Im selben Moment, als Levine diesen Satz vorlas, beugte sich hinter ihm ein Typ mit einem abgetragenen roten Filzhut über das Gesicht seiner Begleiterin, hielt ihr eine ordinäre Glühbirne unter die Nase und rief: »Beweis mir, dass diese Glühbirne existiert. Beweis es!«
Barrett war ganz aus dem Häuschen, griff nach seinem Notizbuch und notierte hastig dieses ungewöhnliche Perlenpaar:
Ich habe null kapiert.
Beweis mir, dass diese
Glühbirne existiert.
Rienzi’s 1. 7. 1959
Ihr könnt es nachprüfen, in der Manuskriptsammlung der Brown-University-Bibliothek.
Nach dem zweiten Espresso und in der zweiten Stunde bei Rienzi musste Barrett mal. Unten bei den Toiletten, direkt neben der Treppe stand eine dicke Säule und dahinter ein Tisch, den man aber von der Treppe aus nicht sehen konnte. Als er die Stufen herunterkam, bemerkte er einen Schwarzen mit Baskenmütze und Sonnenbrille, der am Tisch saß und ein Zigarillo mit Elfenbeinhalter rauchte. Barrett grüßte nickend.
Der Mann warf einen kurzen Blick in seine Richtung, wie ein Baskettballspieler kurz vor dem Pass nach hinten, und ließ dann in typischer Dopedealer-Manier einen leise hingenuschelten Satz los: »Willste murmel murmel murmel Gras murmel murmel kaufen, Mann?«
Zuerst kapierte Barrett gar nicht, was der Typ von ihm wollte. Dann klickte es. »Vielleicht ’n Fünferpäckchen«, antwortete er und kam die letzten Stufen herunter. Es war wirklich bescheuert, auf der McDougal Street Hasch zu kaufen. Barrett wusste das. Aber irgendwie glaubte er, er müsste auf das Angebot eingehen, genau wie einer, der aus keinem Buchladen rausgehen kann, ohne wenigstens ein Buch zu kaufen, und sei es nur, um dem Mann an der Kasse einen Gefallen zu tun.
Da war zunächst einmal das Qualitätsproblem. In den meisten Village-Cafés dealten die berüchtigten linken Pusher, und es trug sicherlich nicht gerade zum guten Ruf der Beats bei, wenn spießige Hasch-Sucher von der Indiana University hier eine erbärmliche Mixtur von Katzenminze, Oregano, ein paar Stäubchen echtem Cannabis und vielleicht noch einer Prise entdoptem Vogelfutter angedreht bekamen.
»Kann ich’s mal sehen?« fragte Barrett. Ein Schimmer von Widerwillen flog über das Gesicht des Schwarzen, als er seine Hand in die Tasche steckte und Barrett ein kleines Stück Silberpapier mit einer knisternden Substanz zwischen die Finger schob. Dabei spähte er die ganze Zeit über die Schulter und die Treppe hoch, als wenn er jeden Moment die Bullen erwartete.
»Mach schon, Mann«, sagte er, »die Bullen sind überall.« Es war übrigens in Rienzis Pissoir, wo die ersten falschen Beatniks auftauchten, verkleidete Narcs mit Baskenmützen, Bärten, Sandalen, schwarzen Rollkragenpullovern und Pistolenhalftern unter der Achsel. Angeblich sollte es einen Heidenspaß machen, einen Beatnikbullen zu beobachten, wie er alle fünf Minuten aufs Klo wetzte, um jemand auf frischer Tat zu ertappen.
Barrett faltete das Papierchen an einer Ecke auseinander, warf einen Blick auf das grüne Kraut und schnüffelte. Komischerweise war das Gras beinah genauso giftgrün wie ein Billardtisch und es roch wie der Gewürzstreuer drüben in der Pizzeria.
Barrett ließ sich nie eine Gelegenheit entgehen, mit vollem Recht den Empörten zu spielen. Und das hier war die Gelegenheit. Seine gesamte weltliche Habe bestand im Moment aus zwölf Dollar. Wenn er fünf davon für diesen Schund opferte, warf ihn das auf ein Existenzminimum von sieben Dollar zurück, mit denen er eine ganze Woche auskommen musste. Spaghetti, altes Brot und was er sonst noch umsonst oder in der Sonne verfaulend auf dem Fulton Fish Market abstauben konnte. Außerdem konnte er sich dann auch nicht das Buch über die Techniken des japanischen No-Dramas abholen, das er sich vor ein paar Tagen in dem berühmten Orientalia Book Store bestellt hatte — übrigens auch eines von den wissenschaftlichen Gebieten, auf das ihn die gerissene Schreibe von Ezra Pound gestoßen hatte.
Aus diesen Gründen war Barrett eigentlich erleichtert und das No-Buch schon so gut wie bezahlt, als der Geruch des Grases andeutete, dass es keinen Pfifferling wert war. »Wieso versuchst du, mir Scheiße anzudrehen, Mann?« wollte er gefährlich laut flüsternd wissen. »Fuck, ich brauch bloß rüber auf die andere Straßenseite zu gehen und kann mir so ’n Mist umsonst aus dem Pizzastreuer holen!« Damit schmiss er das Papier auf den Tisch, stieg aufrecht die Treppe hinauf, ging zu seinem Tisch, bezahlte den viel zu teuren Beatsville-Kaffee und steuerte nach draußen, in die blendende Hitze der McDougal Street, einer so schmalen und hohen Straße, dass man meinen konnte, man ginge von einem Zimmer ins andere.
Barrett lief die McDougal Street hoch Richtung Washington Park. Plötzlich überholte ihn der Schwarze und streifte ihn mit der Schulter. Seine Worte zischten nur so an Barrett vorbei. »Wag ja nicht irgendwem zu erzählen, dass du auch nur glaubst, ich hätte versucht, dich zu linken, sonst haben wir zwei aber ein dickes Hühnchen zu rupfen!«
»Lass mich bloß in Ruhe, du Ganove.« Barrett stöhnte fast, als er antwortete. Der Pusher verschwand an der Dritten Straße West nach links um die Ecke, Richtung Sixth Avenue, blieb tänzelnd einer Meute Touristen auf der Spur und wurde schließlich in ihrer Mitte aufgesogen.
VI
»Kauf bloß nie Gras bei Rienzi’s Mann!«
»Hey, Barrett hamse grad gelinkt, bei Rienzi’s. Hahaha!« lachten seine Freunde, die an der Alex-Holley-Statue herumhingen. Barrett nahm einen Schluck aus der Thunderbird-Pulle, die ihm jemand in die Hand gedrückt hatte.
»He, guckt mal — unser motherfucker!« rief plötzlich einer.
»Yayah!« J.S.D. ist im Anmarsch!«
Der nuckelnde T-Birder-Kreis am Rand der Statue geriet in Bewegung. Es war jedes Mal ein Ereignis, wenn ein Freund in den Park spaziert, gestrolcht, gekrochen oder geschlichen kam. Barrett blickte auf, und da war er und trottete geradewegs auf ihren Platz zu, der stelzbeinige J.S.D. — J.S.D. war etwa zwanzig und extrem hochgeschossen. Einer von den Typen, die von ihren Trainern regelmäßig zum Essen eingeladen werden, sobald sie dreizehn geworden sind. J.S.D. trug ein Paar dunkelbraune Jeans, deren Beine mindestens fünfzehn Zentimeter zu kurz für ihn waren, und ein Fischnetz-T-Shirt, was derzeit gerade ziemlich angesagt war. J.S.D. hatte die Angewohnheit, mit dem Finger auf jemand zu zeigen und ihn drohend hin- und herzubewegen. Dabei legte er gleichzeitig den Kopf zur Seite, und zwar nach Barretts Notizbüchern immer dann, wenn er kurz vorm Sprechen war. Der Barmann in der Jazzgalerie hatte ihm seinen Namen nach den ersten Buchstaben von Jazz / Sex / Dope verpasst, ein Trio, das die Essenz von J.S.D.’s weltlichen Interessen bildete. Er war eine Wurlitzer für Saxofonsoli; alles, was er brauchte, war der Name des Instruments oder der Scheibe, die du hören wolltest, und schon war er imstande, dir auf der Stelle ein mündliches Solo hinzulegen. Obskure Altflötenparts zum Beispiel, die man auf den frühen Aufnahmen kaum erkennen konnte — J.S.D. kannte sie alle in- und auswendig. Er war der Mozart der Jazz Gallery. Wenn Sonny Rollins je aus seiner Abgeschiedenheit käme, um in der Gallery zu spielen, würde J.S.D. die ganze Nacht auf seinem Eindollar-Platz hocken, den Kopf in die Hände gestützt, und sich den Gig von vorn bis hinten einprägen. Und am nächsten Tag würde er im Park erscheinen und das Ganze einfach nachspielen. Was die anderen Initialen in seinem Namen anging, also Sex und Dope — die ereigneten sich stündlich, egal ob bei Tag oder Nacht.
»Wie läuft’s, J.S.D.-Baby«, rief Barrett und streckte ihm seine Handfläche hin. J.S.D. hieb seine Faust dagegen, ließ sich direkt neben John auf Holleys schattige Seite fallen, nahm einen Zug Thunderbird, schnorrte sich eine Zigarette und stellte die unvermeidliche Frage: »Hat hier vielleicht irgendwer Pillen bei sich?«
Zwanzig Minuten verstrichen wie im Flug. Barrett beobachtete J.S.D. von der Seite, wie er