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gaben auch die vibes, wie man so schön sagt, oder die Vektoren, irgendwie nicht mehr her als ein Paradies pro tempore.

      Während Claudia jetzt tanzend ein Frühstück für zwei vorbereitete, drehte sich ihre Konversation bald nur noch um schlechte Kunst und den goldenen Käfig oder, wie Blake sagt, die seidenen Netze, mit denen die Liebe auch die hochfliegendsten Seelen in die Falle lockt.

      Eigentlich fand er ja, er hätte das Gespräch so unauffällig auf sein Stück gebracht, dass es völlig absichtslos wirkte. Er ging kurz auf die »Spannung« in der ersten Prozessszene des dritten Aktes ein und kritisierte dann ihr »explosives Gewirbel« — das heißt, ihre Art zu tanzen —, und das war eine Terminologie, die sie augenblicklich auf die Palme brachte.

      Dieser eine Satz löste eine Auseinandersetzung aus, die geradezu kindisch war und mit einem endgültigen Bruch ihrer Beziehung endete. »Bist du etwa tatsächlich der Meinung, dass man aus diesem Wirrwarr an undefinierbaren Einzelheiten überhaupt was rausholen kann?«, fragte sie.

      Und so ging es immer weiter. Sie schrie ihn an, bei ihm bestände Kunst bloß darin, weitschweifig zwischen den beiden Polen langweilig! langweilig! langweilig! und didaktisch! didaktisch! didaktisch! zu schwanken.

      Zum Finale ihrer Auseinandersetzung verbannte sie Dirty Roy aus ihrer Wohnung und feuerte ihm auch noch seinen lächerlichen Koffer voller Manuskripte und Pissflecken hinterher, sozusagen als Auftakt für seine Rückkehr in das Apartment an der Dritten Straße Ost.

      »Langweilig!«, schrie sie ihm nach, als er die mit Linoleum ausgelegte Treppe hinunterstürzte.

      »Und du bist nichts weiter als ein Haufen Scheiße!«, schrie er zurück und ballerte seine Faust voll in den nächsten Briefkasten.

Blume

      »Mein Gott, er hat ja ein Halstuch um!«, dachte sie. Und nicht nur das! Mr. Twerthel, der Steuerprüfer, hatte sich auch eine neue Frisur zugelegt. Um seine beginnende Kahlheit wenigstens notdürftig zu verbergen, trug er neuerdings sein Haar nach vorn gekämmt, so ähnlich wie Julius Cäsar. Und außerdem trug er heute zur Abwechslung mal nicht seinen üblichen verlotterten Dreireiher mit den ausgepolsterten Schultern, sondern ein White-Horse-Tavern-Tweedjackett mit passenden schwarzen Hosen dazu und — bei allem, was heilig ist! — ein Paar mexikanische Sandalen mit Gummisohlen.

      Mr. Twerthel war über einen kleinen Papierkorb aus Drahtgeflecht gebeugt, in den Claudia auf Mr. Twerthels Drängen hin seit Kurzem alle Quittungen, Scheckbelege, Telefonrechnungen und dergleichen stopfte. Der Korb lief schon beinah über, und Twerthel war damit beschäftigt, die Geschäftsunterlagen Stück für Stück rauszufischen und sie fein säuberlich in sein Kassenjournal einzutragen. »Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee, Al?«, fragte sie und beugte sich dabei so weit zu ihm hinunter, dass eine ihrer vollen Brüste in der ukrainischen Bluse wie zufällig seine Schultern streifte. Einen Moment lang waren alle Steuerdaten in seinem Kopf wie ausgelöscht, und ein warmes, seltenes Glücksgefühl durchströmte ihn.

      Mr. Twerthel war vor ungefähr einem halben Jahr mit ihrem Fall betraut worden. Er bekam den Auftrag, den Einzug längst fälliger Steuergelder für Claudias Angestellte in die Wege zu leiten und ihre Buchhaltung zu überprüfen. Nach ein paar Besuchen bei Claudia hatte sich der Steuereintreiber so intensiv in ihre Journale gestürzt, dass es mittlerweile ganz so aussah, als stände gar nicht sie beim Finanzamt in der Kreide, sondern ganz im Gegenteil, als hätten sie und das Theater Aussicht auf eine fette Rückzahlung. »Wenn das jemals rauskommt, sitz ich ganz schön in der Tinte«, war einer von Twerthels Lieblingssätzen.

      Ansonsten war er jedoch ein Muster an Pflichteifrigkeit. Er war davon überzeugt, dass er hier sein Scherflein zur Rettung der Zivilisation beitrug, und gleichzeitig konnte er sich in der Nähe seiner verehrten Dame in Steuerschwierigkeiten aufhalten. Sie hatte ihre eigene Meinung zum Thema Finanzen. »Ich denke ja gar nicht dran, je in meinem Leben Steuern zu zahlen.« Wenn er nur daran dachte, brach dem Beamten schon vor lauter Nervosität der Schweiß aus.

      Schon nach kurzer Zeit hatte Twerthel die gesamte Buchhaltung des Theaters übernommen und war nun gezwungen, sich die merkwürdigsten Entschuldigungen einfallen zu lassen, um seine häufigen Besuche hier zu vertuschen. Neuerdings hatte er auch immer eine zweite Kleidergarnitur im Auto liegen. Im Luminous Animal Theatre trug er sein Bronxville-Beat-Outfit und deponierte seinen Dreireiher und die Krawatte solange auf dem Rücksitz.

      Claudia sparte mindestens zehn Stunden pro Woche, seit sie sich nicht länger damit rumschlagen musste, Steuern auszurechnen, Journale zu führen und Ausgaben zu verzeichnen. Twerthel sorgte für alles. Seit Neuestem versuchte er sich sogar im Verseschmieden und bewahrte eine sauber getippte Serie von Liebesgedichten in Plastikhüllen in seinem ledergebundenen Kassenjournal auf. Eines Tages würde er sie Claudia zeigen. Hoffte er.

Blume

      Sie hatte ihn schon öfters bemerkt, er konnte nicht viel älter als siebzehn oder achtzehn sein. Eines Tages, als sie zur Probe ins Theater kam, lief er ihr über den Weg. Er war ungefähr so groß wie sie, was ihr aber am meisten auffiel, waren seine dichten schwarzen Augenbrauen und das schöne Gesicht. Was für ein Gesicht! Unter einem Arm trug er einen Basketball, und in der Hand hielt er eine ziemlich zerfledderte Hardcover-Ausgabe von Nijinskis Tagebüchern.

      So harmlos fing es an. Er fragte, ob er bei den Proben zuschauen dürfte. Sie überlegte einen Moment und war nahe dran, von ihrem Prinzip abzuweichen. Normalerweise durfte grundsätzlich niemand vor der Premiere zuschauen. Schließlich sagte sie, Nein, nicht vor der Eröffnung, aber er solle doch ruhig später noch mal wiederkommen, in ein paar Tagen vielleicht. Als sie in das dunkle Luminous Animal Theatre hineinging, fiel ihr plötzlich noch etwas ein, aber als sie sich umdrehte, hörte sie, wie er seinen Ball schon einen halben Block entfernt vor sich hin dribbelte.

      Nach der Probe ging sie die Bowery hinunter, um im Ping Ching Restaurant in Chinatown zu essen. Als sie an einem kleinen Park vorbeikam, bemerkte sie den Burschen wieder. Er trainierte gerade, mit seinem Ball den Korb zu treffen. Als er einem abgeprallten Ball hinterherlief, rief sie ihn. Er kam angelaufen und trieb dabei den Ball mit komplizierten kleinen Stößen vor sich her.

      »Kannst du einen Job gebrauchen?«, fragte sie.

      »Als was?«

      »Wir brauchen jemand, der die Leute reinlässt und ihnen ihre Plätze zeigt und nach den Vorstellungen beim Saubermachen hilft, fegen, die Stühle wieder gerade rücken und so weiter. In zehn Tagen ist Premiere, und wir haben alle Hände voll zu tun.«

      Dann erzählte sie ihm, dass sie ihm leider nur fünfundzwanzig Dollar die Woche geben könnte, bei sechs Arbeitsnächten, mehr könnte sich das Theater nicht leisten, aber andererseits würde er natürlich jede Menge lernen, könnte bei den Proben zuschauen und bei den Requisiten helfen. Plötzlich fiel ihr noch was ein. »Gehst du eigentlich noch zur Schule?«

      »Nein. Keine Schule«, schwindelte er.

      »Und wie heißt du?« — »Paolo.« — »Ich bin Claudia« — sie gab ihm die Hand. »Kannst du gleich heut Abend anfangen?« Ja, ja, er drehte sich um und traf vom äußersten Ende des Spielfeldes genau in den Korb — ja ja.

      Claudia beschloss, eine Woche Vorschauen zu zeigen und dafür zu sorgen, dass die Schreibtische der lokalen Pressevertreter mit Pressemeldungen überschwemmt würden. Höchstpersönlich rief sie auch den Parteivorsitzenden der Demokraten an, der sich so über die Rolle des Bürgermeisters als Lord High Chopper ereifert hatte. Dem Bürgermeister und dem Staatsanwalt schickte sie offizielle Einladungen zur Premiere.

      Die erste Vorschau von Newsreel ’84 lief vor einem halb leeren Haus, aber an den folgenden Abenden kamen immer mehr Leute. Und die Reaktion, stehender Applaus am Ende des zweiten Abends, ließ wenigstens über Roy so etwas wie den berühmten Hoffnungsschimmer aufgehen. Claudia blieb nach wie vor skeptisch, was die Chancen des Stücks betraf. Für ihren Geschmack sah das Ganze immer noch wie eine hastig zusammengeschusterte Rhapsodie