Bleierne Schatten. Erik Eriksson

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Название Bleierne Schatten
Автор произведения Erik Eriksson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895522



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großen Belastungen ausgesetzt: Zwei junge Männer waren am späten Abend des Vortages erschossen worden, der eine in einem Restaurant in der City und der andere vor seiner Wohnung in Västberga. Vermutlich gab es eine Verbindung zwischen den Morden.

      Um Mitternacht war in einer Wohnung in Trångsund ein Streit ausgeartet. Acht Personen wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht, die meisten mit Messerstichen.

      Um zwei Uhr nachts mähte ein betrunkener Autofahrer in Huvudsta drei Jugendliche um.

      Etwas später in derselben Nacht wurde eine junge Frau nach einer Vergewaltigung in Fittja schwer mitgenommen aufgefunden.

      Früh am Morgen schoss jemand in dem Lagergelände hinter dem Gasbehälter bei Värtan mit einem Automatik-Karabiner auf drei Mitglieder eines Motorrad-Clubs. Alle überlebten, aber zwei der Männer trugen Bauchverletzungen davon.

      Von all den Gewaltverbrechen, die sich in der Nacht und am Morgen ereignet hatten, beunruhigte die Schießerei bei Värtan die Polizeiführung am meisten. Sie konnte der Anfang eines Krieges zwischen Motorrad-Gangs sein.

      Als Margret zur Arbeit kam, hatte sie die Nachrichten schon im Autoradio gehört. Sie überlegte, dass sie vermutlich zum zweiten oder dritten Mal im Laufe der Woche gezwungen sein würde, die Fälle, an denen sie arbeitete, zur Seite zu legen.

      Aber dazu kam es nicht. Ihr Chef, Lennart Philipsson, war gerade von einem Koordinierungstreffen mit der Führung der Bezirkspolizei gekommen. Nun hielt er eine Lagebesprechung mit den Leuten vom Ermittlungsdezernat ab. Er fasste sich ziemlich kurz, verteilte Aufgaben, benannte neue Projektleiter und erkundigte sich nach dem Stand der laufenden Ermittlungen. Was konnte noch etwas warten, was eilte?

      Lennart Philipsson war zurückhaltend und effektiv. Er wurde dafür geschätzt, dass er immer kurze Besprechungen abhielt. Jetzt bat er, nach dem Treffen mit Margret sprechen zu dürfen.

      »Die Techniker liefern ihren Bericht über den Fall in der Bondegata heute Vormittag ab«, sagte er. »Aber einiges habe ich schon gestern Abend gehört, und zwar genug, um einzusehen, dass wir die Sache weiter verfolgen müssen.«

      »Das kann ich mir vorstellen«, antwortete Margret.

      »Der Obduktionsbericht kommt auch heute.«

      »Okay.«

      »Ich will, dass du den Fall übernimmst, Margret. Aber du wirst für den Anfang allein sein. Wir haben keine Leute, du kennst das ja.«

      »Ja klar, aber das ist in Ordnung. Ich warte auf die Berichte, und dann fahre ich in die Bondegata.«

      »Gut, dann verbleiben wir so. Halte mich auf dem Laufenden. Du bist vorerst deine eigene Projektleiterin.«

      »Nur eine Sache noch: Was weiß die Presse?«

      »Ich habe einige Fragen bekommen und gesagt, dass wir noch nichts wissen.«

      »Haben sie gedrängt?«

      »Nein, nicht besonders. Alte Männer, die im Zusammenhang mit einer Sauferei sterben, haben keinen Nachrichtenwert. Und wir sind uns ja tatsächlich unsicher, nicht wahr?«

      Margret ging in ihr Büro. Sie nahm ihre Notizen aus der Bondegata hervor und las sie durch. Der Todesfall hatte sich vor zwei Tagen ereignet.

      Die Stunden vergingen. Gegen Mittag hatte Margret weder von den Technikern noch von den Gerichtsmedizinern etwas bekommen. Sie ging hinunter ins Aquarium, die Kantine beim Schwimmbecken. Sie bestellte das Tagesgericht: Makkaroniauflauf mit zerlassener Butter.

      Den Kaffee ließ sie aus.

      In dem Moment, als sie zurück ins Büro kam, klingelte das Telefon. Es war einer der Techniker. Ja, sie hatten Spuren an der Herdecke gesichert. Der Mann war genau dort aufgeschlagen, der Schlag musste hart gewesen sein, es gab zahlreiche Hautpartikel, Blut, Haare.

      Und Fingerabdrücke?

      Ja, von mehreren Personen. Es hatte ja ein Fest in der Wohnung stattgefunden, vielleicht waren es die Fingerabdrücke der Gäste, aber das wusste man noch nicht. Wie viele Personen?

      Vier verschiedene Personen, Abdrücke auf Gläsern und Flaschen, auf dem Tisch und der Arbeitsplatte.

      Was sonst noch?

      Haare, Textilfragmente, Zigarettenkippen, also reichlich DNA-Material. Und dann noch Urin und ein paar andere Kleinigkeiten auf der Toilette.

      Ein paar andere Kleinigkeiten?

      Ja, etwas benutztes Toilettenpapier, das neben dem Klo gelandet war.

      Okay, gut, danke.

      Ein ausführlicher Bericht würde folgen. Das wars fürs Erste, aber so war es ja immer.

      Es waren also eine ganze Menge Leute in der Wohnung gewesen. Nun ging es darum, sie ausfindig zu machen.

      Margret fuhr in die Bondegata.

      Die Wohnung war abgesperrt, das Schild der Polizei klebte an der Tür. Margret hatte einen Schlüssel bekommen, da das Dezernat bereits Kontakt mit dem Verwalter aufgenommen hatte.

      Sie machte langsam auf, lauschte auf das knarrende Geräusch der Tür, dachte, dass es sich so angehört haben musste, wenn der Mann, der hier gewohnt hatte, die Tür öffnete, tausende von Malen, zehntausende von Malen. Ein vertrautes Geräusch, vielleicht ein liebgewordenes Geräusch?

      Und als der Mörder kam?

      Wenn es einen Mörder gab. Aber falls es so war, wie reagierte er auf das Geräusch der Tür? Reagierte er beunruhigt, gestört, ängstlich, böse auf ein ungewohntes Geräusch, das vielleicht Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte?

      Margret schloss die Tür genauso langsam, wie sie sie geöffnet hatte.

      Der Blutfleck in der Küche war noch da, aber nicht mehr so klebrig, etwas von dem Geruch hing noch in der Luft, süß, leicht übelkeiterregend.

      Sie blickte sich um, musterte alle Gläser, Flaschen, Essensreste, Zigarettenkippen, Flecken.

      Dann ging sie ins Schlafzimmer. Dort war es aufgeräumter. Das Fest hatte offensichtlich in der Küche stattgefunden. Das Bett war ungemacht. Auf dem Boden lagen Zeitungen und auf einem kleinen Tisch neben dem Bett Bücher: ein Krimi von Dürrenmatt, ein Buch über Segelschiffe im Indischen Ozean, Mein erster Kreis von Olof Lagercrantz.

      Margret überlegte, dass die Bücherauswahl vielleicht typisch war für einen alten Journalisten: eine bunte Mischung, ein breites Allgemeininteresse.

      Am Fußende des Bettes war eine Schranktür. Margret öffnete sie, sie quietschte, aber das Geräusch war ein anderes als das der Wohnungstür.

      Der begehbare Schrank war groß. Er erstreckte sich über die gesamte Seite des Raumes. An der Decke hing eine Leuchte. Margret machte das Licht an. Der Schrank war vollgestopft. An der einen Seite hingen Kleidungsstücke, unter denen drei große Kartons standen.

      Margret machte den Deckel eines Kartons auf. Er war gefüllt mit Ordnern, Zeitungen, Papierstapeln, Heften, Umschlägen mit Zeitungsausschnitten. Der Inhalt des zweiten Kartons war ähnlich, der des dritten ebenso. Sein Lebenswerk, dachte Margret.

      Seine alten Zeitungsausschnitte und Notizen und all so etwas, was Journalisten vermutlich sammeln.

      Sie ging zurück in die Küche. Dann rief sie Verner an. Ausnahmsweise ging er sofort ans Telefon.

      »Ich bin in der Wohnung von Lasse Bergman«, sagte Margret.

      »Hast du etwas herausgefunden?«

      »Nein, nichts Konkretes.«

      »Wann bekommst du den Obduktionsbericht?«

      »Heute.«

      »Ruf mich an, wenn du ihn gelesen hast.«

      »Verner, ich arbeite allein an diesem Fall, das ist nicht gut.«

      »Nein, das ist nicht gut.«

      »Kannst du mir helfen?«