Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
»Sie werden vor Reue beben! Aber nicht nur das! Sie werden in Tränen ausbrechen, wenn sie im Jahr 2200 n. Chr. meine Folianten entdecken«, erzählte er Claudia, »und sie werden es nicht fassen können, dass meine Generation mich so schäbig behandelt hat, dass meine Zeitgenossen ein so grausames Vergnügen daran gefunden haben, auf meinem Gesicht Flamenco zu tanzen.«
Shields hatte eine Schwäche für die gefährlichen Kicks der Rebellion. So geilte er sich mächtig daran auf, als er eines Tages las, wie Aischylos gewisse Geheimnisse aus den Mysterien von Eleusis in einigen seiner Stücke verarbeitet hatte, in der Iphigenie oder in den Bogenschützen zum Beispiel, und die Athener Bevölkerung deswegen seinen Tod gefordert hatte. Für Roy kamen als Äquivalent für die Mysterien selbstverständlich nur Staatsgeheimnisse infrage. Oh, wie sehnte er den Tag herbei, an dem ihm irgendwer ein paar saftige Vorabinformationen über irgendeinen faulen Regierungsdreh verschaffte! Zum Beispiel so was wie die CIA-Invasion auf Kuba! Er würde es augenblicklich auf die Bühne bringen und es der verblüfften westlichen Zivilisation noch vor Beginn des eigentlichen Coups vor die Füße knallen.
Wie Shaw verfasste auch Shields umfassende, und ich meine umfassende Einleitungen zu seinen Stücken, die am Ende fast genauso lang waren wie der eigentliche Text. Er veröffentlichte seine Werke in seinem eigenen Verlag, den Triumph Publications. Laut manchen Antiquariatskatalogen bringen sie heutzutage eine hübsche Summe und er ärgert sich vermutlich schwarz, damals so viele Kisten mit unverkauften Exemplaren einfach im Luminous Animal Theatre stehen gelassen zu haben. Zu jener Zeit war er wirklich ein lausiger Geschäftsmann — so bildete er sich beispielsweise ein, dass man Büchersendungen bloß eine Rechnung beilegen müsste, damit die Buchhändler auch pünktlich zahlten.
Speziell für Claudia hatte Roy ein langes satirisches Durcheinander verfasst, das er Newsreel ’84 nannte. Das Stück basiert auf George Orwells 1984, Franz Kafkas Der Prozess und einer beachtlichen Reihe von Büchern, die vom Koreakrieg beeinflusst und alle im Verlauf der fünfziger Jahre erschienen waren. Zum ersten Mal prangerten in ihnen Schriftsteller Gehirnwäsche als Werkzeug der Politik an. Das Stück spielte am 4. April 1984 und bestand aus szenisch dargestellten Zeitungsartikeln, die an diesem Tag in der New York Times erschienen waren. Die Hauptattraktion an diesem Werk waren seine politischen Schauprozesse, die als albtraumartige Tanzrituale dargestellt wurden.
Roy verzichtete auf Orwells Vision von einem permanenten Krieg und ersetzte sie durch eine andere Form von Aggression, die die gesamte Zivilisation der Welt ergriffen hat. In der Gesellschaft von Newsreel ’84 musste jeder Bürger Mitglied einer exklusiven und feindseligen Sekte werden. Aller Gehorsam richtete sich wie bei einer Pyramide auf die Spitze der Sekte. Freundschaftlicher Umgang zwischen Mitgliedern verschiedener Sekten war verboten. Komplizierte Gesetze und Erlasse gestatteten nur den Führern dieser Sekten, miteinander zu kommunizieren. Benehmen und Sprache der Bürger erinnerten in ihrer Gleichförmigkeit an das Verhalten von Zombies. Claudia spielte eine tanzende Nonne (Tanz war nicht erlaubt) aus einem Neo-Zombie-Kult, die sich heimlich in einen einsfünfundneunzig großen neokatholischen schwarzen Priester verknallt. Ein Dichter, der in der ganzen Kneipenszene als Big Brown berühmt war, spielte den Priester. Die Produktion dieses Stückes bereitete ihnen einiges Kopfzerbrechen. Claudia hatte das dunkle Gefühl, dass sie mit diesen Texten schnellstens im Schlamassel landen würde. Und zwar hauptsächlich wegen der mehrfachen Flaggenverbrennungen und den Aktszenen, bei denen teilweise sogar Paare verschiedener Hautfarbe auftreten sollten (und es waren genau diese Szenen, die dann auch wie Stoßwellen in das kleine Büro des Staatsanwalts platzten und die Doppelmoral jener Zeit von 1961 gründlich entlarvten). Außerdem hielt sie eigentlich gar nicht so viel von dem Stück, besonders wenn sie es an der Qualität von, na sagen wir, Roys geliebtem Aischylos maß. Roy wiederum regte sich maßlos auf, als von ihm verlangt wurde, einige Stellen umzuschreiben, damit das Stück mehr Tanzszenen bekam und nebenbei Claudias Rolle auch mehr Gewicht.
Insgeheim war Claudia der Meinung, dass das Stück mit, nun ja, überspitzten (langweiligen war das Wort, das sie eigentlich meinte) politischen Analysen überladen war. Sie hatte einfach kein Vertrauen zu solchen Mätzchen wie einem ständigen Chor, der eine Viertelstunde lang singen sollte, noch dazu, wenn der Text nichts weiter war als eine umständliche sozialistische Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen einer Ära, die noch in weiter Ferne lag. Der Clou des Ganzen war, dass der komplette Text des Chores in Trochäen verfasst war und sein Gesang von einem Jazzensemble begleitet werden sollte. Diese tanz- und handlungsarmen Partien in Newsreel ’84 waren genau das, was laut Claudia mit einem Kontrapunkt von Schnarchen aus der Richtung der Rampenlichter enden würde. Aber dann hatte Roy sie ausgetrickst. Sie hatte ihm versprechen müssen, dass alle Chorpassagen unangetastet blieben, wenn er dafür ihre Rolle ausbauen würde.
Trotzdem strahlte das Stück plötzlich eine gewaltige Energie aus, die sie nun mit ihrer Stimme und ihrem außergewöhnlichen Tanz noch vergrößerte. Was das Singen anging, nun, sie verfügte über die Oktave von Grundtönen, die Broadway- (und Off-Broadway-) 12, mit denen sie sogar allerhand auf die Beine stellen konnte. Sie schaffte beispielsweise verschiedene Stilrichtungen, von traurig-sanfter Wehmut über aufgewühlten Schmerz bis zu kreischendem Zorn, wenn es darauf ankam. Bei einer so begabten Tänzerin wie ihr war das wirklich ein glatter Glücksfall. Ein paar Jahre später hätte sie ohne Schwierigkeiten bei jedem x-beliebigen Folk-Label unterkommen können, aber da hockte sie wahrscheinlich gerade in einer dieser mit Redwood verkleideten Backsteinvillen von Santa Monica, klimperte auf ihrer Gitarre herum und regte sich über die Ungerechtigkeit in der Welt auf.
In Roys Stück gab es eine Szene, in der es vor lauter Ketchup nur so triefte, und in der ein Typ namens Lord High Chopper auftrat. Er hatte sich so geschminkt, dass er auf der Bühne fast genauso aussah wie der derzeit amtierende Bürgermeister von New York City. Dieses Detail wurde in den Klatschspalten natürlich mehrfach erwähnt, nachdem das Ensemble die ersten öffentlichen Proben hinter sich hatte. Und sie berichteten weiter, der demokratische Parteivorsitzende des Bezirks New York sei außer sich über diese üble »Beleidigung unseres schwer beschäftigten Bürgermeisters, der sich für seine Gemeinde aufopfert.«
Dieser Parteioffizielle hetzte ihnen auch prompt einen Überraschungstrupp von Feuerwehrinspektoren, Ordnungsamtsinspektoren, Gesundheitsamtsinspektoren und Steuerinspektoren auf den Hals, die nur zwei Wochen vor der Premiere das Theater stürmten, und zwar ausgerechnet während der letzten Vorbereitungen, wo sie sowieso schon alle Hände voll zu tun hatten.
Claudia konnte nichts machen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als gewisse Stellen zu streichen. Sie hatte schon zu viel in die Produktion investiert und die Schauspieler brauchten ihre Gehälter. Trotzdem wollte sie um alles in der Welt vermeiden, dass man ihr nachsagte, sich vom Geplärre politischer Lohnschreiber einschüchtern zu lassen und klein beizugeben. Also arbeitete sie mit ihren Leuten bis zum Umfallen, hielt jede Menge zusätzlicher Proben ab und veränderte dabei fast unmerklich die einzelnen Vignetten, bis das Stück geradezu unheimlich flüssig und einheitlich wirkte.
Als sich eine warme Hand unter ihr Nachthemd schob, wachte sie auf. Bei der ersten Berührung schreckte sie zusammen, rollte sich dann auf die Seite und spreizte die Beine, als wollte sie ihn zu intimeren Zärtlichkeiten ermuntern. Sah ganz so aus, als hätte sie gegen einen morgendlichen Clinch nichts einzuwenden, aber wer weiß das schon im voraus? Sie umarmten sich und pressten sich aneinander, aber mit dem üblichen shawschen Eros hatte das hier nun wirklich nichts mehr zu tun. Nachthemd und Pyjama landeten irgendwo am Fußende zwischen den zerwühlten Decken. Eigentlich waren sie beide scharf auf ein geiles Match unter der Dusche, also standen sie auf und zogen sich ins Badezimmer zurück, wo Claudia ihm unter dem sprühenden Wasserfall einen abkaute. Dann kniete er sich in den heißen Dampf und brachte sie mit seinen rasenden Zungenspielchen auf Touren — allerdings hörte er damit dann doch mindestens zwei entscheidende Minuten zu früh auf, aber