Humboldts Innovationen. Группа авторов

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Название Humboldts Innovationen
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621542



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Tod die für die Teerfarbstoffe erforderlichen Anilinmengen gewonnen wurden.33

      Hofmanns Ansehen wuchs. 1844, im Jahr nach dem Tod seines Vaters, veröffentlichte er seine Untersuchungen über Chloranil und im Jahr darauf eine Abhandlung „über die Metamorphosen des Indigos und die Erzeugung organischer Basen, welche Chlor und Brom enthalten“.34 Für diese Arbeit erhielt er von der Société de Pharmacie de Paris eine Verdienstmedaille und ein Preisgeld über 200 Francs. Hofmann gelang es, fachübergreifende Kontakte zu knüpfen. 1845 hielt er ein kurzes Gastspiel an der Bonner Universität. Hofmanns Werk war die Voraussetzung für weitere medizinische und pharmakologische Forschungen wie sie dann Robert Koch, Ernst Schering oder Paul Ehrlich durchführten. Teer war durch die Arbeit Hofmanns zum Ausgangsmaterial der industriellen organischen Chemie geworden.

      Ein weiterer Zufall sollte den Weg Hofmanns bahnen. Zu den Beethoven-Feierlichkeiten im Herbst 1845 stellte sich bei einem Besuch des englischen Königspaares in Bonn heraus, dass August Wilhelm Hofmann dieselben Zimmer bewohnte, die der Prinzgemahl seiner Zeit als Student innegehabt hatte. Bei der königlichen Visite der Zimmer begegneten sich Hofmann und der Prinzgemahl erstmals. Diese Gelegenheit nutzte er zu einer Versuchsvorführung verschiedener Experimente. Das Königspaar war beeindruckt. Den Prinzgemahl imponieren die Erscheinung und die Kompetenz Hofmanns sogar so sehr, dass er ihn ausdrücklich nach England wünschte. In London sollte ein College of Chemistry gegründet werden. Auf Empfehlung Liebigs und durch die Zimmeranekdote wurde Hofmann mit dem Vorsitz des Gründungskomitees betraut. Von 1845 an war er Lehrstuhlinhaber und Rektor des „Royal College of Chemistry“. Seine Lehre brachte in der Folgezeit zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten hervor. Eine gute Beobachtungsgabe, Freude an wissenschaftlicher Forschung, seine Didaktik und die fürsorgliche Betreuung seiner Schüler zeichneten ihn aus. Als englischer Staatsbeamter profitierte er von seinen ehemals erworbenen ausgeprägten Fremdsprachenkenntnissen. Er bereiste – wann immer es möglich war – den europäischen Kontinent, den Orient, Teile Afrikas und Nordamerikas. 1851 gelang es ihm, bei der Eröffnung der North-Pacific-Bahn anwesend zu sein. In England war seine Vertrauenswürdigkeit so hoch, dass er schließlich auch königlicher Vertrauter wurde.

      Hofmann setzte in England seine früheren Untersuchungen zum Anilin fort. Er entdeckte das Umwandlungspotenzial der reaktionsfreudigen Base. Er wies die Existenz zahlreicher Derivate und Abwandlungsformen des Anilins nach und entdeckte den Anilinfarbstoff, mit dem es gelang, Textilien, Papier, Leder, Federn und andere wertvolle Stoffe mit prächtigen und schillernden Farben zu versehen. Durch seine Forschungen verhalf Hofmann der Teerfarbenindustrie zu einem ungeahnten Boom.35 Nun war Hofmann ein gemachter Mann von Wohlstand und Ansehen. Die hofmannschen Anilinfarben wurden in der Lederverarbeitung, im Papierdruck, in der Textilfärbung und schließlich auch in der Pharmakologie verwendet. Hofmann hatte daran entscheidenden Anteil. Das nach ihm benannte „Hofmann-Violette“ dominierte mehrere Jahre die Mode.36 Er hätte „Global-Player“ in England bleiben können, er wäre wohl immer gebraucht worden. Doch das Heimweh in deutschsprachige Gefilde und der späte Ruf an die Berliner Universität führten ihn in seine Heimat zurück.

      Kaiser Wilhelm I. hatte Hofmann 1867 nach Berlin geholt. Hofmann entsprach mit seinem Forschergeist und unternehmerischen Gespür den Humboldtschen Idealen von Forschung, Lehre sowie umfassender Bildung bei gleichzeitiger Spezialisierung in der eigenen Disziplin. In Berlin ging es weiter wie bisher: Auch hier wurde er kaiserlicher Berater. 1867 gründete Hofmann zusammen mit Adolph von Baeyer, C.A. Martius, C. Schäbler und Ernst Schering die Deutsche Chemische Gesellschaft nach dem englischen Vorbild der ebenfalls durch Hofmann gegründeten Royal Society of Chemistry.37 Auch über die Deutsche Chemische Gesellschaft arbeitete Hofmann in enger Verknüpfung mit der Industrie. Durch die von ihm erforschten Kenntnisse des Anilins profitierten unter anderem die 1873 gegründete Aktiengesellschaft für Anilin-Farbstoffe (Agfa) und die fünf Jahre nach seinem Tode ins Leben gerufene Badische Anilin- und Soda-Fabrik (BASF).

      Die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität bereicherte Hofmann schließlich durch seine insgesamt 25 Jahre währende Lehre und ein kurzes Rektorat, das er 1880/81 innehatte. Trotz großer Skeptiker und Widersacher aus anderen Disziplinen bewirkte er die Gründung des ersten Chemischen Labors an der Universität zu Berlin und stockte den damals schon sehr knapp bemessenen Etat oft aus eigenen Mitteln auf – Geld, das er oft nicht wieder sah. Der Bau des Laborgebäudes in der Georgenstraße zog sich durch Mangel an Etatzuschüssen über mehrere Jahre hin, da die Baukosten möglichst gering gehalten werden sollten, weil der Chemie im Vergleich zu anderen Disziplinen keine große Bedeutung beigemessen wurde.38 Dank Hofmann, der 1888 auch noch geadelt wurde, sollte sich das über die folgenden Jahre aber noch gehörig ändern. Am 5. Mai 1892 verstarb er, der Arbeitswütige, natürlich während seiner Arbeit in Berlin.

      „Ein Leben voller Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohltat.“

      Rudolf Virchow

      (1821–1902)

      von Henriette Schulz

      1856 gründete Gustav Langenscheidt seinen bis heute weltweit bekannten Verlag, Werner von Siemens erfand den Doppel-T-Anker für den elektrischen Dynamo und schuf so die Grundlage der industriellen Stromproduktion, Heinrich Heine starb in Paris – und Rudolph Virchow hielt in Würzburg seine letzte Vorlesung als Professor für pathologische Anatomie. Einige Monate später sollte er nach Berlin zurückkehren, in die Stadt, die ihn sieben Jahre zuvor als unliebsamen Rebellen am liebsten in der Spree versenkt hätte.

      Der Hörsaal in Würzburg applaudierte und jubelte, nachdem Rudolph Virchow mit seinen Ausführungen über die pathologische Gewebelehre geendet hatte. Die Schar der Zuhörer war von Woche zu Woche gewachsen und Ernst Haeckel, Assistent des Professors, hatte arge Bedenken, dass die Beschaffenheit des Raumes den Massen an Menschen nicht mehr lange Stand halten würde. Diese Befürchtung hegte er schon, seit er Virchows Vorlesung das erste Mal 1853 besucht hatte.39 Während Haeckel die sorgsam gehüteten Materialien des Mediziners zusammensammelte und die Fragen der neugierigen Studenten abwimmelte, dachte er an das bevorstehende Abschiedsessen im „Englischen Garten“ und die Dinge, die noch zu erledigen waren. Virchow wollte fast alle seine Kollegen einladen und sein Assistent hatte alle Hände voll zu tun: Tische mussten zusätzlich organisiert werden, der Koch brauchte neue Instruktionen und weitere Räume mussten gefunden werden, falls es in den Abendstunden zu kühl sein würde, um im Freien zu speisen.

      Sein „Meister“ war ein Forschertyp par excellence. Lachen sah man ihn selten. Stattdessen befasste sich sein scharfer und klarer Verstand beinahe immerzu mit neuen Forschungsfragen. Leicht gewann man den Eindruck, dass sein sturer Enthusiasmus für eine Sache beinahe schon zwanghaft war. Aber genau aus diesem Grund hatte man ihn ja an die Würzburger Universität geholt. Man wollte von seiner „Genialität an Auffassung“ und seiner „gediegenen Gelehrsamkeit“ profitieren. Dies hatte man zwar nie offen ausgesprochen, aber Haeckel kannte die Absicht der Universität. Mit einem Arzt, der bereits in der kurzen Zeit seiner Karriere so deutlich für seine Ziele eingetreten war, konnte man einen „beträchtlichen Zuwachs von Lehrkraft und Talent“40 erwarten. Haeckel erinnerte sich gut, dass Virchow diesem Ruf damals nur zu gern gefolgt war. Nicht immer war Virchow so hochgelobt worden. Seine Stellung in Berlin, wo er zuvor tätig gewesen war, wurde für ihn aufgrund politischer Querelen unhaltbar. Er hatte sich mit seinen Unternehmungen für eine soziale Reform ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt.

      Ein Sprung zurück: Nach Beendigung seines Studiums an der Berliner militärärztlichen Bildungsanstalt 1847 wurde der junge Arzt von der Preußischen Regierung beauftragt, die Ursachen einer Flecktyphusepidemie in Oberschlesien zu untersuchen. Bereits während seiner Ausbildung an der Akademie hatte er die alteingesessenen Militärärzten ein ums andere Mal gehörig vor den Kopf gestoßen. In Briefen an seinen Vater beklagte sich Virchow, da seiner Meinung nach „nichts ordentlich untersucht ist, alles muss man selbst und von vornher wieder selbst durcharbeiten, und das ist so viel, dass man manchmal wirklich den Mut verliert“.41 Haeckel erinnerte sich auch an eine Anekdote, von der ihm der Arzt immer wieder erzählt hatte. Bei der Geburtstagsfeier des Gründers des Friedrich-Wilhelms-Institut 1845 hielt Virchow eine flammende Rede „Über das Bedürfnis