Название | Autopsie |
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Автор произведения | Viktor Paskow |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941555 |
Er warf sich zu Sieglinde auf die Matratze, und die beiden begannen, Liebe zu machen.
... So startete diese wilde, mörderische und verzehrende Geschichte zwischen Christoph und Sieglinde, die ganze fünf Jahre weiterging und ihm die Neurasthenie einbrachte, die Depressionen, die ihn überfielen wie ein Jagdverband, der offenes Gelände bombardiert, die zerfleischende Demütigung und die Devalvation seines enormen Talents.
Christoph fiel aus den Charts. Aus einem der größten europäischen Jazzmusiker wurde ein Konzertveranstalter und zweitklassiger Interpret. Sieglinde war immer mit dabei, wenn Christoph auf Tournee war, und machte ihm schreckliche Szenen für jeden Blick und jedes Autogramm, das er einer Frau gab. Er seinerseits litt wie ein Hund und prügelte sie für jeden kleinen Gefallen, den sie seinen Freunden tat, halb tot.
Von ihrer früheren Aufgeschlossenheit keine Spur mehr. Sie liebten sich, sie hassten sich und waren aufeinander eifersüchtig wie die Störche. Sie verwandelten Hotelzimmer in Schlachtfelder.
Im »Hôtel des Bergues« in Genf hatten sie die Renaissancemöbel zerschlagen, die ein ganzes Vermögen kosteten.
Sie schlugen sich in Palma de Mallorca.
In Thailand.
Im »George V« in Paris.
Sieglinde war so sehr Bildhauerin wie der Wurm ein Drache ist.
Sie porträtierte jahrelang den armen Kopf Christophs in Ton, und dieser Kopf wurde immer widerlicher, immer absurder und unsinniger, bis er sich am Ende in eine Handvoll Dreck verwandelte, den jemand durch die Finger gepresst hatte, er ähnelte einem Kuhfladen, ausgeschissen von einem müden Rindvieh nach Sonnenuntergang im dörflichen Stall.
Dann betrat Kim die Bühne.
Kim war Astrophysiker und Alkoholiker, er hatte den Intellekt des Dalai Lama, die Kenntnisse eines ägyptischen Opferpriesters, die Emotionen einer Makrele und beherrschte sieben oder acht Sprachen, darunter auch Japanisch und Chinesisch.
Kim war in Neuseeland geboren, hatte deutsche Eltern und wuchs in Australien auf. Er hatte in den geheimsten Abteilungen der NASA gearbeitet und Projekte zur Zerstörung von Kometen entwickelt. Und jetzt war er bei uns – den unvollkommenen Clowns vom Prenzlauer Berg – einsam, dünn wie ein Spulwurm, Photosynthese betreibend und an Lungenkrebs im Endstadium leidend.
Christoph verehrte Kim und widmete ihm Kompositionen.
Kim wiederum bewies auf mathematischem Wege, dass Christophs Musik keinen Pfifferling wert war und nicht die geringste Projektion im Universum, der Zeit, dem Raum oder dem Punkt hatte, in dem sie sich krümmen und den Primitivlinge »Zukunft« nennen. Kim unterdrückte ihn gnadenlos.
Auf einmal beschloss Sieglinde, dass sie in Kim verliebt und er der Mann ihres Lebens sei.
Sie schnürte ihr Bündel mit Arbeitskleidung und zog mit all ihrem Ton, ihren Stativen, Spachteln und Gummihandschuhen in das stinkende Loch des dahinscheidenden Kim, nur zwei Querstraßen von der Borodinstraße entfernt.
An diesem Tag wurde Christoph wahnsinnig. Er zog in die Höhle in der Bizetstraße, vernagelte das Fenster mit einer Sperrholzplatte und verbrachte beinahe zwei Wochen in besinnungsloser Trunkenheit, manchmal knabberte er trockene Spaghetti direkt aus der Verpackung. Er wälzte sich über den sich auflösenden Teppich, biss in die Tischbeine, schlug seine Stirn – bumm! bumm! bumm! – gegen die morschen Bretter und heulte vor Schmerz und Befremden.
Christoph verbrachte Monate in Trance, entsetzt und schaudernd, ohne die Möglichkeit oder den Wunsch, den Kontrabass anzurühren.
Dann begann er, Tagebücher zu schreiben, in die er alles an Gift, Gehässigkeit, Ängsten, gedemütigter Liebe und Katastrophenformeln über Leben und Tod hineinlegte.
Das erste Mal verließ er seine Höhle, um den todkranken Kim auf dessen Wunsch hin zu besuchen. Der konnte das Haus nicht mehr verlassen, nicht mehr selbst essen und auch nicht mehr ohne Sauerstoffflasche atmen.
Worüber sie damals sprachen, weiß ich nicht. Christoph war vom Anblick des Sterbenden erschüttert, und ich hörte von ihm kein Wort des Hasses. Kim sei zu einem Gnom zusammengeschrumpft, er wiege keine vierzig Kilo mehr und sei unvorstellbar grau. Er lindere seine unmenschlichen Schmerzen mit Morphintabletten, doch sie würden seinem Körper den Sauerstoff entziehen und ihm das Atmen noch mehr erschweren.
Christoph besuchte Kim dreimal wöchentlich, und aufgrund einer unausgesprochenen Abmachung war Sieglinde bei diesen Treffen nie anwesend.
Einige Wochen später erlosch Kim in schrecklicher Agonie in Christophs Armen.
Als die Sanitäter den Leichnam hinaustrugen, warfen sich Sieglinde und er auf das Totenbett und vögelten einander wild und rasend. Bis zur Bewusstlosigkeit.
Sieglinde verschwand. Nach etwas mehr als einem Jahr hörte man, dass sie in die Psychiatrie gegangen sei, wo übrigens auch ihr Platz war.
So wurde der blauäugige Übermensch Christoph geboren, der mir jetzt gegenübersitzt und sich mit Bier volllaufen lässt.
Er kennt Ina gut, sogar besser, als mir lieb ist. Er versucht, mit mir die Situation zu analysieren, liest mir Auszüge aus seinen Tagebüchern vor, will mir helfen. Er spricht auch einige bemerkenswerte Gedanken aus, wie zum Beispiel den, dass ich in meiner Eigenschaft als Bulgare und Südeuropäer die Neigung habe zu übertreiben, was den Unterschied zwischen Leben und Tod angeht.
Aber Christoph kann mir nicht helfen. Mein Leiden ist nicht wie seines vor zehn Jahren. Christoph litt damals wie eine Buche, wie eine Eiche, wie ein Affenbrotbaum. Mein Leiden ist pervers, zerstörerisch, erniedrigend. Aber – frage ich mich jetzt – leidet eine Kaulquappe wirklich weniger als eine Buche?
Später gehen wir am Ufer des Weißen Sees spazieren, trinken Bier in irgendeiner Kneipe, essen in einer anderen Spaghetti zu Abend. Ich bin todmüde. Zu Christophs Missfallen komme ich nicht mit zu ihm, sondern nehme mir ein Taxi und fahre nach Hause. Ich falle im Bett in Ohnmacht und schlafe einige Stunden wie ein Toter.
Am Morgen erwache ich gegen fünf mit dem Aasfressergedanken: Ina. Ich bleibe bis gegen neun liegen. Ich frage mich, warum ich am Leben bin, wie ich den heutigen Samstag überstehen soll. Das Wochenende ist immer tödlicher als die Werktage.
Ich gehe einkaufen.
Pedantisch bereite ich mir Koteletts mit Erbsen und Salat zu. Pedantisch spüle ich das Geschirr, sammle die Krümel auf, pedantisch putze und poliere ich jede Ecke der verfluchten Wohnung. Ich schalte die Nachrichten ein. Heldenhafte Erfolge der amerikanischen Luftwaffe im Irak. Zwei-, dreihundert von intelligenten Bomben zerrissene, zerfetzte, zermalmte und verbrannte Kinder, Frauen, Alte und Zivilisten.
George Bush junior gibt auf dem Rasen vor dem Weißen Haus eine Erklärung ab.
Tony Blair gibt seine Erklärung in der Downing Street ab.
Ich schalte aufs Satellitenprogramm um. Der bulgarische Außenminister erklärt, dass die Regierung Amerika in seinem gerechten Kampf gegen den Terrorismus unterstützt und dass die bulgarische Armee nach Kerbala aufbricht, um allen Terroristen den Arsch aufzureißen.
Die ganze Zeit über geht mir Ina nicht aus dem Kopf.
Ich gehe ins Erotikmuseum von Beate Uhse. Ich kaufe mir das »Happy Weekend«, ein Magazin für Sexkontakte. Leidenschaftliche. Aber diese Texte und Bilder erinnern mich an sie. Nach einer Stunde haben sich alle Möglichkeiten für Sexkontakte von selbst erübrigt.
Zumindest ist das Wetter schön, draußen sind es fünfundzwanzig Grad. Ich beschließe spazierenzugehen. Aber wohin soll ich gehen? Wieder ins Theater?
Ich rufe in Sofia an und spreche mit der Frau von Svetljo Vox, vermeide aber, das Thema Ina anzusprechen. Sie äußert sich optimistisch zur Lage in Bulgarien. Sie überschüttet mich mit schmeichelhaften Worten über die Regierung