Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
Tracy sah genauso aus wie die rothaarige Frau, die aus Edouard Manets Dejeuner sur l’Herbe herausblickt. Und genau das war auch Tracys Set — das Picknick der Sinne. Es gab nur einen winzigen Unterschied: Sie war nicht ganz so mollig wie die Dame sur l’Herbe, aber ansonsten schien sie ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Barrett versuchte die Sprache darauf zu bringen, aber Tracy war natürlich längst im Bilde. Sie hatte ihm mal erzählt, sie wäre sauer auf Manet, schließlich hätte er doch wenigstens einen von den Typen auf dem berühmten Bachquartett ebenfalls nackt lassen können.
Tracy war Aquarellmalerin und hatte sich auf das Volk im Washington Square Park spezialisiert. Besonders auf die Schwarzen. Sie war nicht schlecht und arbeitete echt hart, aber ihr Name in den folgenden Jahren weder in den ARTNews noch in der Voice oder auf irgendwelchen SoHo-Postern auftauchte, ist es schwer zu sagen, ob sie bei der Malerei geblieben ist. Jeden Morgen schnappte sie sich in aller Frühe die Linie D von der Bronx ins Village und begab sich mitsamt Zeichenblock und Malkasten in den Park. Dabei war sie von lüsternen Hintergedanken nicht ganz frei, sie hielt sich nämlich für eine ergebene Adeptin (im votiven Sinne!) der »onyxfarbenen Zuckerstangen«, wie sie sich auszudrücken pflegte, einfach so, zack! Kein Wunder, dass sie überall beliebt war.
J.S.D.’s bevorzugter Zeitvertreib im Sommer war Blechdach-Sex. Das plötzliche Auftauchen von Tracy stürzte ihn in ein derartiges Paradies an Möglichkeiten, dass er sofort damit rausplatzen musste: »Hey Tracy! Wie läuft’s? Komm, wir gehen rüber zur Neunten Ost und machen’s eine Weile auf dem Dach. Ein Freund von mir hat da einen Sonnenschirm aufgebaut, und duschen können wir in seiner Bude auch.« Tracy und J.S.D. waren in der ganzen Szene berühmt für die Anzahl von Dächern, auf denen sie’s schon getrieben hatten. Einmal hatten sie sogar das Türschloss vom Washington Arch kaputt geschlagen und waren über die Wendeltreppe aufs Dach gestiegen, wo sie dann die Geburt Hymenaios’, des Lendenstoß-Gottes, zelebrierten.
J.S.D. und die andern schenkten Tracys Bildern keine große Beachtung und das ärgerte sie. Sie versuchten zwar dauernd, mit ihr zusammenzuziehen, hatten dabei aber eher ihre Abwaschprobleme im Kopf als Achtung vor ihr als Künstlerin. Immer wenn Tracy irgendwo auftauchte, schien sie durch John hindurchzustarren, als wenn er Luft wäre, und darüber hatte er sich schon immer furchtbar aufgeregt. Er existierte einfach gar nicht. »Guck mich doch mal an«, sagte er ganz leise, »bitte!«
Tracy lachte gerade und zeigte J.S.D. ihr neuestes Porträt, merkte aber instinktiv, dass seine Gehirnzellen nur auf eine einzige Frequenz eingepeilt waren. »Heut nicht, J.S.D. Vielleicht Morgen. Warte hier auf mich, so um die Mittagszeit, okay?«
»Okay, Baby, bis dann!« J.S.D. drehte sich um zu Barrett. »He, gehen wir zu Dom und sehen nach, ob’s da was zu essen gibt.«
VII
Doms Bude lag genau über dem Gemüsemarkt auf der First Avenue, und die Luft, die zum Fenster hereinstrich, roch immer ein bisschen nach Kartoffelkeimen und verfaulten Melonen. Als sie ankamen, stand Dom am Herd und briet Pfannkuchen. Vor ihm stand ein Teig aus zerbröseltem Matzenzwieback und Maismehl. Seine geflochtenen Sandalen schlappten über das Linoleum. Er schwitzte, und seine ölig glänzenden Muskeln spannten sich, als er die Pfanne schüttelte. Doms Stimme klang immer so, als wollte er seinen Akzent aus dem tiefen Süden karikieren: Mä-ann statt Mann, spie-äßig statt spießig und Zin statt Zen.
Dom wohnte mit June zusammen, die als Krankenschwester im Bellevue Hospital gearbeitet hatte, bis vor Kurzem eine Oberschwester sie dabei erwischt hatte, wie sie im Dope-Schrank des Krankenhauses rumfummelte. June hatte blondes, ganz kurzes Haar, fast schon einen Bürstenschnitt. Sie war sehr schmal, nur ihre Hüften beschrieben von dem flachen Bauch aus eine elegante Kurve von fast drei Zentimetern Durchmesser auf jeder Seite, ehe sie sich nach unten schwangen. Sie war ein echter Speedfreak und trotz ihrer Uniform eine vertraute Erscheinung, wenn sie abends auf dem Nachhauseweg am Brunnen vorbeikam. Sie hatte eine Vorliebe für die weißen Schwesternstrümpfe; heute trug sie welche unter einem mexikanischen Brautkleid, das am Mieder mit wilden Rosen bestickt war. J.S.D.’s Kopf sackte auf die Seite, und plötzlich ging Barrett der wahre Grund für ihren Besuch auf, er bemerkte nämlich ihre Blicke. Als ob sie sich gegenseitig mit den Augen ausziehen würden, drüben im anderen Zimmer und außerhalb von Doms Sichtweite.
In der Küche rülpste Barrett nervös, als er hinter den offenen Schranktüren nichts als die obligate Old-Mother-Hubbard-Leere entdecken konnte. Das einzige, was es in der ganzen Bude zu essen gab, war eine Packung Matzenmehl, eine Schachtel Matzenzwieback, eine Packung Maismehl und ein Liter Pflanzenöl, und all das würde sowieso bald verschwunden sein. Dom hievte gerade den riesigen Pfannkuchen aus der Pfanne auf einen Teller und wirbelte dabei eine graue Wolke von verbranntem Maisöl von der glühenden Kochplatte auf.
Er und June waren in den New Yorker Sommern immer total pleite — wohl kaum die rechte Zeit dafür, sich ohne einen Cent durch den Beat Apple beißen zu müssen, obwohl die Winter mit den brennenden Mülltonnen auf der Bowery noch mindestens zehnmal schlimmer sein mussten. Wenigstens hatte Dom sein Dope-Business, um sich über Wasser zu halten. Gerüchten zufolge war er imstande, buchstäblich jeden Stoff aufzutreiben, der in Robert S. De Ropps Werk Drugs and the Mind erwähnt wurde. Sein Zimmer schien diese Behauptung zu rechtfertigen, mit all den Regalen, die überquollen von Apothekerflaschen mit halbwegs legalen Substanzen wie Lophophora williamsii, wildem Lattich aus Mexico, Belladonna, Yohimbinrinde, indischem Tabak, Ginsengwurzeln und sogar einer zweifelhaften Sorte von getrockneten Würmern aus Sumatra, die ihre Konsumenten angeblich ins Land des warmen Nebels transportierte. Illegale Drogen wie Koks, Meth, Benzedrin, Hasch, Heroin, Nembutalkapseln, Goofballs, Meskalin und Opium waren genial in der Lampenfassung von Doms Nachbarn versteckt, die einen Stock tiefer wohnten. Er hatte ein faustgroßes Loch in den Fußboden gebohrt, genau über der Fassung, und erzählte John, dass er immer unheimlich aufpassen müsste, wenn er seine Arzneien aus der schalenförmigen Lampe fischen wollte. Es konnte nämlich vorkommen, dass er die Fassung verfehlte und mit dem Arm im leeren Raum herumfuhrwerkte. Die Bewohner des Apartments waren sehr religiös, und Dom hatte eine Heidenangst, dass sie es als eine Art göttlicher Offenbarung verstehen und zu schreien anfangen würden, wenn sie mal durch einen dummen Zufall nach oben guckten und ihnen aus der Decke eine Hand erschien.
Dom war gerade aus Tanger zurückgekommen, wo ihn jemand bei einem Haschdeal gelinkt hatte. Er versuchte zwar, es mit Humor zu nehmen, aber seine Stimme klang ziemlich gepresst und enttäuscht, als er jetzt die Story erzählte: »Da stand ich, Mann, und schob diesen Karren vom Marktplatz, und in meinen Augen spiegelten sich schon die Dollarscheine und der Mietvertrag für unser Sommerhaus in Vermont. Und als ich den Stoff in meinen Laster laden wollte, stellte sich heraus, dass es bloß ein Haufen Kamelscheiße war, mit ein paar Nelken drin, glaub ich. Ich hab alles verloren bis auf mein Flugticket. Und alles, was ich von dem Trip mitgebracht habe, ist ein Sack mit Gei-...« — Er hielt inne, schnippte mit den Fingern und verschwand plötzlich durch den Perlenvorhang in seinem Zimmer.
Als er wiederkam, hielt er ein großes Bündel in der Hand, das in ein buntes Kopftuch verschnürt war. Er wickelte es aus und legte sechs braune, ovale, gesprenkelte Objekte auf den Tisch. Dann hob er eins davon ans Ohr und schüttelte es hin und her.
Er erzählte ihnen, dass er sie letzte Woche in Marokko gekauft hätte. Der Verkäufer hätte ihm hoch und heilig versichert, dass es ganz frische Geiereier seien, direkt aus dem Nest, hoch oben in den zerklüfteten Felsen. Dom hatte vorgehabt, sie als Geschenke an seine Freunde zu verteilen, aber jetzt, als der Food Hawk vor seinen Augen krächzte, begann er zu erwägen, ein kleines Geieromelett daraus zu zaubern.
»Jessas, ich hoff’ bloß, sie sind frisch genug zum Essen«, meinte er.
Dann schloss er die Augen und zerbrach vorsichtig eins in die Pfanne.