Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
13. Trotz ihrer archivarischen Neigungen hatte Claudia eine Schwäche, die sie mit der Zeit immer mehr verabscheute: abzuhauen. Alle Brücken abzubrechen. Traurige Menschen zurückzulassen, die sie nicht mehr verstanden. Und es dauerte nicht lange, bis sie anfing, einen Schuldkomplex für gewisse Dinge zu entwickeln, die ihr aus der Hand geglitten waren. Ein paar Fälle, die schon etwas weiter zurücklagen und zu Beginn ihrer Karriere passiert waren, wurde sie einfach nicht los. Sie fand keine Ruhe mehr vor dieser Schuld — jederzeit konnte sie sich wie ein LSD-Flashback auf sie stürzen. Manchmal füllten sich mitten in einer Vorstellung ihre Augen mit Tränen — was ihre Freunde immer für ganz besonders große Kunst hielten. Und nach einem ganzen Jahrzehnt in der Bohème war die Last von Gewissensbissen wegen schiefgegangener Projekte, bitterer Affären und ruinierter Freundschaften manchmal kaum noch zu ertragen. Ein Poet gab seine Dichtung auf, und mit einunddreißig Jahren fielen ihm in der Amphetamin-Todesfalle die ersten Fußnägel und Zähne aus — sie machte sich dafür verantwortlich. Ein anderer stürzte sich zu Tode — sie war schuld. Und eine Dritte, die sie abgewiesen hatte, verließ das Theater, für das sie als konkurrenzlose Designerin gearbeitet hatte, und setzte nie wieder einen Fuß hinein.
14. Sie hatte einen abergläubischen Hang zur Magie. Unzählige schreckliche Nächte hatte sie sich mit dem Studium der alten Schinken von A. E. Waite und Dion Fortune um die Ohren geschlagen. Sie besaß einen Glasschrank mit okkulten Werken aus dem Keller von Weiser’s Bookshop, aus dessen Nähe sie selbst ihre engsten Freunde strengstens verbannte. Sie ahnte wohl, dass die Vereinigten Staaten in nicht allzu langer Zukunft mit einem fürchterlichen »Wasserstoff-Jukebox«-Krachen die Luft gehen würden. Sie und noch ein paar andere waren auserwählt, den Totentanz durch die Ruinenstädte aufzuführen und ihre liebsten Gemälde und Artefakte aus den zertrümmerten Museen zu retten.
Außerdem interessierte sie sich vage für Astrologie, deren Bedeutung für sie sich jedoch auf eine zodiakalische Analyse ihrer Karriere beschränkte. Anders ausgedrückt, sie war davon überzeugt, dass alle Sterne nur eine Botschaft verkündeten, und zwar, dass Claudia Pred in einem wirbelnden Regenbogen quer durch ein grasgrünes Theater tanzen würde, durch ein Publikum von einer Million Augenpaaren, dem es vor lauter Staunen glatt die Sprache verschlagen hätte.
15. Ein breites Spektrum von Kritikern war von ihr gefesselt — sie war für viele interessant mit ihren politischen Aktionen einerseits, dem Tanz, dem Theater, dem Gesang oder ihren Kostümen andererseits. Dasselbe Kunstwerk konnte bis zum Himmel gelobt und gleichzeitig völlig verrissen werden, was sie übrigens beides gelassen akzeptierte. Nur wenn sie Spott oder Verachtung hinnehmen musste, bekam sie rasende Tobsuchtsanfälle. Es gab Kritiker, die gerne über ihre politischen Statements, die sie in ihren Tänzen vom Stapel ließ, herzogen und sie verspotteten. Sie beschimpften sie als »politisch naiv« und damit offensichtlich als Sozi oder, was noch schlimmer war, sie zählten sie mitten in all dem Gerede vom Kalten Krieg zu den sogenannten Kommunistenschweinen, was in einer Tanz- und Theaterszene, die zum größten Teil von Kriegsdollarspekulanten finanziert wurde, absolut verpönt und peinlich war.
Die New York Post zeigte mit dem Finger auf sie und diagnostizierte ihr einen »Jeanne-d’Arc-Komplex«, eine Beleidigung, die einen Wutanfall auslöste. Aber es dauerte nicht lange und sie hatte eine äußerst nützliche Regel ein für allemal kapiert: Hör auf damit, Rezensionen zu lesen, gleichgültig, woher sie kommen. Vor missgünstigen Kritikern darfst du nie die Beherrschung verlieren. Und obgleich sie sich strikt daran hielt, errichtete sie irgendwo in ihrem Hinterkopf einen kleinen Glaubenstempel, auf dessen Portal die Übertragung eines gewissen Satzes von Voltaire eingemeißelt war: »Der letzte Kritiker, erwürgt von den Gedärmen des letzten Theatermäzens.«
Die Kritiker, die sie mit ihrer Kunst faszinierte, blieben ihr für alle Ewigkeiten treu. Begriffe wie »Genie« und »proteische Energie« oder auch »nie da gewesene Schönheit« schienen wie von selbst aus ihren Schreibmaschinen herauszusprudeln.
Eine peinliche Situation ergab sich immer dann, wenn bestimmte Rezensenten auf die Idee kamen, ihre Macht auszunutzen. Meistens wichen sie nicht mehr von ihrer Seite, hörten ihr verständnisvoll zu, versuchten zuerst, sie unter den Tisch zu trinken, und dann, sie aufs Kreuz zu legen, und torkelten schließlich total erledigt zu ihrem Taxi oder der nächsten U-Bahn-Station zurück. Sie hatte ein paar auffallende und charakteristische Körpermerkmale, die manche Kritiker am liebsten manuell analysierten. Am berühmtesten war wohl ihr Arsch, der als mindestens so sagenhaft galt wie der von Claudette Colbert und von ihren Fans unter den Zeitungsschreibern auch mit der größten Hingabe diskutiert wurde. Die meisten Kritiker konnten einfach der Versuchung nicht widerstehen, mitten in einem Interview mit zittrigen Händen dieses lebendige Abbild der Aphrodite zu betatschen.
Genug dieser Schwärmereien, o kratzender Rapidograph der Nacht — wir müssen in unserer Geschichte fortfahren, obwohl wir gerne verweilen und noch so manches Kapitel der Beschreibung der erstaunlichen Claudia Pred widmen würden, der Sängerin und Schöpferin des Ausdruckstanzes.
Seit dem Tag, wo sie angefangen hatte, Tanzdramen zu produzieren, träumte Claudia davon, einen Dramatiker / Komponisten zu finden, der ihr eine dramatische Tanzoper schreiben würde, bei der man vielleicht sogar ein kleines Jazzensemble einsetzen könnte. Und sie würde das Ganze dann im Luminous Animal Theatre aufführen — mit sich selbst in der Hauptrolle, versteht sich. Eine Weile glaubte sie schon, dieses Genie in Roy Shields von der Dritten Straße Ost entdeckt zu haben. Shields war in der ganzen Cedar-Bar/White-Horse/Stanley/Bowery-Kneipenszene nur als Dirty Roy bekannt, erstens, weil er in einem unglaublich vergammelten und dreckigen Apartment hauste, und zweitens wegen einiger Indiskretionen bezüglich der Läusefarmen, die er in seinen Achselhöhlen angelegt hatte. Die Viecher breiteten sich aus wie die Fliegen, besonders, wenn er auf die Idee kam, beispielsweise auf eine Jukebox zu klettern und dort seine Jitterbug-Technik zum Besten zu geben. Claudia klärte dieses Problem, sobald ihre Beziehung intimere Formen annahm, indem sie ihn unter den wüstesten Beschimpfungen ins Badezimmer verbannte. Später wuchs sich das dann allmählich zu einem pawlowschen Reflex bei ihm aus: Jedes Mal, wenn sie anfing zu schreien, verkroch er sich automatisch in die Dusche.
Im Grunde hatte er gar nichts gegen ihren Sauberkeitstick — ein Teil von Dirty Roy wünschte sich nämlich nichts sehnlicher, als sich eines Tages in Tuxedo-Roy zu verwandeln, obwohl er einem garantiert ins Gesicht gesprungen wäre, wenn man ihm das 1961 prophezeit hätte. Wir sind natürlich auch heute nicht sicher vor seiner Rache, das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ihn seine hochfliegenden Pläne ein paar Jahre dazu zwangen, sich ständig in einer neuen Rolle zu präsentieren: Erst war er der Skandal-Roy, dann der Leise Roy, schließlich verwandelte er sich in Stromlinien-Roy und endete als Tuxedo-Roy. Als Tuxedo-Roy — und damit eindeutig als einer von denen, die er früher verabscheut hatte, ein Scheißliberaler nämlich, der ohne mit der Wimper zu zucken, mal hier, mal da einen Scheck für eine gute Sache lockermacht, — als Tuxedo-Roy also kapierte er schnellstens, wie man das macht, wenn man den Sommer in Richland, den Winter in Villaland und den Herbst auf der Shubert Alley verbringen will.
Aber vielleicht sind wir ein bisschen unfair mit unserem guten Roy Shields, denn zu Beginn unserer Story war er immerhin noch der bedeutendste Schreiber der gesamten Off-Broadway-Bühne. Und zum Komponieren hatte er wenigstens so viel Talent, dass er immer noch mit Leichtigkeit ein paar Melodien und Soli für das Jazzquintett hinkriegte, das bei einigen seiner Stücke mitmachte.
Roy Shields bildete sich ein, er sei der größte Stückeschreiber seit George Bernard Shaw. (Ein paar Jahre später, als die LSD-Ära ausbrach, schluckte er oben in Millbrook ein paar Trips und war hinterher