Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
---|---|
Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
2. Sie war vom Tanzen besessen, und nur hier empfand sie die ständige Erneuerung der Ewigkeit. Ihre Ausdauer war sagenhaft, aber ihre Beine machten nicht mit. Soviel sie auch daran arbeitete, es sah nicht so aus, als ob sie jemals kräftiger werden würden. Allerdings fielen ihre Trainings auch nicht besonders intensiv aus, denn anschließend fühlte sie sich jedes Mal wie gerädert. Und warum sollte sie sich denn auch zu Tode schuften? Bloß weil da jemand stand und ihr befahl: »Tanz, Devadetta, tanz!«? Vor dem Publikum, wenn es wirklich drauf ankam, steckte sie jedoch voller Energie, Ausdruckskraft und neuen Einfällen. Sie war eine vollendete Schönheit, und wir wollen es ruhig gestehen — auch wir haben so manche Nacht im Luminous Animal Theatre gehockt und uns diesem Ritual aus Anmut, Kraft und Ausdruck hingegeben.
3. Ihre Haltung war streng, ihre Gesichtszüge unbeweglich und die Backenknochen ragten so weit vor, dass sie Schatten warfen, wenn sie im Scheinwerferlicht stand. Ihr Haar war eine wilde Lockenpracht, die ihr lang über den Rücken fiel. Gewöhnlich kämmte sie sie straff nach hinten, aber es konnte auch vorkommen, dass sie mit Zöpfen auftrat oder ihr Haar im Nacken zu einem hinreißenden kleinen Knoten aufgesteckt hatte. Wenn sie abends Vorstellung hatte, steckte sie sich eine glücksbringende Haarnadel in diesen Knoten, einen Messingring, der angeblich vor vielen Jahren Hermann Melville gehört hatte. Meistens ließ sie an der Stirn ein paar Locken offen, die sich dann über ihren Augen kräuselten — ein kleines Detail mit großer Wirkung. Es jagte den glasäugigen Tanzfreaks einen Schauer nach dem anderen über den Rücken, wenn sie mitansahen, wie ihr Haar im Verlauf einer Vorstellung langsam feucht wurde und sich auf ihrer Stirn glitzernde Schweißperlen bildeten.
4. Sie strahlte etwas aus. Wohlgemerkt, Leute, nicht etwa den trüben Schimmer des Elends, sondern das kalte Licht Appolonias. Strenge. Disziplin. In ihrer Nähe schmolz alles andere wie Erdnussbutterbrötchen in der Sonne. Aber diese kompromisslose Haltung brachte ihre Bewunderer und Verehrer nur noch mehr auf Touren, Männer wie Frauen mit den verschiedensten Erwartungen und Träumen. Sie förderte das nach Kräften. So konzentrierte sie beispielsweise einen beachtlichen Teil ihres ausgefallenen künstlerischen Geschmacks auf ihre Kostüme und eine individuelle Erscheinung. Alles an ihr hatte das gewisse Etwas. Gleichgültig, ob auf der Bühne, hinter der Bühne oder unter der Bühne, immer präsentierte sie bei ihren unglaublich geschmeidigen Bewegungen den Zuschauern Backenknochen, Gesicht, Hände oder ein Stück Fuß nur im eindrucksvollsten Blickwinkel.
5. Sie zog Menschen an wie ein Magnet. Und dazu verfügte sie über die wichtigste Eigenschaft eines geborenen Führers, nämlich die Fähigkeit, sich auch dem kleinsten Projekt mit Haut und Haaren verschreiben zu können. Ihre Anhänger dagegen waren ständig drauf aus, sich in ihr Privatleben einzumischen, und in ganz New England gab es kein College mehr, in dessen Theaterseminar nicht ein paar aufmüpfige Studenten, besonders gern weibliche, versuchten, Claudia Preds Leben in der New Yorker Theaterszene zu kopieren. Es erschien ihnen schier unglaublich, mit wie viel unterschiedlichen Projekten sie gleichzeitig fertig wurde.
6. Obwohl sie sich bemühte, nach außen hin stets einen etwas verwirrten Eindruck zu machen, war sie in Wahrheit extrem resolut und dominierend. Sie wandte hier nur die klassische Technik jedes guten Schauspieldirektors an, die schon mindestens so alt war wie Richard Sheridans Managerposten beim Drury Lane Theatre. Ihre scheinbare Unentschlossenheit war tatsächlich totaler Widerstand gegen die kleinste Andeutung eines Kompromisses, und da ihre Pläne von Anfang an so gut wie in die Tat umgesetzt waren, konnte sie sich ruhig eine Portion scheinbarer Unentschiedenheit leisten. Im Übrigen ist diese Art von stilvoller und ausgeprägter Unbestimmtheit, besonders wenn sie gleichzeitig auch noch beruhigend wirkt, von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, ganze Meuten von Bankangestellten und Gläubigern abzuwimmeln, die Blut geleckt haben.
7. Sie besaß im Allgemeinen eine stoische Gelassenheit. Es kam wirklich äußerst selten vor, dass sie zu schreien anfing. Vielleicht lag es daran, dass sie gar nicht erst auf die Idee kam, dass sie irgendwo falsch liegen könnte. Wahrscheinlich wäre sie sowieso nie in der Lage gewesen, unter einem anderen Banner als dem von Wahrheit, Gerechtigkeit und Sozialismus zu marschieren. Da war zum Beispiel ihre sprichwörtliche Freigebigkeit — es kam nicht selten vor, dass sie die Papierrechnungen für irgendwelche Politfreaks einfach mitbezahlte, die auf ihrem Matrizendrucker Protestflugblätter gedruckt hatten. Oder ihnen Material und Farbe für die Siebdruckmaschine umsonst überließ. Sie brachte da was in Gang, das sie gerne Gemeinde genannt hätte — nur war sie ihren Freunden ständig um Längen voraus. Das lag aber zum Teil auch an ihrer Gefühlskälte, die wie ein Fluch über vielen kreativen Menschen liegt.
8. Sie hatte eine Schwäche für Merkzettel. Für jedes Projekt legte sie Listen mit ein- bis zweihundert Stichpunkten an, und ihr Zettelkasten quoll davon über. Aktuelle Projekte oder solche, die noch mal überarbeitet werden mussten, lagen oben. Tief unter diesem dicken Stapel war Platz für die, die ohne Schwierigkeiten liefen oder sich noch im visionären, schattenhaften Stadium befanden.
9. Sie führte ein Tagebuch. Und hielt ihn darin genauestens fest — den Vormarsch der Moskitos auf Sitte und Moral. Sie ließ nichts aus, nicht die kleinste Erinnerung, und schonte getreu ihrer Devise von Schlamassel nichts und niemand. Ja wirklich, sie war ganz wild auf Schlamassel, jedenfalls solange keine Gewalt im Spiel war. Irgendetwas kämpfte mit lustig aufblitzenden Augen gegen jede Form von Konvention, aber ohne diesen langweiligen, immer wieder auftretenden religiösen Fanatismus, der viele tapfere Krieger in ähnlichen Positionen befällt, Pioniere des Neulandes, am dessen Strand sie die ersten menschlichen Spuren hinterlassen. In diesen Tagebüchern erfand sie eine eigene Sprache zur Beschreibung ihres komplexen Liebens und Lebens, die ihren zukünftigen Biografen noch schwer zu schaffen machen wird, wenn sie sich nicht vorher doch noch dazu aufrafft, ihre Hapax Legomena in gewöhnliches Englisch zu übertragen. Außerdem hatte ihre Schrift Ähnlichkeit mit jenen amphetaminischen Kalligrafien, über die man sich manchmal morgens um drei im Café Figaro den Kopf zerbrechen kann — kurz, Freunden und Feinden war es gleichermaßen unmöglich, sich heimlich ihre Aufzeichnungen unter den Nagel zu reißen und dabei ein paar billige Kicks abzustauben.
Jeder Filmemacher in ihrer Umgebung wurde ermuntert, ihre Produktionen aufzuzeichnen, und sie selbst schnitt auf Tonband soviel mit, wie sie finanziell verkraften konnte. Tausende von Standphotos aus Proben und von den Mitwirkenden wurden sorgfältig beschriftet und für die Nachwelt aufbewahrt. Die besten Künstler der Stadt entwarfen die Plakate für ihre Vorstellungen— ein vollständiger, signierter Satz davon würde heutzutage auf jeder Auktion mindestens zehntausend Dollar bringen.
10. Was Männer und moralische Prinzipien betraf, so legte sie sich in dieser Beziehung eine übertriebene Härte zu. Man wird sich erinnern: Es war 1961. Einerseits sanken ihr Männer reihenweise in kriecherischer Anbetung zu Füßen. Die anderen markierte den wilden Mann und versuchten pausenlos, ihr vorzuschreiben, was sie zu tun hatte. Mit ihren ungebetenen und noch dazu lausigen Ratschlägen wurden sie ihr langsam wirklich lästig. Die meisten kamen ihr mit der Tour: »Hör zu, ich hab’s! Jetzt bin ich endlich dahinter gekommen, wie man den Handlungsverlauf in deinem Stück verbessern kann. Also pass auf, Folgendes ist erst mal überflüssig ...« Andere waren drauf aus, Verwirrung zu stiften, sie fertigzumachen oder zu beherrschen. Für solche Typen hatte sie ihre ganz speziellen Waffen: Spott, Verachtung und Festigkeit.
11. Sie war überall dafür bekannt, wie sie ihre Liebhaber quälte. Der Himmel mochte verhindern, dass sie einmal in Eros’ Armen versagten. Auf solche Ausrutscher reagierte sie unweigerlich mit leisen Pfiffen und Buhrufen. Andererseits liebte sie die unterschiedlichen Nuancen einer Versöhnung über alles, sodass man ihr die zeitweiligen Anfälle von Grausamkeit meist schnell wieder verzieh. Wenn sie mit einem Liebhaber Schluss machte, fühlte sie sich grundsätzlich als diejenige, der Unrecht geschehen war. In Wirklichkeit war es aber häufig so, dass der andere ihr massenhaft Vorwürfe unter die Nase hätte reiben können.