Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
»Das ist deine Schuld, Cl-... (beinah hätte er Clotho gesagt) ... Claudia!« fauchte Roy bissig zurück. »Du musstest ja unbedingt alle drei Parzen auf einmal spielen in dieser verdammten Produktion. Wenn du nicht die ganzen Änderungen durchgesetzt hättest ...«
»Die Kritiker hauen uns in die Pfanne, egal, wie viele bei den Vorschauen aufkreuzen«. Und bei dieser Meinung blieb sie auch, obwohl sie so was natürlich niemals laut sagen durfte. Hüte dich davor, deinen Leuten oder — Gott bewahre! — deinem Mäzen jemals was von Reinfall vorzuschwatzen! Diese Regel war ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
Es war zwei Uhr morgens, die Nacht nach der ersten Vorschau. Claudia war allein im Theater bis auf Paolo, den sie drüben zwischen den Stuhlreihen mit seinem Besen herumhantieren hörte. Sie saß in ihrem Büro und hörte sich auf dem Tonband ein Werk an, das ihr vom Celestial Freakbeam Orchestra zur Produktion angeboten worden war. Das Celestial Freakbeam Orchestra war ein Ensemble aus der Lower East Side, das von der Total Assault Cantina aus operierte.
Es war ein irres Stück, die Instrumentation hatte Joshua Gortz besorgt, und die Texte stammten von Sam Thomas, dem Herausgeber des Gedichtblattes The Shriek of Revolution. Sie hatten ihr Werk Ghost Dance genannt. Die einzigen Darsteller waren zwei junge Tänzer / Sänger, die als Personifikationen von Hiroshima und Nagasaki auftraten. Die Bühne hatte die Form eines Pilzes und war von oben bis unten mit durchsichtiger Gaze und Lametta verkleidet. Claudia war von Musik und Text so begeistert, dass sie es unbedingt sofort über die größere Bühnenanlage hören musste.
Geräuschlos glitt sie über die kleine Treppe und auf die Bühne. Plötzlich sah sie im hinteren Teil des Zuschauerraums jemanden springen. Im Halbdunkel erkannte sie Paolo; offensichtlich war er beim Fegen auf die Idee gekommen, das umgekehrte T des großen Hausmeisterbesens als Stütze für seine himmelsstürmenden Sprünge auszuprobieren. Wie ein Schlittschuhläufer, der mit einem Gartenstuhl über einen gefrorenen See gleitet und sich dabei vorstellt, er sei sein Partner, mit dem er da trainiert.
Vor ein paar Tagen hatte sie ihn mit seinem Basketball aufgezogen, den er jeden Tag mit ins Theater brachte. Er war ziemlich böse geworden und forderte sie auf, mit ihm auf das Spielfeld an der Bowery zu gehen. Ein paar Tage lang hatte sie sich gedrückt, aber dann ging sie doch mal mit ihm hin und sah ihm zu, als er den Ball ein paar Mal geschickt in den Korb warf — kein Kunststück für jemand von einssiebenundneunzig. Er schaffte den Korb sogar aus einer halben oder ganzen Drehung heraus — und dabei waren ihr zum ersten Mal seine Beine aufgefallen und seine vollkommene Brust, die in einem rasanten Schwung von der Spitze seines muskulösen Bauches aus bis zu den Brustwarzen verlief und sich dann langsam wieder zurückwölbte bis zu den weit auseinanderstehenden hageren Schultern. Sie erfuhr; dass er seit zwei Jahren regelmäßig ins Luminous Animal kam; aha, deshalb war er ihr auch gleich so bekannt vorgekommen. In all den Jahren beim Theater hatte sie eigentlich nie so richtig mitgekriegt, was für Leute zu ihren Vorstellungen kamen. Sie mischte sich nämlich grundsätzlich nie unters Publikum, weder vor noch nach der Show. Sie hatte einen Gang bauen lassen, der von ihrem Büro hinter der Bühne zum Kassenschalter führte, sodass sie ein Auge aufs Geld haben konnte, ohne sich um die Gesichter im Foyer kümmern zu müssen. Paolo, das kriegte sie schnell raus, hatte eine fixe Idee, und das war der Tanz. Es war ein unwiderstehlicher Drang in ihm. Sein Vater hatte Tanz studiert oder irgendwas mit einer Tanzgruppe zu tun gehabt, ehe er in Korea draufging. Und Paolo war so gefühlsbetont, so heftig, wie sie es noch nie erlebt hatte. Alles, was er anfasste, packte er gleich so, dass seine Fingerknöchel sich weiß verfärbten; so hockte er manchmal am Washington Square und las Nijinsky, mit beiden Händen den verblichenen Einband umklammernd.
Claudia ging hinüber zur Schalttafel und tauchte die Bühne in helles Licht. Die Sprünge hörten auf. Sie schob das Band mit dem Celestial Freakbeam Orchestra in das Wollensak-Tonbandgerät und schloss es an die beiden großen Lautsprecher an, die sie bei Newsreel ’84 benutzten. »Paolo, kommst du mal bitte?«, fragte sie ihn und, als er mit einem Satz auf die Bühne gesprungen war, »Hast du Lust, dir ein neues Band anzuhören?« — Er setzte sich auf eine Richterbank und las ein paar Seiten aus dem Text. Sie bemerkte, wie seine Beine leicht im Takt der Musik zuckten und dann ...
»Komm, lass es uns erforschen«, sagte sie nur und hantierte am Lichtschalter, bis das Bühnenlicht zu einem weichen, orangefarbenen Oval zusammengeschmolzen war, umgeben von Dunkelheit. Sie ging in die Mitte des Ovals und wartete, dass Paolo zu ihr kam. Er war nicht ganz sicher, was sie meinte. »Hast du Lust«, sie streckte die Arme nach ihm aus, »mit mir«, halbe Drehung, »zu tanzen«?
Im selben Moment stand er schon neben ihr im orangefarbenen Licht. »Kannst du mich heben?«, fragte sie und schlang einen Arm um seinen Hals. Mit überraschender Kraft hob er sie hoch und schwang sie über seinen Kopf. Sie wirbelten durch die Dunkelheit und dann im Licht. Aus unzähligen Stunden, die er am Bühnenrand verbracht und sie beobachtet hatte, kannte er ihren Stil bis ins kleinste Detail und passte sich jetzt ihrem Tanz instinktiv an.
Die ganze Zeit trug sie goldene Slipper an den Füßen, eine der Kleinigkeiten, die sich unglaublich tief in die Erinnerung einprägen. Jahre später, als er schon längst zum Lektor bei Random House avanciert war, konnte es passieren, dass Paolo bei einem seiner Haschischöl-Wochenenden die Augen schloss und in einen langen Tagtraum versank, in dem er plötzlich die schlangengleichen Bewegungen von Claudias goldenen Slippern vor sich sah.
Ihr Leben lang würde Claudia ihr Finale bereuen, als sie Paolo ohne Schutz zurückgelassen hatte und mit dem Luminous Animal Theatre und Newsreel ’84 ihre erste Europatournee machte. Er ließ Nijinskis Tagebücher sausen und hoffte, bei den Princeton Five Karriere machen zu können, bis sich rausstellte, dass er damit auf dem falschen Dampfer saß. Eine Zeitlang aber kam es beiden so vor, als schlürften sie den reinsten Göttertrank. In ihrer ersten Nacht tanzten sie bis um vier Uhr morgens, ohne Pause, und erreichten mit dieser tragischen Musik von Hiroshima und Nagasaki ironischerweise einen Zustand von Ekstase.
Sie war verblüfft. Er erkannte jede Bewegung, die sie andeutete, auf Anhieb wieder und konnte sie in jeder erdenklichen Reihenfolge wiederholen. Und er akzeptierte ihre Führung. Das Celestial Freakbeam Orchestra jaulte weiter.
An dem Tag, an dem sie ihm beim Basketballtraining zugeschaut hatte, war ihre Entscheidung gefallen, und nun verschwendete sie keine Minute. Drei Tage später, das heißt, in der Nacht nach ihrem ersten Tanz ähnelte es schon einem eleganten Touch-Football-Spiel. Paolos Haut glitzerte vor Schweiß, der sich mit ihrem vermischte, er sah aus, als habe er sich für ein Photo in einem Muskelmagazin eingeölt. Die Haut glitzerte unter den kurzen Turnhosen und dem St.-Agnes-Boys-Club-T-Shirt, das Claudia ihm bald auszog. Sie selbst hatte noch das halbe Nonnenkostüm aus der Newsreel ’84-Vorstellung an. Aber darin wurde es ihr jetzt wirklich zu heiß, meinte sie, streifte es ab und tanzte in einem dunkelroten Trikot weiter.
Auch heute Nacht stammte die Musik wieder vom Celestial Freakbeam Orchestra-Band, aber diesmal wollte Claudia durch ihre Interpretation den häufig monotonen Rhythmen etwas mehr Zusammenhang geben. Ihre Hände streichelten seinen Brustkasten. Er legte seine Arme um sie und so bewegten sie sich eng umschlungen mehrere Minuten lang über die Bühne.
Nach einer Weile hauchte sie: »Zieh sie aus«, und brachte dabei ihren Mund ganz nah an sein Ohr. Er zog seine Hose aus und sank in die Knie, um seine Erektion halbwegs zu verstecken. Aber schon glitt sie auf ihn zu, das Trikot flog auf die Seite und landete halb in dem ovalen Lichtkreis, und ihre Knie waren die Spitzen eines einmaligen V, als sie sich jetzt mit untergeschlagenen Füßen auf seine Knie senkte, und dann langsam immer höher rutschte, höher hinauf auf den Muskeln seiner Oberschenkel, und dann war er plötzlich in ihr drin.
Sie legte seine Hände unter ihre Schenkel und schlang die Arme um seinen Hals. »Steh auf«, flüsterte sie leise.
Er kam langsam auf die Füße und stand schwankend in dieser ungewohnten Position aus dem erotischen Ballett. »Mach die Musik lauter«, flüsterte sie ihm ins