Название | Für immer mein |
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Автор произведения | Joe Schlosser |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871049 |
Thomas Brandt parkte den gemieteten weißen Lkw vor dem geöffneten Rolltor einer ehemaligen Fertigungshalle in der Bremer Neustadt. Hier hatte ein Betrieb bis vor etwa zehn Jahren Stanz- und Falzmaschinen zur Blechbearbeitung hergestellt. Sie waren pleite gegangen oder hatten den Betrieb verlagert. Das wusste Thomas Brandt nicht. Und es interessierte ihn auch nicht.
Als Partyveranstalter war er stetig auf der Suche nach neuen, ungewöhnlichen Örtlichkeiten, die man in der Szene „locations“ nannte, um den Erlebnishunger seiner jungen Kundschaft immer wieder aufs Neue zu befriedigen.
Das Geschäft war in den letzten Jahren schwerer geworden. Auch andere veranstalteten jetzt Partys, und der Wettbewerb hatte dazu geführt, dass Brandt sich jedes Mal etwas wirklich Neues, Irres ausdenken musste, um es der Konkurrenz zu zeigen. Als er begann, reichten ein paar künstliche Palmen neben einer Cocktailbar in einem alten Keller aus, dazu noch ein paar Lichteffekte und natürlich einer der angesagten Discjockeys der Stadt. Und fertig war die Dschungelparty. Mittlerweile ließ er DJs aus London, New York und Barcelona einfliegen. Jede Party bekam ihr eigenes, gestyltes Image, ein Motto, das von der gesamten, aufwendigen Dekoration und Aufmachung widergespiegelt wurde. Dabei explodierten natürlich die Kosten, und immer weniger blieb für ihn übrig.
Für die Party vom letzten Wochenende hatte er einen „martial-industry-sound“ angekündigt. Dafür hatte er die alte, heruntergekommene Fertigungshalle angemietet. Unter die nicht mehr funktionsfähigen Lastkräne an der Decke der Halle hatte er Gitterkäfige mit Gogo-Girls hängen lassen. Die mit Bikinis bekleideten Mädchen traten im Schweißeroutfit auf. Am Eingang brannten helle Feuer in verrosteten Ölfässern, und der Clou der Party war eine Anlage, die oberhalb der Tanzfläche brennende Gasfontänen mit hohem Druck über die Tanzenden schoss, so dass man beim Tanzen einen heißen Schauer abbekam. Das war alles sehr teuer. Und die Eintrittseinnahmen waren auch nicht mehr so berauschend. Da er sich nicht mehr darüber ärgern wollte, wie viel Geld ihm seine Bedienungen an den Theken klauten, hatte er den gastronomischen Teil seiner Veranstaltungen gegen eine Gebühr an einen örtlichen Caterer vergeben. Aber trotz der Verluste durch Diebstahl fehlte ihm unter dem Strich etwas. Er hatte zwar die Eintrittspreise erhöht, aber es gab Grenzen, deren Überschreitung das Bremer Publikum nicht mehr akzeptieren würde. Um Ausgaben zu sparen, fuhr er nun selbst den Lkw für den Abtransport und packte auch beim Abbau mit an.
Als er in die Halle trat, war nichts mehr von der ausgelassenen Stimmung der Samstagnacht zu spüren. Es roch nach Rauch, Schweiß und abgestandenem Bier. Die bunte Welt des martial-industry-sounds war einer öden, maroden und staubigen Umgebung gewichen. Es war kalt in der Halle, jetzt, da keine Menschenmassen mehr da waren, die sie aufheizten.
Wo während der Party noch buntes Licht von außen durch die Hallenfenster strahlte, fiel der Blick nun auf verrostete Eisenrahmen, durch deren butzenartige Fensteraufteilung ein wild überwucherter Hof zu erkennen war. Es fehlten einzelne Scheiben, einige waren zerbrochen. Die Gitterkäfige waren schon verschwunden. Die beiden Männer der PA-Firma luden ihr Equipment in bereitstehende, rollbare Holzkisten, die Trapeztürme für die Licht- und Gasanlage lagen auseinandergebaut auf dem Hallenboden.
Thomas Brandt sah sich nach den Klapptheken um. Sie standen schon für den Abtransport vorbereitet am Eingang. Er zählte die Zapfanlagen und die Kühltruhen. Nichts fehlte.
In der Mitte der Halle stand der große, schwere Rolltresen der Cocktailbar. Die einzige Theke, die er noch selbst betrieb. Er hatte sie vor wenigen Jahren, als die Geschäfte noch besser liefen, nach seinen eigenen Vorstellungen anfertigen lassen. Sie war aus massivem Holz mit eingebauten Zapfanlagen und Kühlschränken. Der Rolltresen war nicht auseinanderzunehmen und selbst, wenn man die Ware ausgeräumt hatte, richtig schwer. Um ihn zu transportieren, bedurfte es mindestens zweier Männer und eines Lkws mit Hebebühne.
Thomas Brandt winkte zwei seiner Aushilfen herbei, die gerade damit beschäftigt waren, die an den Wänden aufgehängten Ölfackeln abzunehmen. „Los, kommt! Erst mal den Tresen raus. Dann den Kleinkram!“ kommandierte er.
Bereitwillig kamen beide her und lösten die Verriegelungen der Gelenkrollen. Dann drückten sie mit aller Kraft gegen eine Flanke des Tresens, um ihn ins Rollen zu bringen. Da die beweglichen Rollen noch nicht alle in eine Richtung wiesen, stellte sich der Tresen quer, und Thomas Brandt schnauzte: „Dahin, dahin!“ und zeigte dabei auf das Rolltor, wohlwissend, dass sich das Ungetüm erst zurechtlaufen musste. Aber schließlich war er der Chef hier und wollte das auch zeigen. Er stemmte sich mit aller Kraft an eine Ecke des Tresens, um ihn in Fahrt zu bringen, als plötzlich unter ihm der Boden nachgab und der Tresen mit der gegenüberliegenden Ecke in einen Hohlraum einsackte und schief hängen blieb. Im gleichen Augenblick hörte man das Splittern von Holz, und Thomas Brandt schrie auf, als er in eine etwa einen Meter tiefe Versenkung rutschte und auf einem weich gefüllten Plastiksack landete. Holzsplitter und Bruchstücke zerborstenen Estrichs rieselten auf ihn nieder.
Glücklicherweise hing der schwere Tresen fest. Wenn er ins Rutschen gekommen wäre, hätte er Thomas Brandt zerquetschen können. Nun saß er auf dem Boden und schrie verärgert: „So eine Scheiße!“ Der Schreck saß ihm in den Knochen. Er sah zu seinen Füßen herunter, und ab diesem Zeitpunkt wusste er für sein ganzes restliches Leben, was es hieß, sich wirklich zu erschrecken.
Vom anderen Ende des durchsichtigen Plastiksacks, auf dem er saß, sah ihn im Halbdunkel der Grube eine blonde Frau mit aufgerissenen Augen an. Eine tote blonde Frau. Obwohl er in diesem Moment keinen bewussten Gedanken fassen konnte, war ihm dieser Umstand intuitiv klar. Mit einem markerschütternden Schrei fuhr er hoch und versuchte aus dem Loch zu kommen. Er richtete sich mit einer hastigen Bewegung auf, stemmte sich mit den Händen auf der Kante des Loches ab und wusste genau, dass das Weiche, das er noch unter seinen Füßen fühlte, eine Leiche war, auf der er immer noch stand. Er drückte sich nach oben, rollte sich auf dem Hallenboden ab und sprang sofort auf.
Alle Anwesenden, denen die Sicht auf die Tote versperrt war, starrten ihn verblüfft an. Schlechte Nerven, dachten sie. Dreht gleich durch, wenn mal was schiefgeht!
Thomas Brandt war kreidebleich im Gesicht und zitterte. Noch nie hatte er eine Leiche aus der Nähe gesehen. Und schon gar nicht unter diesen Umständen.
„Roland für Roland 5012 kommen!“
„Hier ist Roland! Bitte 5012!“ antwortete die Einsatzzentrale der Bremer Polizei, deren Rufname vom Wahrzeichen der Stadt, einem steinernen Rolandritter auf dem Marktplatz, herrührte.
„Bitte IDA schalten!“ meldete sich die Stimme von 5012 wieder.
IDA, das Sprachverschlüsselungssystem der Polizei, wurde immer dann verwendet, wenn der polizeiliche Funkverkehr, der theoretisch von jedem Radiobesitzer illegal mitgehört werden konnte, brisante Meldungen enthielt, die nicht für jedermann einfach zugänglich sein sollten.
Der Streifenführer von Roland 5012 fuhr fort: „Es handelt sich um einen Tatort. Eine weibliche Leiche in einem Plastiksack. Fremdverschulden nicht auszuschließen. Fundort ist die Richard-Dunkel-Straße 10a, die ehemalige Halle von Siemer & Behrend. Ich brauche Unterstützung zur Tatortsicherung. Und benachrichtigt die Kollegen von K!“
Die Einsatzzentrale bestätigte die Meldung und erreichte einen Einsatzwagen des Kriminaldauerdienstes, der sich im Stadtgebiet aufhielt und ebenso wie zwei weitere Streifenwagen der Schutzpolizei die Fahrt in Richtung des Leichenfundortes aufnahm. Grundsätzlich war es von großer Wichtigkeit, möglichst schnell eine großzügig bemessene Absperrung eines Tatortes zu veranlassen und alle in der Nähe befindlichen Personen festzuhalten, um Spuren und Zeugenaussagen zu sichern. Während die eingesetzten Streifenwagen unter Wahrnehmung ihrer Sonderrechte mit Blaulicht zum Fundort der Leiche brausten, schrieb Mechthild Kayser noch immer Zahlenschlüssel in grün- und blauumrandete Kästchen. Als ihr Telephon klingelte, war sie dankbar für die kleine Ablenkung.
Noch