Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
In der Bude lagen zahllose Briefe von der Vormieterin herum, die sie alle mit »Nancy Löwenherz« unterzeichnet hatte; es waren lange Liebesbriefe, die sie an einen »König Richard Löwenherz« gerichtet hatte. Anscheinend hatte der Bulle seine Finger im Spiel gehabt, als man sie in die Anstalt schaffte. Eines Tages kam ein Brief von der Mietaufsichtsbehörde, der an Officer Smekolsk adressiert war. Der junge Mann konnte nicht widerstehen und machte ihn auf — und erfuhr, dass man die gesetzlich zulässige Miete für seine Bude von sechzehn auf achtzehn Dollar angehoben hatte. Das bedeutete, dass der Bulle pro Monat dreißig Piepen illegal absahnte! Ein schneller Seitenblick auf seine Dope-Vorräte überzeugte Sam jedoch, dass es gewiss besser war, dem Bullen keine Schwierigkeiten zu machen.
Die Möbel ließ er so stehen, wie er sie vorgefunden hatte, und die Briefe von Nancy Löwenherz packte er alle sorgfältig in eine Ecke, für den Fall, dass sie irgendwann mal aus der Anstalt abhauen konnte. Die Bude war die reinste Kakerlakenfarm und er hatte weder Zeit noch Lust, alles ständig sauber zu halten, also beschränkte er sich auf seinen Schreibtisch, sein Bett und die mittlere Schublade vom Küchentisch. Die Messer und Gabeln aus der Schublade beförderte er kurzerhand in die Badewanne, was bedeutete, dass er das Zeug jedes Mal beiseite räumen musste, wenn er ein Bad nehmen wollte. In der ausgeräumten obersten Schublade brachte er seinen Dope-Vorrat unter: Hasch, Junk, Speed, Zigarettenpapier und Nadeln.
Sein ganzes Interesse galt Büchern, Dope, Kicks und seinen Freunden. Seit drei Jahren hatte er weder Fernsehen geguckt noch Radio gehört, abgesehen von gelegentlichen mitternächtlichen Jazzsendungen. Zeitungen? Die konnte man gut als Kopfkissen gebrauchen, wenn man in der U-Bahn oder auf ’ner Parkbank ein kleines Nickerchen halten wollte. Die Welt des Time Magazine existierte für ihn überhaupt nicht, Mann! So kam’s, dass ihn die Erfindung des Twists ohne jede Vorwarnung überrumpelte. Eines Nachmittags, als er vollgeknallt nach Hause stolperte, kam er an ein paar puerto-ricanischen Kids vorbei, die zum Sound eines schrill plärrenden Kofferradios auf dem Gehsteig Twist tanzten. In seinem Apartment drehte er dann sofort das Radio an und versuchte den Sender zu finden. Schließlich kriegte er WMCA rein, wo sie eine irre Scheibe mit dem Titel »The Lone Twister« spielten und die heisere Heulboje jaulte: »I’m the lone twista ...!«
»Hey Mann, genau das bin ich auch, ein lone twister!« rief sein Zimmergenosse Wilfred von nebenan; er zurrte gerade die Binde um seinen Oberarm, dann schoss eine Wolke von Blut in den Tropfer, Wolf drückte den Gummiball zusammen und der Stoff schoss ihm in die Vene. Wilfred war gerade dabei, sich durch de Ropps »Drugs and the Mind« hindurchzuarbeiten, die Bibel aller Dope-Schlucker, und er probierte alles aus, was er zwischen die Finger kriegen konnte.
Beispielsweise hatten die beiden vor, eine Ladung Peyote anzutesten. Es war offenbar völlig legal, wenn man sich Lophophora williamsii, den Peyotekaktus, per Post von den Kaktusfarmen in Texas und im Südwesten orderte, und in diesem Jahr kauten die Mäuler in der Lower East Side auf einer wahren Flut von Peyoteknollen. Erst gestern war Sam zur Stuyvesant-Station geschlurft und hatte ein Päckchen von der Kaktusfarm abgeholt.
Als es dann schließlich losgehen sollte, war Sam allein. Wilfred war verschwunden, auf Kundschaft oder Klautour oder Dope auftreiben, weiß der Teufel, was er gerade wieder ausheckte. Kurz vorm Weggehen meinte er nur noch, Sam solle doch ruhig schon mal ohne ihn abfahren. Nachdem er fünf dunkle Kapseln mit Peyotekrümeln verschluckt hatte, legte sich unser junger Dichter lang und wartete auf den Anfall von Übelkeit, der, wie es hieß, oft gleich nach dem Einnehmen auftritt. Er merkte allerdings nichts davon, doch innerhalb weniger Minuten hatten die Götter alle Lichter des Peyote angeknipst. Er schaute sich im Zimmer um und entdeckte überall Farben und Farbschattierungen, die ihm vorher noch nie aufgefallen waren. Dann schaute er hoch und fixierte die kupferfarbene Verkleidung um den Sockel der Lampenfassung an der Decke. Normalerweise war das Kupfer nichts anderes als ein schwacher Schimmer im brüchigen Stuck der Zimmerdecke, aber dank Lophophora glühte dort oben jetzt ein wahnwitziges Feuer. Er konnte sich gar nicht mehr losreißen und starrte minutenlang in das flammende Kupfer.
Man hatte ihm geraten, die Augen zuzumachen und auf die Peyoteblitze zu warten, die genauso aussehen wie Ezechiels große wirbelnde Gottesräder. Also schloss er die Augen und wartete. Aber statt Ezechiel über den Weg zu laufen, machte er einen mächtigen Zeitsprung, und plötzlich flimmerte wie im Traum Mr. Roddles 49er-Plymouth über seinen inneren Bildschirm. Seine Schulkameraden von 1952 saßen darin und waren unterwegs zur Rollschuhbahn in Bluff River, Colorado. Wie zum Teufel kam die Rollschuhbahn hierher? Spielte da eigentlich auch gar keine Rolle — er fühlte sich prächtig, genau wie in einem kleinen futuristischen Kino, wo sein eigenes Biotape über die Leinwand huschte. Und plötzlich murmelte er sogar: »Fahr’s ab, oh Zeus, na mach schon!«
Mr. Roddles blauer Plymouth hatte raue braune Schonbezüge über den Sitzen, solche, wo es einem immer kalt über den Rücken läuft, wenn man mit dem Fingernagel drüberkratzt. Sam sah jetzt das Innere des Wagens und da saßen die Kids mit ihren Rollschuhen auf dem Schoß. Dann sah er plötzlich sich selbst und wie er einen Arm um die Schultern seiner Freundin Annie Thornton gelegt hatte. Annie Thornton! Die er seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte! Annies Vater fuhr den anderen Wagen mit Rollschuhläufern. Sam erinnerte sich jetzt wieder: Auf diese Weise hatte er immer dafür gesorgt, dass Annies Vater ihn nicht im Rückspiegel dabei erwischte, wie er mit seiner Tochter herumschmuste. Er hatte es auch jedes Mal geschafft und so lange auf sie eingeredet, bis sie mit ihm zusammen bei Mr. Roddle mitfuhr. Als Annies Gesicht jetzt in voller Lebensgröße vor ihm erschien, fühlte er wieder diese schmerzliche Leere in seinem Bauch, genau wie damals vor acht Jahren, als er noch nicht der runtergekommene Beatnik von heute war. Sie war dunkelblond und hatte feine blonde Härchen auf den Unterarmen. Schon damals mit zwölf war sie eine Schönheit gewesen, und sie jetzt wiederzusehen, so echt, als ob sie vor ihm stünde, brachte ihn ganz aus der Fassung. Leiden musst du, Beatnik, leiden!
Annie und Sam hatten ungefähr fünf Jahre lang beim gleichen Lehrer Klavierunterricht gehabt. Ja, das war’s, wo er sie zum ersten Mal gesehen hatte: Sieben Jahre alt, mit Locken bis zum Po, saß sie vor den Tasten und quälte sich durch einen dieser schrecklichen Klavierabende, die die Schüler in regelmäßigen Abständen für ihre Eltern veranstalten mussten.
Plötzlich fielen Sam auch die alten Filme ein, die er immer Samstag nachmittags mit Annie Thornton angeschaut hatte. Ihr Vater saß meistens weiter hinten und er mit ihr immer ganz vorn, in der dritten Reihe. Ihre weißen Jeans, die gestärkte weiße Bluse, die sie in der Taille verknotete. Ihr Haar. Das Popcorn. Die heimlichen Zigarettenraucher, die sich ganz tief in die Sitze verkrochen, wenn sie ihre ersten Lucky Strikes pafften. Der Schweiß auf seiner Handfläche, wenn sie herzklopfend Händchen hielten. Was für eine sagenhafte Mischung von Düften!
Er erinnerte sich noch gut daran, wie er eines Tages zum ersten Mal seinen Arm um ihre Schultern gelegt hatte, voller Angst, dass sie ihn wegstoßen würde. Stattdessen lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter, der reine Wahnsinn! Und was konnte je das Gefühl übertreffen, das er hatte, wenn sie seine Hand umklammerte? Ja, war denn das möglich, dass ein Beatnik-Trio, das sich auf Meskalin splitternackt auf der Matratze hin und her wälzte, es kaum mit diesem Schauder beim Händchenhalten aufnehmen konnte, den er damals in der Nachmittagsvorstellung eines Durango-Kid-Streifens empfunden hatte?
Die Zwölf- und Dreizehnjährigen luden sich seit Kurzem gegenseitig zu ihren Parties ein. Ein paar gingen sogar zusammen in die Tanzschule: organisierter und sanktionierter Körperkontakt — anderthalb Stunden Foxtrott, Box Step, Jitterbug, zwei Cola und spätestens um zehn wieder nach Hause. Die Alten hatten natürlich alles unter Kontrolle. Irgendwelche Fummelaktionen waren völlig undenkbar. Wenn die anderen ein paar »schwache« Eltern dabei erwischten, dass sie Knutschereien auf den Parties duldeten, war der Teufel los. Sam erinnerte sich an diese spezielle Party, wo sie ganz spontan ein Spiel erfunden hatten. Es hieß »Pick-a-leg«. Die Leute teilten sich in zwei Hälften und eine davon setzte sich auf die Fenstersimse und ließ die Beine runterbaumeln. Die aus der andern