Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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und dazu brauchte er Repräsentanten, die über passende persönliche Eigenschaften verfügten.14

      Aus ähnlichen Gründen suchten die Kaiser immer wieder nach Situationen, in denen sie demonstrieren konnten, wie sie lokale Bildungs- und Regierungseinrichtungen unterstützten, die als Grundbedingung der civilitas galten (auch wenn ihr Handeln dann in Wirklichkeit wenig mehr als Fassade war). Lehrstühle zu vergeben, war immer ein guter Schachzug, genau wie alles, das als Unterstützung der lokalen Selbstverwaltung der städtischen Eliten durchging. Auch wenn die ständige Einmischung durch die zentrale Reichsregierung die lokale Autonomie der Bürger in der Realität immer weiter ausgehöhlt hatte, übten diese kulturellen ideologischen Imperative auch im christlichen Reich des 6. Jahrhunderts noch eine gewisse Kraft aus. Und obwohl Prokop in den Bauten die größte Emphase auf das Christentum und die Verteidigung legt, kam der Stadt als einzig möglichem Kontext für ein wirklich zivilisiertes Leben immer noch eine gewisse Bedeutung zu. So beschreibt Prokop in den 550er-Jahren, wie sich Caput Vada (im heutigen Tunesien) verändert hat, seit dort zwanzig Jahre zuvor Belisars Invasionsstreitmacht landete:

      Die Bauern haben den Pflug beiseitegelegt und sind nun eine Gemeinschaft, die sich nicht mehr landwirtschaftlichen Aufgaben widmet, sondern ein städtisches Leben führt. Tagsüber sind sie auf dem Forum und halten Versammlungen ab, um die Fragen zu erörtern, die sie beschäftigen; und sie treiben Tauschhandel miteinander und widmen sich all jenen Dingen, die die Würde des Städters ausmachen.15

      Die alte zivilisatorische Kraft, die der lokalen Selbstverwaltung innewohnte, war – zumindest theoretisch – immer noch quicklebendig.

      Der vom christlichen Gott persönlich für seine Aufgabe ausgewählte Kaiser hatte auch wichtige militärische Pflichten. Bis weit ins 4. Jahrhundert hinein nahmen die Kaiser als Militärkommandanten aktiv an Feldzügen teil, und manche wurden vor allem deshalb in dynastische Interregna berufen, weil sie bereits bekannte Feldherren waren, so zum Beispiel Valentinian I. und Theodosius I. Doch das Amt des Kaisers behielt seine allgemeine militärische Funktion – oder besser: Verantwortung – auch dann noch bei, als die Kaiser Ende des 4. Jahrhunderts damit aufhörten, persönlich mit in den Krieg zu ziehen. Im Jahr 402 wertete der Dichter Claudian den Sieg der weströmischen Armeen über die gotischen Streitkräfte Alarichs als persönliche Leistung von Kaiser Honorius.16 Dabei hatte Honorius in Wirklichkeit keinen Fuß auf das Schlachtfeld gesetzt, denn er war damals erst zwölf Jahre alt. Und die Schlacht endete auch gar nicht mit einem Sieg der Römer, sondern ging unentschieden aus. Der springende Punkt hier ist jedoch nicht, dass Claudian es mit der historischen Wahrheit nicht so genau nimmt: Entscheidend sind seine Gründe dafür, Honorius’ Beitrag zu dem fiktiven Triumph zu verklären.

      In der gesamten Geschichte der römischen Kaiserzeit galt eine Tugend als wichtigstes Charaktermerkmal eines Herrschers: die Fähigkeit, auf dem Schlachtfeld den Sieg davonzutragen. Dass sich daran auch mit dem Aufkommen des Christentums nichts änderte, hatte einen ganz einfachen Grund: Ein militärischer Sieg zeitigte eine weitaus größere ideologische und politische Wirkung als jeder religiöse oder zivile Akt. Letztere beiden Dimensionen des kaiserlichen Amtes – darunter die Beilegung theologischer Streitfragen, Gesetze, die die civilitas sicherstellten usw. – konnte als mögliches Zeichen göttlicher Begünstigung gesehen werden (und wurde es auch regelmäßig), aber die Taten eines Kaisers an diesen »Fronten« waren anfechtbar und wurden immer wieder infrage gestellt. Wurde eine theologische Streitfrage entschieden, gab es dabei immer auch Verlierer in den eigenen Reihen – und sie leugneten oft jahrzehntelang die Legitimität der Entscheidung. Der Streit um die Person Christi innerhalb der Dreifaltigkeit, der eigentlich im Jahr 325 in Nicäa »beigelegt« wurde, ging de facto noch drei Politikergenerationen lang weiter. Wie die folgenden Kapitel zeigen, beschäftigte Justinian Mitte des 6. Jahrhunderts ein weiterer kirchlicher Disput, der theoretisch bereits 451 auf dem Konzil von Chalkedon entschieden worden war. Bei der Gesetzgebung war es ähnlich: Es gab kein Gesetz, das allen Menschen auf die gleiche Weise von Nutzen gewesen wäre (auch wenn die kaiserliche Propaganda dies gerne behauptete).17

      Kurz: Ein militärischer Sieg besaß eine größere legitimierende Macht als jede andere kaiserliche Aktivität. Der allmächtige Gott konnte kein deutlicheres Zeichen seiner Gunst senden als einen kolossalen militärischen Sieg über die den Römern innerhalb der göttlichen Schöpfungsordnung per definitionem untergeordneten Barbaren. Während der gesamten römischen Kaiserzeit waren die Kaiser bei allem, was sie taten, darauf bedacht klarzustellen, dass sie im Einklang mit dem göttlichen Plan für die Menschheit handelten. Und in ideologischer Hinsicht gab es dabei nichts, das einem militärischen Sieg gleichgekommen wäre. Selbst wenn ein Kaiser wie der junge Honorius die Truppen nicht persönlich ins Feld führte, konnte eine siegreiche Schlacht seine gottgegebene Legitimität beweisen: Die Feldherren hatten ja in seinem Namen gekämpft. Damit schloss sich der ideologische Kreis. Ein legitimer Kaiser hatte göttliche Kräfte hinter sich, die sich in einem Sieg auf dem Schlachtfeld manifestierten. Und andersherum brachte ein militärischer Erfolg eben mehr politische Legitimität mit sich, als es jede andere Tat eines Kaisers vermocht hätte.18

      Dementsprechend nahmen militärische Siege als ultimatives Zeichen göttlicher Unterstützung in der Propaganda aller römischen Herrscher einen zentralen Platz ein. Seit Konstantins unmittelbaren Vorgängern, den Tetrarchen, gaben sich die Kaiser Siegertitel aus den Adjektiven der Namen der besiegten Feinde und fügten sie der Liste ihrer bisherigen Titel hinzu. Zu »Caesar«, »Augustus« oder »Pontifex Maximus« gesellten sich so »Parthicus«, »Alamannicus«, »Gothicus« und viele andere Titel mehr. Diokletian und die anderen Tetrarchen fügten jedem dieser Titel sogar noch eine Zahl hinzu, die anzeigte, wie oft sie (oder einer ihrer Kollegen) einen bestimmten Gegner besiegt hatten: »VII Carpicus« hieß also »siebenmal Sieger über die Karpen«. Nach Konstantin waren die Kaiser nicht mehr so sehr auf Zahlen fixiert, auf Siege aber schon. Jedes Mal, wenn der offizielle Name eines Kaisers erwähnt wurde, wurden seine Untertanen nolens volens mit einer Liste von Siegen konfrontiert, die unterstrich, dass Gott sein Regime unterstützte.19

      Anlässe dafür gab es reichlich. Die kaiserliche Titulatur tauchte in allen offiziellen kaiserlichen Verlautbarungen auf, von kurzen Briefen bis zu formellen Gesetzestexten. Und sie fand sich auch auf vielen Inschriften wieder, die meistens mithilfe der Namen der Konsuln datiert wurden – das Konsulamt übten die Kaiser in spätrömischer Zeit regelmäßig selbst aus. Die meisten öffentlichen Anlässe im Römischen Reich, sei es auf zentraler, regionaler oder lokaler Ebene, beinhalteten eine formelle Akklamation, bei der auch sämtliche Titel des amtierenden Kaisers ausgerufen werden mussten. So begann jede Sitzung eines der vielen Hundert Stadträte des Römischen Reichs der Spätantike mit einer solchen Akklamation (auch wenn nur von einer einzigen derartigen Sitzung das Protokoll überliefert ist), genau wie jede formelle Zeremonie im Reich, nicht zuletzt die sorgfältig orchestrierte Ankunft – adventus – des Kaisers in einer seiner Städte. Bei solchen Anlässen wurden die militärischen Leistungen des Kaisers nicht nur in Form der Titulatur erwähnt, sondern in der Regel auch noch ausführlich besprochen. Bei den meisten kaiserlichen Zeremonien brachte jemand einen Panegyricus zu Gehör, eine formelle Lobrede zu Ehren des Kaisers, und wer das Glück hatte, eine solche Lobrede halten zu dürfen, konnte damit seine eigene Karriere vorantreiben. Ein Panegyricus konnte individuell gestaltet werden, doch eine der am häufigsten verwendeten Formen beinhaltete einen Abschnitt, der die Heldentaten des Kaisers im Krieg aufzählte. Und auch wenn sich der Redner für eine andere Form entschied: Er verzichtete niemals darauf, die kaiserlichen Erfolge auf dem Schlachtfeld zu erwähnen.20

      Was bei einer Aufzählung dieser Taten indes nie fehlen durfte, war der Hinweis auf den göttlichen Beistand, mithilfe dessen der Kaiser seine Siege errungen hatte. Die Darstellung des Barbaren, der sich den Römern unterwift, spielte in der spätrömischen Ikonografie eine wichtige Rolle. Auf diversen Münzen war – oft begleitet von einer passenden Inschrift wie debellator gentium (»Eroberer von Völkern«) – auf dem Revers ein am Boden liegender Barbar abgebildet, der daran erinnern sollte, dass es für den Kaiser quasi zum Tagesgeschäft gehörte, solche Feinde zu besiegen. Besiegte Barbaren in verschiedenen Posen wurden auch regelmäßig auf den Reliefs abgebildet, mit denen die Kaiser die größeren Städte ihres Reiches zu schmücken pflegten, nicht zuletzt an den gewaltigen Triumphbögen.21