Название | Für immer mein |
---|---|
Автор произведения | Joe Schlosser |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871049 |
Mechthild Kayser hatte das Ende des Werdersees erreicht. Sie schwitzte unter ihrer Regenjacke. In dieser Jahreszeit zu Beginn des Frühlings konnte man sich zum Radfahren einfach nicht richtig anziehen. Entweder war man zu warm angezogen, oder man fror.
Ein bisschen Schwitzen kann nur gut sein, dachte Mechthild, auf diese Weise käme der störende Restalkohol schneller aus ihrem Körper. Trotzdem wollte sie nicht viel weiterfahren. Die Strecke nach Haus kam ihr schon jetzt ganz schön mühsam vor. Sie entschloss sich, irgendwo eine Rast einzulegen. Das Café Sand kam ihr in den Sinn, aber bei der Vorstellung, sich unter die dort wahrscheinlich verweilenden Menschenmassen zu begeben, wurde ihr unwohl zumute. Sie brauchte es in ihrem angeschlagenen Zustand etwas ruhiger.
Sie lenkte ihr Fahrrad durch das angrenzende Parzellengebiet und steuerte die Einfahrt des Kuhhirten an, ein eher bürgerliches Restaurant und Ausflugslokal. Genau das Richtige für sie. Zudem bot der Kuhhirten eine überdachte Terrasse, die bei diesem Wetter, das auch schnell mal einen Schauer hervorbringen konnte, weit besseren Schutz bot als die wenigen Sonnenschirme mit dem Branding der örtlichen Brauerei im Café Sand. Sie schloss ihr Fahrrad an und stieg die Stufen zur Terrasse hinauf. Sie war der einzige Gast und setzte sich an einen der wenigen eingedeckten Tische.
Mechthild musste eine Weile warten, bis eine Bedienung zu ihr kam. Aber der abklingende Kater in ihrem Kopf verlieh ihr eine gewisse Gleichgültigkeit, so dass sie die Wartezeit nicht als störend empfand. Ansonsten hasste sie es, nicht umgehend und aufmerksam bedient zu werden. Sie war ein ungeduldiger Mensch, der sich ständig Mühe geben musste, andere mit ihrer fordernden Art nicht ungerecht zu behandeln.
Eine junge Frau mit Balkanakzent brachte ihr ein Kännchen Kaffee und ein Mineralwasser. Mechthild wollte zwar nur eine Tasse haben, aber die Bedienung bestand auf der Umsetzung einer Anweisung ihres Chefs, auf der Terrasse nur Kännchen zu servieren.
Kein Wunder, dass hier nichts los ist, dachte Mechthild, bei so viel Sturheit.
Ayse Günher hatte ihren Alkoholexzess erheblich besser überstanden. Nach dem Frühstück war sie mit ihrem Wagen in den Bürgerpark gefahren und hatte drei Runden auf der dortigen Finnbahn gejoggt. Unter achtzehn Minuten. Das war die Zeit, für die sie bereit war, sich mehr als einmal die Woche zu quälen. Und bisher hatte sie es immer geschafft und so manchen lahmen Mann auf der Finnbahn zweimal überrundet. Jetzt hing sie an der Reckstange neben einem Unterstand am Start und ließ ihre Beine baumeln, um die Wirbelsäule zu entlasten. Sie bemerkte zufrieden, dass die Finnbahn als sportliche Stätte kein Interesse bei Dieben weckte, denn an vielen hier abgestellten Fahrrädern waren Schuhe und Kleidungsstücke auf den Gepäckträgern und in Fahrradkörben deponiert. Aus einer der Jacken klingelte sogar ein Mobiltelephon.
In dem Viertel, wo sie wohnte, hätte keine der Sachen auch nur fünf Minuten unbeobachtet bleiben dürfen. Die Beschaffungskriminalität der dortigen Junkies war ungebrochen hoch. Seit ihre Kollegen an den örtlich zuständigen Polizeirevieren die Straßenprostitution der abhängigen Frauen stärker ins Visier genommen hatten und intensiv bekämpften, nahmen Diebstähle und Raubüberfälle auf kleine Geschäfte zu. Während vorher die Frauen den Heroinbedarf ihrer ebenfalls süchtigen Freunde und Männer durch den Verkauf ihrer Körper mit befriedigen konnten, kamen jetzt die Männer in die Versorgerrolle und begingen Diebstähle, Einbrüche und Überfälle. Die Prostitution hatte keinen größeren Schaden am Eigentum der Bevölkerung angerichtet. Ihre Unterbindung führte aber zu einer für alle mehr belastenden Art der Kriminalität. Abgesehen von dem nicht akzeptablen Zustand, dass diese armen Frauen aus ihrer Not auf den Straßenstrich gingen und von vielen Freiern wie Freiwild behandelt wurden. Sie trauten sich nicht, brutale oder perverse Freier anzuzeigen, da sie damit gleichsam ihre eigene Straftat zugeben mussten, die rigoros von Polizei und Justiz verfolgt wurde. Ein wahres Dilemma, das nur durch ein System kontrollierter Drogenabgabe gemildert werden konnte. Aber der derzeitige Justiz- und Sozialsenator wehrte sich aus prinzipiellen juristischen Gründen gegen jede Form irgendeiner möglichen Legalisierung des Drogenkonsums. Die Befürchtung war zu groß, dass ein solcher Bremer Alleingang die Junkies der ganzen Republik anziehen könnte.
Aber sie kamen auch so. Brutale Übergriffe auf Heroinabhängige von Polizisten in anderen Städten, großzügig von oben gedeckt, trieb zeitweise viele Abhängige ins liberalere Bremen. Bis auch hier wieder mal eine Gegenbewegung entstand. Die herrschende Politik bot keine wirkliche Lösung der Probleme an, sondern organisierte nur deren Verdrängung. Und damit kam sie bei der Bevölkerung, die direkt betroffen war, häufig gut an. Je härter, desto besser. Die Menschen, die sich hinter den ausgemergelten Gesichtern und in den von Krankheiten gequälten Körpern befanden, wurden als solche nicht mehr wahrgenommen. Sie störten nur.
Mechthild Kayser hatte es endlich geschafft, ihren Kater loszuwerden. Jetzt trat die unvermeidbare Müdigkeit an seine Stelle, die einem klarmachte, dass man betrunken keinen erholsamen Schlaf haben konnte. Sie radelte zurück nach Hause und beschloss, beim Nachmittagsprogramm des Fernsehens gemütlich auf dem Sofa einschlafen zu wollen.
Es war acht Uhr morgens, als Mechthild am darauffolgenden Tag mit dem Fahrrad das Polizeihaus in der Innenstadt erreicht hatte und nun durch das breite Portal mit den Steinstufen aus weserbergländischen Sandstein ging, um in die erste Etage zu gelangen, wo sich die Büros der Mordkommission befanden.
Das alte Gebäude, das um 1900 im Stil deutscher Renaissance und des Frühbarock errichtet wurde, wirkte mit seinen Fronttürmen sehr martialisch und wehrhaft. Was damals den Anforderungen an ein modernes Verwaltungsgebäude gerecht wurde, entsprach heute schon seit langem nicht mehr der einer zeitgemäßen Polizeiorganisation erfordernden Baulichkeit. Mehrfach hatte man im Kern des Gebäudes mit Umbaumaßnahmen versucht, die Büros so umzugestalten, dass vernetzte Abläufe zwischen den hier Dienst versehenden Ermittlungsgruppen zu organisieren waren. Das alte Gemäuer hatte aber in der Statik begründete Grenzen, die nicht zu verschieben waren. Darum hatte vor kurzem eine Planungsgruppe damit begonnen, nach einem geeigneten Gebäude Ausschau zu halten. Und wie der Polizeipräsident kürzlich verlauten ließ, gab es wohl Anzeichen aus dem Haus des Innensenators dafür, dass die gesamte Kriminalpolizei in eine ehemalige Bundeswehrkaserne im Stadtteil Vahr umziehen könnte. Nach Ende des Kalten Krieges stand dort ein mittlerweile geräumtes Kasernengebäude zur Verfügung. Ein relativ moderner Komplex, der räumlich für eine stabsstellengelenkte Führung ausgerichtet war und über entsprechende Räumlichkeiten für Einsatzplanungen und die Einrichtung von anlassbezogenen Ermittlungszentren verfügte.
Viele Kriminalbeamte waren gegen einen Umzug, da sie die fehlende Zentralität der Kaserne bemängelten. Aber in Wahrheit ging es einigen von ihnen nur darum, die guten Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt nicht zu verlieren. Mechthild Kayser war eindeutig für den Umzug in ein moderneres Gebäude. Gleichgültig, wo es lag. Mord und Totschlag konnte sie an jedem Ort bearbeiten. Sie stellte in ihrem Büro den Computer an und ging auf ihre polizeiinterne E-Mail-Seite. Bemerkenswerte Fälle würden in ihrem Zuständigkeitsbereich nicht anstehen. Dann hätte man sie schon am Wochenende alarmiert.
Durch das interne E-Mailsystem wurde die Informationsgeschwindigkeit erheblich erhöht, und jeder bekam seine Aufgaben zeitnaher übertragen. Die zu den Vorfällen gehörenden Akten wurden zwar in Papierform erstellt und durch einen Botendienst verteilt, da Richter, Staatsanwälte und Verteidiger sie in verantwortlich unterzeichneter Form einsehen wollten, aber bald würden in das gesamte System elektronische Signaturen integriert und auf diesem Wege Ausdrucke auf Papier enorm reduziert werden. Das glaubten jedenfalls die Einsparstrategen der Haushaltsabteilung. In Wirklichkeit ließ sich jeder jede auch noch so banale E-Mail ausdrucken, um eine sichtbare Grundlage in den Händen halten zu können. Arbeitende Menschen brauchten etwas zum Anfassen. Etwas, woran sie sich halten konnten.
Mechthild Kayser war der Auffassung, dass es in Ermittlungen sowieso immer besser war, mit den damit beschäftigten oder betroffenen Menschen im persönlichen Gespräch zusammenzutreffen. Ein Papier konnte nur erlesen werden, aber im persönlichen Kontakt erhielt man weitaus mehr Hinweise, Gefühlsregungen und andere nonverbale Informationen vermittelt, als es selbst ein Video