Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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wie diese dazu, die Botschaft zu verbreiten, dass das derzeitige Regime alles richtig machte.

      Die Ideologien des Römischen Reiches, die sich mit dem aufkommenden Christentum kaum veränderten, legten fest, was der Kaiser zu tun hatte – weniger im Sinne bestimmter Tätigkeiten, sondern indem sie (was nicht weniger wichtig war) eine Reihe von Zielvorgaben definierten, die der Kaiser irgendwie erreichen musste. Ein legitimer römischer Kaiser war kein weltlicher Herrscher im modernen Sinne des Wortes, sondern einer, der direkt vom allerhöchsten Schöpfergott des gesamten Kosmos dazu ausgewählt worden war, dafür zu sorgen, dass die zentralen Säulen intakt blieben, auf denen die vernünftige römische Zivilisation ruhte – Bildung, urbanes Leben, niedergeschriebenes Recht und das Wohlergehen der christlichen Kirche; denn diese Säulen sorgten dafür, dass der Mensch dem göttlichen Plan ein Stück weit näherkam, und im Gegenzug sorgte Gott dafür, dass der Herrscher alle, die ihm im Weg standen, auch tatsächlich aus dem Weg räumen konnte. Dieses Konstrukt war bereits mehrere Jahrhunderte alt, als Justinian 527 den Thron bestieg, doch es war wirkmächtig wie eh und je.

      Was auch immer ein Regime sonst noch anstellen mochte: Gemessen wurde es daran, ob es in allen Bereichen dem entsprach, wie man sich eine legitime römische Regierung vorstellte, und der weitaus wichtigste Faktor dabei war einer, der sich (scheinbar) ganz leicht messen ließ: der militärische Erfolg. Man sollte stets bedenken, dass hiermit nicht etwa abstrakte Strategien zur Selbstdarstellung des Regimes gemeint sind. Der überwältigende ideologische Imperativ, der der göttlichen Legitimitierung von Macht und dadurch vor allem dem militärischen Sieg anhaftete, hatte für die politischen Prozesse der römischen Spätantike einen regelrechten Dominoeffekt.

      Die Politik des Siege(r)s

      Dass ein Kaiser behauptete, von Gott persönlich berufen worden zu sein, bedeutete nicht, dass alle politischen Fraktionen jeweils sofort in Jubel ausbrachen und diese Behauptung akzeptierten – im Gegenteil. Die naiv-optimistische Ideologie des Römischen Reiches, es sei der bestmögliche Staat und seine handverlesenen Herrscher seien von göttlichen Mächten eingesetzt, machte es natürlich schwierig, in der Öffentlichkeit eine abweichende Meinung zu äußern. Das kaiserliche Zeremoniell war darauf ausgelegt, dass die einflussreicheren Bürger in der Reihenfolge ihrer gesellschaftlichen Bedeutung ihre uneingeschränkte Zustimmung zu der Grundidee zur Schau stellten, dass sie Teil einer perfekten, gottgewollten politischen Struktur waren. Und wer wollte einer perfekten Struktur widersprechen?

      Der bizarre orchestrierte Lobgesang, mit dem die Senatoren an Weihnachten 438 die Vorlage eines neuen Gesetzestextes des Kaisers – des Codex Theodosianus – begrüßten, ist nur ein Beispiel für die formelle Einstimmigkeit, die diese politische Kultur einforderte.22 Einer derart perfektionierten Gesellschaftsordnung konnte wohl nur ein Barbar die Unterstützung versagen. Wer es wagte, in aller Öffentlichkeit Zweifel am Regime zu äußern, lebte gefährlich. Wie John Matthews gezeigt hat, konnte Symmachus, ein Senator des ausgehenden 4. Jahrhunderts, nur mit sehr indirekten Worten signalisieren, wenn er jemanden nicht mochte, insbesondere wenn dieser Jemand ein »Freund« des Kaisers war, dem jener ein einflussreiches Amt zugeschustert hatte.23 Doch auch der Umstand, dass das öffentliche Leben im Römischen Reich ein gewaltiges Maß an formeller öffentlicher Zustimmung erforderte, konnte nicht verhindern, dass Intrigen und Verschwörungen eine Grundkonstante des politischen Lebens darstellten.

      Forscher, die sich mit der römischen Spätantike befassen, beschäftigen sich noch immer zu wenig mit dem Phänomen der Thronfolge, obwohl sogar die Abläufe in der modernen Politik bestätigen, wie wichtig das Thema Nachfolge ist. Innerhalb einer höfischen Struktur wirkte sich die Thronfolge auf alle einflussreichen Akteure ganz unmittelbar aus. Für jeden kaiserlichen Günstling war die Vorstellung, dass der aktuelle Herrscher abgelöst wurde, äußerst bedrohlich. Würde ihm das nächste Regime die gleiche Gunst erweisen? Umgekehrt konnten all jene, die beim Kaiser in Ungnade gefallen waren, darauf hoffen, dass sich die Dinge unter seinem Nachfolger zum Besseren wenden würden, und alle, die irgendwo dazwischen »unterwegs« waren, durften auf einen Aufstieg hoffen. Mit anderen Worten: Sobald sich abzeichnete, dass das Reich einen neuen Kaiser bekommen würde, wurden alle bestehenden politischen Bündnisse und Beziehungen neu verhandelt, und allerorten traten lange Zeit unterdrückte Hoffnungen zutage. Und wie man unlängst in Großbritannien beobachten konnte, als Michael Gove, der Boris Johnson eben noch hofiert hatte, auf einmal umschwenkte und versuchte, ihn politisch kaltzustellen, können scheinbar solide Bündnisse von einem Tag auf den anderen zu Bruch gehen, wenn bei gewissen Politikern der Ehrgeiz erwacht.

      In der römischen Spätantike gab es ein gewaltiges Spektrum an Gruppen und Fraktionen, für die alles rund um die Thronfolge von höchstem Interesse war. Zuerst war da natürlich die aktuelle Kaiserfamilie, der die naheliegendsten Anwärter auf den Thron angehörten, doch schon dieses Netzwerk dehnte sich mitunter recht weit aus, bis hin zu den Seitenlinien früherer Dynastien. Nach dem Tod von Leo I. gab es in den 470er- und 480er-Jahren in Konstantinopel ein ganzes Jahrzehnt lang Machtkämpfe bei Hofe, in die diverse Cousins, Schwager und sogar Ehefrauen ehemaliger Kaiser verwickelt waren.24 Aber nicht nur mehr oder weniger bedeutende Mitglieder der Herrscherfamilien machten sich Gedanken über die kaiserliche Nachfolge. Mitunter traten auch Außenseiter als Thronanwärter auf den Plan, vor allem wenn es keinen »offensichtlichen« männlichen Erben gab.

      Abb. 3 Justinians Onkel und Vorgänger, Kaiser Justin.

      Traditionell kommt man an diesem Punkt auf die Armee als politischen Faktor zu sprechen, doch damit ist in der Regel nur der Offizierskader eines ganz bestimmten Segments des römischen Militärs gemeint: derjenige der elitären Feldarmeen nämlich. Hochrangige Offiziere dieser Streitkräfte hatten unter den richtigen Umständen immer gute Chancen auf den Thron. Valentinian I. war ein prominenter Militär, bevor er Kaiser wurde, genau wie Theodosius I. und auch die späteren Kaiser Markian und Justin, Justinians Onkel.25 Ganz gelegentlich kamen auch Bürokraten und Beamte des kaiserlichen Hofs für die Thronfolge infrage. Nach Julians Tod wurde dessen wichtigstem Finanz- und Justizbeamten, dem Prätorianerpräfekten Salutius Secundus, die Kaiserwürde angeboten, die weströmischen Usurpatoren Eugenius (392–394) und Johannes (423–425) waren beide leitende Bürokraten, und Anastasios I., der zweite Kaiser vor Justinian, war zuvor ein ranghoher Würdenträger bei Hofe gewesen.26 Selbst wenn die Umstände eine dynastische Erbfolge diktierten, waren eben jene militärischen und zivilen Würdenträger dennoch stets eng involviert, und viele überlegten sich bereits, während sie noch unter dem aktuellen Herrscher ihre Position zu sichern oder zu verbessern suchten, welches Mitglied der Dynastie sie später einmal unterstützen würden (falls überhaupt mehrere zur Wahl standen).

      Aber auch weiter unten in der Hackordnung hatten manche Akteure einen großen Anteil am Prozess der Thronfolge. Viele mittlere Bürokraten gehörten zum Bekanntenkreis einflussreicher Mäzene, deren Erfolg oder Misserfolg ernsthafte Auswirkungen auf ihre eigene Karriere hatte. Mitte der 350er-Jahre versorgten mittlere Finanzbeamte Caesar Julian mit wichtigen Informationen, die es jenem ermöglichten, sich der Kontrolle des Finanzministers und Prätorianerpräfekten Florentius zu entziehen, der ihm von Constantius II. vor die Nase gesetzt worden war, und sich politisch zu emanzipieren. Bereits vorher hatten Funktionäre in der östlichen Reichshälfte Julians Halbbruder, Caesar Gallus, zu einem ähnlichen Manöver ermutigt, aber dort war der Versuch fehlgeschlagen – und am Ende war Gallus tot. In beiden Fällen hatten die Beamten geglaubt, ihr jeweiliger Caesar sei der kommende Mann, und sie hatten sich Vorteile für die Zeit erhofft, wenn er später einmal Kaiser wäre.

      Diese Dynamik gab es durchaus auch noch im 6. Jahrhundert. Johannes Lydos’ Wohlstand war eng mit dem Erfolg seines viel einflussreicheren Gönners Zoticus verbunden, des Prätorianerpräfekten des Ostens. Ende der 540er-Jahre versuchte eine Gruppe mäßig gut vernetzter Militärs, Justins Neffen Germanus, der zwar nicht offizieller Erbe, aber ein durchaus plausibler Kandidat für die Thronfolge war, dazu zu bringen, sich an einer Verschwörung zu beteiligen, die den Tod des Kaisers herbeiführen und den Neffen als seinen Nachfolger installieren sollte.27

      Noch