Название | Verrat der Intellektuellen |
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Автор произведения | Stephan Reinhardt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895775 |
II | Auf dem deutschen Sonderweg |
1. Ethnische Homogenität und übersteigertes Selbstwertgefühl
Der Primat des Deutschen nahm im 19. Jahrhundert die Form des nationalistischen deutschen Sonderwegs an – wie ihn zunächst Hans-Ulrich Wehler in seiner Studie »Nationalsozialismus« skizziert, und dann Volker Ulrich in »Die nervöse Großmacht 1871-1918« weiter ausführt für die Zeit nach der Reichsgründung.1 Statt sich dem Beispiel der westlichen Demokratien – der USA, Frankreichs, Großbritanniens oder der Schweiz – anzuschließen und im Geist der Aufklärung auf eine offene, freiheitliche, Toleranz praktizierende Gesellschaftsordnung zu drängen, konzentrierte sich das von Napoleon besetzte, gedemütigte Deutschland auf das, was es für das unverwechselbar Eigene hielt und selbstversessen verklärte. Das Deutsche wurde nach 1805 zum Antidot gegen die welsche Besatzungsmacht. Begriffe wie deutsche Nation, deutsches Volk, germanische Rasse wurden verabsolutiert. Auf diesem seit der Romantik von vielen betretenen deutschen Sonderweg galt ethnische Homogenität, das heißt rassische, völkische ›Reinheit‹, nun als unverzichtbar. Sie wurde zur Grundvorstellung »deutscher Leitkultur«. Das faszinierende kosmopolitische Weltbild zum Beispiel Lessings sowie der deutschen Klassiker Goethe und Schiller mit ihrer Abwehr jeglicher Xenophobie vermochte à la longue nichts dagegen auszurichten. Im Kaiserreich Wilhelms II. explodierte das deutsche Selbstwertgefühl. Es setzte sich buchstäblich aufs hohe Roß: Wilhelm II. und Bismarck nahmen symbolisch Platz auf zahllosen Reiterdenkmälern. Nach der Reichsgründung 1871 vollzog sich unter den geistigen Eliten – Professoren, Journalisten, Funktionseliten – ein Meinungswechsel: hin von der bis dahin nicht unüblichen – weil auch vom einflußreichen Lebensphilosophen Nietzsche artikulierten – Gesellschafts- und Staatskritik zu Nationalismus, Deutschtümelei und Hurrapatriotismus. Auch der neue Mittelstand, der sich in der wild wuchernden Industriegesellschaft ständig vom sozialen Abstieg bedroht glaubte, verfiel der – so der Publizist und Historiker Johannes Willms – »Deutschen Krankheit« kleinbürgerlicher Fremdenfeindlichkeit, einer Übersteigerung des Selbstwertgefühls aus mangelndem weltbürgerlichem Bewußtsein. In seinem satirischen Roman »Im Schlaraffenland« datierte Heinrich Mann die »deutsche Krankheit«, die neue wilhelminische Mentalität aus Untertanengesinnung und Obrigkeitshörigkeit auf das Jahr 1890, das Jahr der Entlassung Bismarcks durch Wilhelm II.: »Damals hatten alle einem Bedürfnis der Epoche nachgegeben, sie waren ihren freisinnigen Prinzipalen ein Stückchen Weges nach rechts gefolgt und bekannten sich seither zum Regierungsliberalismus und Hurrapatriotismus.«2 Ein weiterer Beweggrund dieses Meinungswechsels: Durch Industrialisierung und Reichsgründung hatte das zuvor agrarische Deutschland sich entwickelt zur ökonomischen Weltmacht und sogar England und Frankreich überholt, das heißt: Es wollte nun, wovon es glaubte, daß es ihm zustünde: einen »Platz an der Sonne«. Das Mittel dazu: expansive Kolonialund Flottenpolitik – begleitet von einer zunehmend aggressiveren Präsentation des Deutschtums. Die intellektuellen Eliten wußten diesen Nationalismus zu steigern. Der mediokre Kaiser mit seiner Großmannssucht3 wurde idolisiert – etwa von Detlef von Liliencron, der einen Ehrensold von ihm erhielt: »Der Kaiser ist mir ein Abglanz der Heiligkeit, für ihn und mein deutsches Vaterland gebe ich den letzten Atemzug.«4
Nicht zufällig wurde zum Beispiel ein nationalistisches Traktat wie Julius Langbehn‘s »Rembrandt als Erzieher« in Berlin und im Deutschen Reich des Jahres 1890 ein Bestseller: Es lag ganz im geistigen Trend der Zeit, wenn Langbehn Demokratie und Sozialismus als veraltete, typisch westliche und welsche Lebensformen abwertete: »Der französischpolitische Geist ist im Niedersteigen, der deutschpolitische Geist im Aufsteigen.«5 Der antisemitische Kulturkritiker Langbehn prognostizierte: »Der Deutsche beherrscht also, als Aristokrat, bereits Europa; und … es wird vielleicht nicht lange dauern, bis er als Mensch die Welt beherrscht.«6 Indem Langbehn für den völkischen Gedanken warb und Deutschtum über alles stellte, warnte er zugleich vor den Juden: »Dem Streben der heutigen Juden nach geistiger und materieller Herrschaft läßt sich ein einfaches Wort entgegenhalten: Deutschland für die Deutschen.«7 Und er wurde aggressiv: »Die Jugend gegen die Juden.«8 Langbehn wurde zur Chiffre für völkische Erneuerung durch Antisemitismus – wie etliche andere, so auch der Göttinger Orientalistikprofessor Paul de Lagarde, dessen »Deutsche Schriften« nicht nur Hitler und Rosenberg akribisch genau studierten.
Der Deutsche Sonderweg – der später, in den Zwanziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts, in der Weimarer Republik, in die »Konservative Revolution« und deren Personal einmündete – wurde vom rechten intellektuellen Mainstream im wilhelminischen Deutschland fortgeführt, von der »Deutschen Bewegung«, den »Alldeutschen« über die Frontkämpfergeneration des Ersten Weltkrieges9 bis hin zu Thomas Manns »Aufzeichnungen im Kriege« (1915) sowie seinen – in fundamentalen Irrtümern befangenen – »Betrachtungen eines Unpolitischen« (1918). Den »Militarismus« verklärte Thomas Mann darin zu einer »Erscheinungsform deutscher Moralität«. Unterwegs auf dem deutschen Sonderweg, hat Thomas Mann in den »Betrachtungen eines Unpolitischen« sich die Ressentiments des nationalistischen Stammtischs peinlich »geschwätzig«