Humboldts Innovationen. Группа авторов

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Название Humboldts Innovationen
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621542



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er sie damit, seinen wissenschaftlichen Forschungen oder politischen Projekten nachzuhängen. Es wundert nicht, dass unter diesen Voraussetzungen für seine 16 Kinder – zwei davon starben im Säuglingsalter – wenig Zeit blieb.

      Dem CIL blieb er bis zu seinem Tod 1903 treu. Untreu wurde Mommsen hingegen seinem Ideal, auch wissenschaftliche Großunternehmen so zu konzipieren, dass sie noch zu Lebzeiten abgeschlossen werden konnten. Angesichts permanenter Neufunde von Inschriften war das ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Die Gesamtzahl römischer Inschriften wird derzeit auf rund 400.000 geschätzt.19 Im Inschriftencorpus publiziert sind davon rund 180.00020 , und es ist noch lange nicht Schluss: Die Gelder für das CIL sind bis 2053 bewilligt. Federführend tätig ist immer noch die Akademie der Wissenschaften in Berlin. So tragfähig erwiesen sich die von Mommsen begründeten Strukturen, dass sie von den Nachfolgegenerationen übernommen werden konnten. Das Unternehmen überlebte seinen Gründer und arbeitet noch immer.

      „Lassen Sie das, mit dem Gespüle ist ja doch nichts anzufangen!“

      August Wilhelm

      von Hofmann

      (1818–1892)

      von Daniel Kirchhof

      Pechschwarz, zähflüssig und ätzend vernebelt der Teer mit seinem Gestank die Sinne. In den großen Fabriken der zur Mitte des 19.Jahrhunderts aufkommenden chemischen Industrie fiel er in großen Mengen an. Die Schadstoffemissionen der schwarz rauchenden Fabriken lagen weit jenseits unserer heutigen von Klimawandel und Emissionsdebatten geprägten Vorstellungskraft. Unter den industriellen Abfallprodukten wie Schwefelsäure, Chlorbleiche oder Sulfitlauge präsentierte sich der harzige, klebrige Teer als besonders problematisch. Es hätte wohl kaum jemand gedacht, dass sich gerade aus dem Teer der Steinkohle etwas Brauchbares gewinnen ließe. Schillernde, prächtige Farben, ästhetische Genüsse und sogar medizinisch-pharmazeutischer Fortschritt – dazu schien Teer wohl kaum geeignet zu sein. Das biss sich wie sein Gestank – ein Irrtum.

      Als der junge August Wilhelm Hofmann sich während seines Studiums für die synthetische Chemie zu interessieren begann, war an die spätere Blüte dieses Zweiges noch nicht zu denken. Gerade einmal 18-jährig, aufgeweckt aber ohne einen klaren Lebensplan21 , schrieb er sich 1836 an der Giessener Universität ein. Wissensdurstig und beseelt von forschendem Drang, begann nach einer zähen Zeit des Studierens mit juristischen Schwerpunkten seine intensive Beschäftigung mit der Chemie. Als Schüler und späterer Assistent Justus von Liebigs wurde Hofmann bei ihm bereits nach fünf Studienjahren gleich promoviert. Seinen Forschungen über die Synthese von Anilin, das reichlich im Teer der Steinkohle vorkommt, und dessen Möglichkeiten, verdankte er seinen späteren länder- und disziplinübergreifenden Ruhm.

      Sein Vater, der Giessener Hofkammerrat und Provinzialbaumeister, Johann Philipp Hofmann, war ein vorbildlicher Bildungsbürger seiner Zeit: voll ernsten Strebens und beseelt von der Liebe zu allem Edlem und Guten. Er rühmte sich der engen Freundschaft zu Justus von Liebig22 – man blieb gern unter Seinesgleichen. Er liebte das Reisen durch Europa und diente in mehreren europäischen Adelshäusern, zuletzt beim Großherzog von Hessen. Er leitete die Erweiterungsbaumaßnahmen des Liebigschen Labors, das durch den großen Andrang internationaler Studierender aus den Nähten zu platzen drohte. Für den Vater und dessen Statusdenken war der Sohn jedoch noch alles andere als satisfaktionsfähig. Dieser klagte bei Liebig über die Unentschlossenheit und die mangelnde Motivation seines Sohnes bei dessen Studium.23 Er hätte es gern gesehen, dass sein Sohn in seine Fußstapfen tritt, stattdessen interessierte dieser sich lieber für fremde Sprachen und gab sich den ästhetischen und musischen Genüssen hin, denen er auf den gemeinsamen Reisen mit dem Vater durch Italien und Frankreich begegnet war.24 Die romanischen Sprachen und die Künste übten auf ihn eine große Faszination aus, zu fremden Kulturen fand er sehr leicht Zugang.25 Nach Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn belegte der junge August Wilhelm als Kompromiss widerwillig das Fach Jura mit der Aussicht auf ein Brotstudium zum Staatsbeamten. Damit konnte er sich nur schwer anfreunden, zog es ihn doch noch immer zu den romanischen Philologien und den Künsten zurück.

      Doch Teil der universitären Ausbildung für zukünftige Verwaltungs- und Staatsbeamte war zu dieser Zeit auch der Erwerb chemischer Grund- und Fachkenntnisse. Liebig meinte ein großes Potenzial bei dem Jungen feststellen zu können und entgegnete dessen Vater: „Gib ihn mir, ich will sehen, was sich aus ihm machen lässt, er ist ja ein guter Bursche, und dumm ist er gewiss nicht, vielleicht hat er den richtigen Weg (noch) nicht gefunden.“26 Wie ein Magnet zogen Liebigs Lehrmethoden dann den jungen Studierenden an. In Liebigs Labor wurde Hofmann in die chemische Analytik eingeführt. Die dabei aufkommende Faszination des Neuen, des erlebbaren Forschens, beflügelte den jungen Hofmann. Vergessen waren die mühevollen Studien der Rechtswissenschaften. Künste und fremdsprachige Philologien fanden nur noch zu gelegentlicher Stunde des musischen Kusses Aufmerksamkeit. Die Begeisterung für naturwissenschaftliche Bereiche, allen voran der Chemie brach in ihm aus.27

      August Wilhelm studierte bis zu seiner Promotion am 9.April 1841, einen Tag nach seinem 23.Geburtstag. Sein Doktorexamen bestand er summa cum laude und erlangte gleichzeitig die venia legendi, womit er fortan nicht nur lehrfähig, sondern auch lehrbefugt war.28 Auch nach der Promotion arbeitete der junge August Wilhelm nun als Liebigs Assistent forschend weiter.

      Wieder war es der Zufall, der ihm den weiteren Weg ebnete. Den Liebigschülern Ernst Sell und Conrad Zimmer war in ihrer gemeinsamen Fabrik die Destillation von Teer gelungen. Ihrem Lehrmeister schickten sie eine Probe des dabei entstandenen Steinkohleteeröls. Diese gab Liebig an Hofmann zur Untersuchung weiter.29 Über dieses lästige Nebenprodukt der Koksherstellung und Gasbereitung war bislang nur wenig bekannt. Hofmann machte sich die Erkenntnisse, die von Runge und Laurent vorlagen, zunutze. Mit der Erlaubnis von Ernst Sell bereitete August Wilhelm Hofmann in der besagten Offenbacher Fabrik selbst größere Mengen des Basengemisches zu. Wenig später kehrte Hofmann mit zwei Kilogramm des Basengemisches30 nach Gießen zurück. Im Labor Liebigs gelang ihm der Nachweis der Anilinbase sowie der Leukolbase im Steinkohleteer. 1844 gelangte er zu dem Ergebnis, dass all jene Substanzen, die die russischen Chemiker Fritzsche und Zinin aus verschiedenen Benzolen gewonnen hatten, so verschieden ihre chemische Herkunft auch ist, dieselben chemischen und physikalischen Eigenschaften haben. Er hatte sich die tiefgreifende Erforschung der Teerbasen, deren Synthese und ihrer möglichen industriellen Verwendbarkeit in den Kopf gesetzt. Daran konnten die mahnenden Worte seines Professors und Lehrmeisters, Justus von Liebig: „lassen Sie das, mit dem Gespüle ist ja doch nichts anzufangen!“31 , nichts mehr ändern. Es stellte sich später heraus, dass sich der führende Chemiker seiner Zeit damit irrte. 1843 veröffentlichte Hofmann seine erste eigenständige Forschungsarbeit, in der er seine chemischen Untersuchungen der organischen Basen im Öl des Steinkohleteers verschriftlichte.32 Damit veröffentlichte er neueste Erkenntnisse über die Anilin-Base. Anilin besitzt eine ungeahnte Verwandlungskraft und wurde durch die Arbeit Hofmanns der Ausgangspunkt der modernen Farbchemie.

      Der Name des Anilins leitete sich aus der arabischen Farbsilbe „anil“ für blau ab. Hofmanns Forschen und Wirken galt fortan nur noch dem Anilin und seiner abwandelbaren Stoffe. Seine Arbeiten waren für die aufkommende chemische Industrie von maßgeblicher, Impuls gebender Bedeutung. War Hofmann bis dahin von rein theoretischen Interessen und Erkenntnisdrang getrieben, so wurde sein Forschen in den Jahren nach der Promotion zunehmend praktischer ausgerichtet. Er erreichte als erster die direkte Chlorierung des Anilins über den Weg der gechlorten Anilinderivate. Hofmann gelang es dabei auch, weitere chemische Wesensmerkmale und Eigenschaften des Anilins herauszustellen.

      Bei seinen Forschungen arbeitete Hofmann eng mit der Industrie zusammen. Das Öl des Steinkohleteers enthielt nur geringe Mengen des Anilins, so dass Hofmann mit industrieller Hilfe einen Weg finden konnte, den kostbaren Stoff Anilin leichter herzustellen. Dies gelang durch den Nachweis, dass die leicht siedenden Anteile des Teeröls große Mengen Benzol enthalten, dessen nahe Beziehung zum Anilin ihm bereits bekannt war. Indem er das Benzol in Gegenwart von Schwefelsäure mit starker