Humboldts Innovationen. Группа авторов

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Название Humboldts Innovationen
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621542



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und interessieren sich dabei auch für grundverschiedene Dinge. Sie verknüpfen ihre Beobachtungen zu neuen Kombinationen. Wie eine Universität für diesen Prozess ein Katalysator sein kann, lässt sich einfach zeigen. Universitäten sind das Tor der Wissbegierigen. Sie ermöglichen Forschern neues Wissen zu schaffen (Wissenschaft), das diese dann an die Studierenden weitergeben. Die Studierenden ihrerseits geben den Forschern durch kritische Beteiligung wiederum Denkanstöße. Es ist das Humboldtsche Ideal von der Einheit von Forschung und Lehre, das sich in der ganzen Welt durchgesetzt hat (Auch eine Innovation! Eine soziale. Diesmal von Wilhelm von Humboldt!). Universitäten beeinflussen daher in zweierlei Hinsicht das Entstehen von Innovationen: Erstens sind sie die geistige Heimat für leidenschaftliche Forscher. Zweitens begleiten sie viele Menschen eine Zeit lang in ihrem meist prägenden, persönlichen Bildungsprozess – als Studierender oder Promovierender und auch als wissenschaftliche Hilfskraft oder wissenschaftlicher Mitarbeiter. Sie stellt die Grundlage für ihr künftiges schöpferisches Handeln dar und beeinflusst mittelbar auch die Innovationen, die sie außerhalb der Uni erschaffen werden.

      Alfred Wegener: „Ich? Eine innovative Unternehmerpersönlichkeit? Das stimmt schon. Ich habe wohl mehr unternommen als unterlassen. Zum Schluss habe ich alles im Eis riskiert und blieb zurück. Natürlich war das etwas vollkommen Neues. Eine riesige Expedition in die Polarregion hat es so vorher nicht gegeben. Ich musste an so viele Dinge denken. Wir brauchten eine Finanzierung. Wir mussten genau planen, brauchten viele Mitarbeiter, mussten die Einheimischen für unser Vorhaben gewinnen und waren natürlich immer in großer Gefahr. Letztlich wollten wir mehr über den Einfluss der Polarregion auf das Weltklima herausfinden. Meine größte Innovation ist aber zweifelsfrei die Theorie der Kontinentalplattenverschiebung in der Welt durchgesetzt zu haben.“

      August Wilhelm von Hofmann: „Anfangs haben die Meisten nur mit dem Kopf geschüttelt, als ich anfing mit Teer zu experimentieren. Ich war überzeugt davon, dass dieser Stoff Geheimnisse birgt, die es zu lüften gilt. Und ich fand meine Anilin-Base, die der Welt die Farben schenken sollte. Diese neuen Farben waren später nicht nur eine Innovation. Sie waren eine Sensation! Überzeugt von der Wichtigkeit der Erkenntnisse, habe ich gemeinsam mit der jungen chemischen Industrie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Wirklichkeit gebracht. Wenn Sie das so nennen wollen, dann war das sicher unternehmerisch. In jedem Fall innovativ.“

      Alexander Mitscherlich: „Die Chemie war auch meine Leidenschaft. Mein Bruder wollte eine Papierfabrik aufbauen und da befasste ich mich mit den Herstellungsverfahren, die ich für ineffizient hielt. Ich konnte nicht loslassen und erfand das Sulfit-Zellstoffverfahren. Gemeinsam mit der systematischen Verbesserung der Arbeitsschritte war die Produktionsweise marktkreif. Mit diesen Entdeckungen im Gepäck gründete ich meine eigene Fabrik und wurde Unternehmer. Die Probleme, die sich durch die Vermischung von Unternehmertum und Wissenschaft ergaben, kosteten mich viele Nerven. Später gab es auch noch Patentstreitigkeiten. Man bezweifelte allen Ernstes meine Erfinderschaft. Ich kämpfte hart um die Anerkennung und war erfolgreich. Mein Verfahren verbreitete sich in Deutschland und ganz Europa.“

      200 Jahre quergedacht – oder: Was dieses Buch eigentlich soll …

      Welche Innovationen gingen in den letzten 200 Jahren direkt und indirekt aus der Humboldt-Universität hervor? Welche Persönlichkeiten stecken hinter den Innovationen? Welche Widerstände mussten sie überwinden und welche Rolle spielte die Humboldt-Universität für ihre Leistung? Diese Fragen möchte das Buch beantworten. Es werden wirtschaftliche, soziale und wissenschaftliche Innovatorinnen und Innovatoren vorgestellt, die in ihrem Leben mit der Humboldt-Universität verbunden waren oder es noch sind. Die Uni wird dabei als Katalysator neuen Wissens, neuer Ideen und Innovationen vorgestellt. Die ausgewählten Beispiele von 17 Wagenden aus 200 Jahren Humboldt-Universität sollen vor allem Lust auf ein Denken jenseits von Konventionen machen. Sie machen auch Mut, neue Gedanken zu spinnen, neue Perspektiven auf diese Welt und unser Leben zu werfen – und vor allem Mut, Ideen auch in die Tat umzusetzen, damit sie gesellschaftlich wirksam werden können.

      Louis Lewin: „Das ist doch erbauend, liebe Kollegen. Wir sind in hier in einer Art schriftlichen Ruhmeshalle. Die Ehre ist umso größer als sich unsere Nachfolger mit uns beschäftigen. Uns nicht vergessen. Selbst noch so jung, schreiben Sie in diesem Buch für ein breites Publikum verständlich über unsere Geschichte und innovativen Errungenschaften. Ich habe selbst Bestseller geschrieben. Mir lag es sehr am Herzen meine Forschung der Toxikologie der gesamten Bevölkerung näher zu bringen. „Die Gifte in der Weltgeschichte“ verkauften sich zum Beispiel sehr gut und ich konnte mit dem finanziellen Ertrag meiner Forscherleidenschaft an der Humboldt-Universität weiter nachgehen.“

      Albrecht von Graefe: „Es ist doch wirklich eine schöne Würdigung. Man hat uns fast schon vergessen. Meine Pionierleistungen im Bereich der Augenheilkunde habe ich mit unternehmerischem Geschick über meine Privatkliniken finanziert. Um wirkliche Neuerungen durchzusetzen, musste ich mit meiner Leistung überzeugen und ungewöhnliche Mittel ergreifen. Zum Schluss stand der Erfolg, die Augenheilkunde von der Chirurgie emanzipiert zu haben. Unsere so verschiedenen innovativen Leistungen waren doch alle unternehmerisch. Mal wissenschaftlich, wie beim Kollegen Mommsen, mal sozial, wie beim verehrten Herrn Virchow aber auch kulturell, wie bei Herrn Kuttner.“

      Adolph Frank: „Im Blick hatten wir dabei immer das Ganze: Die Wissenschaft, die Gesellschaft und die unternehmerische Umsetzung unseres neuen Wissens. Ich selbst gründete gleich mehrere chemische Fabriken. Ich bin viel gereist. Immer zwischen Forschung und Wirtschaft. Auch gedanklich natürlich. Für einen freien Geist, sind die Verknüpfungen zwischen der theoretischen Wissenschaft und der praktischen Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft kein Gegensatz, sondern ein aufregendes Spielfeld. Liebe Kollegen, lassen Sie uns demütig Vorbild sein für die Studierenden und Forscher der Humboldt-Universität, die künftig mutig ihre Ideen zu Innovationen werden lassen!“1

      Ein akademisches Unternehmen: das Corpus Inscriptionum Latinarum

      Theodor Mommsen (1817–1903)

      von Simon Dewes

      Lange bevor Theodor Mommsen das „Römische Staatsrecht“ veröffentlichen, sich als Wissenschaftsorganisator einen Namen machen und als erster Deutscher für seine „Römische Geschichte“ den Nobelpreis für Literatur erhalten sollte – kurz gesagt: Lange bevor Mommsen der bedeutendste Altertumswissenschaftler des 19. Jahrhunderts geworden war, gingen im Königreich Neapel seltsame Dinge vor sich. Immer wieder scharten sich in den Straßen des Königreichs wildfremde Passanten um einen vielversprechenden ehemaligen Studenten der Jurisprudenz aus Schleswig-Holstein, um diesem neugierig dabei über die Schulter zu schauen, wie er selbst in den kleinsten Dörfern von Gebäuden, Brücken und anderen Bauten römische Inschriften in einen Notizblock übertrug. Der junge Mommsen hatte einen Plan.

      Sämtliche erhaltenen lateinischen Inschriften bis zum 6. nachchristlichen Jahrhundert zu begutachten und zusammenzutragen, dafür war es hohe Zeit! Und „sämtliche“ hieß tatsächlich „sämtliche“. Alle. Ausnahmslos. Nun gut, mit Ausnahme der antiken christlichen Inschriften, aber die passten Mommsen thematisch nicht. Die Dimensionen dieses Unternehmens waren so gewaltig wie die Ausdehnung des Römischen Reiches. Von Marokko bis Rumänien, von England bis Syrien: Die Römer waren fast überall in den Grenzen der ihnen bekannten Welt gewesen, und überall hatten sie ihre Inschriften hinterlassen, in den Stein gemeißelt und gehauen: Inschriften zur Repräsentation römischer Macht, zur Demonstration römischer Größe, Inschriften über die Gesetzeslage, beschriftete Grabsteine oder auch nur Alltäglichkeiten. Die Funde mussten in die Hunderttausende gehen. Alles zusammen ein Panoptikum römischen Lebens. Ein gewaltiger historischer Schatz, den Mommsen systematisch heben wollte.

      Die Idee, sämtliche Inschriften des Römischen Reiches zu sammeln, ging auf den dänischen Forscher Kellermann zurück, der 1837 gestorben war und seine Vorarbeiten dem Deutschen Archäologischen Institut in Rom hinterlassen hatte. Ausgestattet mit einem zweijährigen Reisestipendium der dänischen Regierung traf Mommsen dort 1846 ein. Ursprünglich hatte er geplant, eine Neuauflage römischer Gesetzesurkunden anzufertigen; eine Idee, für die er mit Savigny und Boeckh auch Unterstützer in der Berliner Akademie der Wissenschaften