durch Lakritz in die Wege geleitet wurde, so wie Siegfried Lenz in ›Eine Liebesgeschichte‹ seine wortkargen Protagonisten, den Holzfäller Joseph Gritzan und die Magd Katharina Knack, mit einer einzigen Frage zusammenführt: »Willst«, sprach er, »Lakritz?«4 Voller Ehrfurcht blicken wir auch auf die Empfindungen von Maria Stuart (1542-1587) für ihren früh verstorbenen Gemahl Franz II. (1544-1560), die zum Andenken ihrem Wappen einen Süßholzzweig mit der Umschrift »Dulcedo in terra«5 (Das Süße in der Erde) beifügte. Damit brachte die Königin von Schottland nicht nur ihre Liebe zum Ausdruck, sondern setzte auch der Wurzel ein unvergleichliches Denkmal.
Rührselig ist dagegen der Liebesschmerz des tschechischen Sängers Václav Neckář. In dem 70er Jahre-Schlager ›Lékořìce‹ beschloss er, seinen Liebeskummer mit Lakritz zu heilen und um sich herum eine undurchdringliche Hecke aus Süßholzpflanzen anzulegen. Diese Geschichte hat etwas Märchenhaftes. Hier fällt nicht die Prinzessin hinter einer Dornenhecke in einen hundertjährigen Schlaf, sondern der Sänger-Prinz verschanzt sich hinter einer Mauer aus Süßholz, die seine Geliebte durchdringen muss, falls sie ihn zurückgewinnen will. Zeitgemäßer sind selbstverständlich die modernen Märchen wie Harry Potter, wo es in dem Süßwarenladen ›Honigtopf‹ in Hogsmeade Zahnweiß-Pfefferminz-Lakritze als Zauber-Snack zu kaufen gibt.
Doch was ist schon zeitgemäß, angesichts einer Geschichte, die sich bis in die Epoche der Hethiter in das zweite Jahrtausend vor Christus zurückverfolgen lässt? Seitdem ist das Süßholz in vielen Kulturen ein hilfreicher Begleiter und spricht sein Produkt, das Lakritz, Menschen aller Altersgruppen an. Die Geschichten und Erlebnisse mit Lakritz prägen sich aber hauptsächlich in unserer Kindheit ein. Welches Kind würde sich nicht den Ratschlag aus Erich Kästners lustiger Geschichtenkiste zu Herzen nehmen, mehr Lakritz zu essen, um lang zu werden?6 Ebenfalls würde doch jedes Lakritz-Kind gerne den Gehorsam verweigern, wenn ihm nach einem italienischen Brauch die Hexe Befana am 6. Januar zu Epiphanias anstelle von Süßigkeiten die ›schwarze Kreide‹ in den aufgehängten Strumpf legt.7
Für uns Erwachsene sind vor allem Lakritz-Pfeifen, Schnecken und Salmiakpastillen ein fester Bestandteil unserer Kindheitserinnerungen. Die Pfeifen wurden zuerst von der Schaumkrone auf dem Pfeifenkopf befreit und dann genüsslich ›geraucht‹, die Schnecken, an zwei Schnüren aufgedreht, ließen sich bis an ihr Ende auseinanderziehen und die Salmiakpastillen, auf den feuchten Handrücken gelegt, hinterließen das erste Tattoo.
Der wohl gewichtigste Memoirenschreiber in deutscher Sprache, der sich noch an das Lakritz aus seiner Kindheit erinnerte, ist Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Für ihn war das Süßholz eine ›Einstiegsdroge‹, um sich danach genüsslich an Schokolade und anderen Süßigkeiten zu ergötzen. Im ersten Teil seiner Autobiographie schreibt er über die Besuche in dem Frankfurter Kolonialwarenladen seiner ›lustigen Tante‹ Johanna Maria Melbert: »… und wenn uns im Laden unter so vielerlei Waren anfänglich nur das Süßholz und die daraus bereiteten braunen gestempelten Zeltlein vorzüglich interessierten, so wurden wir doch allmählich mit der großen Menge von Gegenständen bekannt, welche bei einer solchen Handlung aus- und einfließen.«8
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieb dann der Zeitungsreporter Egon Erwin Kisch (1885-1948) voller Selbstironie die Leiden einer Prager Jugend und machte es sich zur Aufgabe, all’ den ›Dreck‹ zu verzeichnen, den sie ›gefressen‹ hatten.9 Für ein paar Kreuzer redlich erhaltenen Taschengelds oder den erschlichenen Restbetrag nach Kauf eines Radiergummis oder Zeichenheftes erstanden die Jugendlichen ihr Süßholz und Johannisbrot bei ihrer ›Babe‹ im Prager Stadtpark. Diese betagten Verkäuferinnen saßen alle in gleicher Pose vor ihrem Rückenkorb, auf dessen geflochtenem Deckel die Waren und in einer Ecke alte Schulhefte lagen, aus deren Seiten sie Tüten drehten. Dort hinein füllten sie den ›Pendrek‹, abgeleitet von ›Bärendreck‹, der nach Kischs Dafürhalten zwar scheußlich schmeckte und den Mund innen und außen schwarz färbte, aber wegen seiner eleganten Form lockte: die feinste Lakritze getarnt als Schnürsenkel.
Solche Geschmackserlebnisse aus unseren Kindertagen sind sicherlich zeit- und grenzenlos. Doch eine Erinnerung scheint für immer zu verblassen – es ist die ›DDR-Lakritzstange‹. Ungefähr 15 cm lang, mit einem Durchmesser von 1 cm, war sie in einer Klarsichtfolie eingepackt, die, wie bei einer Banane, bis zu den Fingern heruntergezogen wurde. Am Anfang war die Stange hart, doch sobald sie mit der Mundfeuchte in Berührung kam, wurde sie weich. So weich, dass letztendlich der ganze Mund damit vollgeschmiert wurde und alles nur noch klebte. Überhaupt war die Haupteigenschaft der DDR-Lakritzstange, nach Zeitzeugenberichten, das Kleben. Denn sobald die Stange verzehrt war, setzte sich der Genuss durch das Ablecken der klebrigen Reste an den Fingern, Händen, Hemdchen und Kleidchen fort.10 Die ungebrochen hohe Nachfrage dieser längst verschollenen Lakritzstange bestätigt allerdings die Macht der Erinnerungen, die an Kindheitserlebnisse geknüpft werden.
Den Weg von der Kindheit in die Erwachsenenwelt führen viele mit einem ungebrochenen Lakritz-Konsum fort. Andere erinnern sich erst später wieder an die Leckerei, wenn die ersten Malaisen auftauchen, der Hals kratzt, der Sod brennt oder der Magen rumort. Dann wird aus dem Lakritz ein ständiger Begleiter, der hilfreiche Antworten in Gesundheitsfragen gibt.
Für den Erwachsenen wie für das Kind sind es aber nach wie vor die Begriffe der Verführung, wie Süßigkeit, Leckerei, Schleckerei, Nascherei, die mit Lakritz in Verbindung gebracht werden. Dabei offenbart sich uns hier nur die bekannteste Seite des Lakritzes. Weniger bekannt ist, dass dieser Teil der Geschichte im Vergleich zu der Geschichte anderer Süßmittel wie Honig und Zucker jung ist. Erst seit der Renaissance ließ sich die Freude erahnen, die Lakritz heute als Nascherei hervorbringt. Und wer ein Jahr für die Erfindung des Lakritz-Konfekts festsetzen möchte, wie dies gerne von englischen Traditionalisten geschieht, die den Beginn des Weichlakritzes in das Städtchen Pontefract verlagern, so käme er mit der Jahresangabe 1760 gerademal auf 250 Jahre. Auch dies ist im Vergleich zu der 3500-jährigen Geschichte, die das Süßholz seit seiner frühesten Benennung in der Medizin spielt, kein Alter. Mein Anliegen ist es aber, gerade die tausendjährige Geschichte der Süßigkeit aufzuspüren. Schließlich erzählt der Werdegang von solch schlichten, alltäglichen Substanzen ein Stück der Weltgeschichte und ihrer Wandelbarkeit.
Die Komplexität, die sich nach einigem Herumstöbern offenbarte, führte dazu, das Thema einzugrenzen. Deshalb handelt dieses Buch nicht von dem Gebrauch der Lakritze in der chinesischen und japanischen Tusche- und Tintenfabrikation oder seiner Verwendung als Stiefelwichse preußischer Kürassiere. Es handelt auch nicht von der Nutzung seiner Rückstände als Feuerungsmaterial, als Pappkarton, Pappschachtel oder Korkersatz für Weinflaschen. Auch die Verwendung von Süßholzstäben als Pinsel in der Kattundruckerei oder als Kompost für die Champignonzucht sollen hier nicht beschrieben werden. Ebenfalls ist die medizinische Anwendung bei der Herstellung von selbstauflösenden chirurgischen Instrumenten kein Thema. Dass mit Lakritz der Geschmack und der Geruch von verdorbenem Fleisch verhüllt wurde, geht hier ebenfalls zu weit. Aber der mittelalterliche Einsatz als verdauungsförderndes Mittel bei fettigen, kräftig gewürzten Speisen, der soll uns hier interessieren. Mit anderen Worten, hier steht der heilsame und genüssliche Aspekt der Süßholzwurzel und ihres schwarzen Produkts im Vordergrund!
Die Reise, die wir nun antreten, führt in verschiedene Kontinente und Länder. Der Fokus liegt aber auf Europa, denn auf keinem anderen Kontinent wurde die Süßholzwurzel in dieser Vielfalt genutzt und verarbeitet. Doch es ist nicht nur eine Reise in geographische Gefilde. Vor allem ist es eine zeitliche Strecke, die wir aufgrund der langen Süßholz-Historie mit Siebenmeilenstiefeln durchschreiten.
Darüber hinaus werden die Professionen