Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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waren weitere wütende Alamannenproteste und noch mehr Schwierigkeiten an der Rheingrenze.

      Manche meinen, das Römische Reich habe jeden einzelnen aufgezeichneten Konflikt mit den Alamannen in der späten Kaiserzeit selbst initiiert – die Kaiser hätten nun einmal ständig unter dem Druck gestanden, militärische Siege vorzuweisen. Meiner Ansicht nach geht diese Argumentation zu weit, denn sie spricht den Menschen jenseits der Grenze letztlich das Handlungsbewusstsein ab. Dennoch: Der innenpolitische Zwang, klare Siege zu erringen, wird sich doch hier und da auf die kaiserliche Außenpolitik ausgewirkt haben.40 Und eben jener Zwang veranlasste manche Kaiser sogar dazu, ihre Niederlagen zu vertuschen.

      Im Spätsommer 363 wurde Kaiser Julian beim Versuch, seine Armee aus dem Territorium der Perser herauszuholen, in einem Scharmützel getötet. Wie der Bericht des Ammianus Marcellinus deutlich macht, war Julians Streitmacht, obgleich in taktischer Hinsicht ungeschlagen, in eine strategische Falle gelockt worden. Sein Nachfolger Jovian sah sich gezwungen, einen geradezu demütigenden Friedensvertrag zu schließen: Die Perser erhielten die römische Regionalhauptstadt Nisibis sowie eine Reihe von Gebieten östlich des Tigris. Die naheliegende Option in puncto Propaganda wäre gewesen, diese Niederlage Julians unvorsichtigem Verhalten anzulasten – so wie es auch heute noch die meisten Regierungen tun, wenn sie für jedes aktuelle Problem ihre Vorgänger verantwortlich machen. Einer der Gründe, warum ich das britische Finanz- und Wirtschaftsministerium verließ und mich der Wissenschaft zuwandte, war die alberne offizielle Vorgabe, auf Fragen der Presse mit dem Satz zu antworten: »Ja, aber unter der letzten Regierung war die Situation noch viel schlimmer.« Doch sowohl die Münzen, die Jovian prägen ließ, als auch eine Rede, die er bei Themistios in Auftrag gab, machen deutlich, dass sich das neue Regime für eine viel unbequemere Option entschieden hatte: Man behauptete, die erniedrigenden Klauseln des Friedensvertrags seien für die Römer in Wirklichkeit ein Sieg. Niemand glaubte das, insbesondere als das Römische Reich den Persern dann wirklich Nisibis und viele weitere Territorien im Osten überlassen musste, doch das war auch gar nicht der Punkt: Der ideologische und politische Imperativ, siegreich zu sein, war so gewaltig, dass kein römischer Kaiser eine militärische Niederlage eingestehen durfte – nicht einmal dann, wenn er noch ganz am Anfang seiner Herrschaft stand und sie noch ganz plausibel seinem Vorgänger hätte anlasten können. Vor allem aber durfte man keine so gewaltige Niederlage gegen den Erzfeind der Römer eingestehen.41

      Ein ganzes Netz sowohl aus ideologischen als auch aus praktischen politischen Notwendigkeiten machte die erfolgreiche Kriegsführung für alle römischen Herrscherhäuser zur allerobersten Priorität. Ein Kaiser, der im Bereich der militärischen Auseinandersetzungen versagte oder sich auch nur den Anschein gab, zu versagen, musste damit rechnen, dass umgehend seine Legitimität in Zweifel gezogen wurde, und er riskierte, das stets wackelige und improvisierte politische Gleichgewicht, das die Basis eines jeden funktionierenden kaiserlichen Regimes bildete, zu destabilisieren. Ein Herrscher mochte mit noch so imposanten zeremoniellen Mitteln zur Schau stellen, dass er von Gott eingesetzt war, und sich nach Kräften darum bemühen, jegliche Zweifel daran auszuräumen: In der Praxis beruhten alle kaiserlichen Regime auf einem fein gesponnenen Netz von Bündnissen, sowohl im Zentrum der Macht, also am Hof und in seiner unmittelbaren Umgebung, als auch zwischen dem Zentrum und den verschiedenen Regionen des Römischen Reiches. Militärische Siege spielten eine ganz entscheidende Rolle, wenn es darum ging, einflussreiche politische Akteure daran zu hindern, sich nach einer unmittelbaren Alternative umzusehen. Alle spätrömischen Vorgänger Justinians mussten diesen extrem anspruchsvollen Spagat bewältigen, in dessen Zentrum eben der (wahrgenommene) militärische Erfolg stand, und dieser Spagat sollte auch das Schicksal von Justinians Regime bestimmen. Angesichts der allumfassenden ideologischen und politischen Bedeutung des Sieges innerhalb dieses Systems ist es wenig verwunderlich, dass in der römischen Spätantike ein Großteil der Regierungsarbeit auf die praktischen Mechanismen effektiver Kriegsführung ausgerichtet war. Auch dieser Umstand hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die politischen Prozesse im Reich Justinians.

      2

      Geld und Männer für den Krieg

      Heutzutage ist man in weiten Teilen der Welt davon überzeugt, die Aufgabe einer Regierung bestünde darin, für ihre Bürger Dienstleistungen zu erbringen und im Gegenzug von ihnen Steuern zu kassieren. Gesundheitswesen, Renten, Bildung, Sozialhilfe, Infrastrukturprojekte: All das wird in den Industrienationen, in denen das Nationalstaatenmodell entwickelt wurde, seit Langem aus der Steuerkasse finanziert – ein Modell, dem auch die Entwicklungsländer im Großen und Ganzen nacheifern. Dass auch die Sozialausgaben, insbesondere die ständig steigenden Kosten der medizinischen Versorgung und der Renten einer immer älter werdenden Bevölkerung auf diese Weise finanziert werden, stellt den Staatshaushalt vielerorts vor große Probleme. Vor allem seit der Wirtschaftskrise von 2008 verfolgen einige westliche Regierungen daher eine strikte Sparpolitik.

      Historisch gesehen ist dieses ganze Phänomen extrem neu; es ist das Produkt des außerordentlichen Wohlstands der Industrienationen infolge der Industrialisierung und der wirtschaftlichen Entwicklungen im postindustriellen Zeitalter. Fast die gesamte Menschheitsgeschichte über waren die Staaten dieser Erde relativ unproduktiv und überwiegend agrarökonomisch geprägt; Regierungen, die einen Überschuss erwirtschafteten, der groß genug war, um all die genannten Aktivitäten durchzuführen, gab es im Grunde erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts. In der vormodernen Zeit und speziell im Fall des Römischen Reiches bestand die wichtigste, oft sogar die einzige Funktion der Regierung darin, Krieg zu führen. Folglich diktierte die jeweils aktuelle Art der Kriegsführung in den verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte zumeist auch die jeweilige Form der staatlichen Verwaltung und die politischen Beziehungen zwischen Herrschern und Beherrschten, die ihr zugrunde lagen.

      Es gab zwei grundlegende Muster, nach denen vormoderne Staaten mit ihren vergleichsweise geringen Einnahmen und einer begrenzten bürokratischen Kapazität eine effektive Kriegführung organisieren konnten. Die erste, in mancher Hinsicht simplere Option bestand darin, einen ausgewählten Teil der Bevölkerung zum Militärdienst einzuziehen, üblicherweise für einen begrenzten Zeitraum pro Jahr. Als Gegenleistung wurden jenen, die diesen Militärdienst leisteten, Ländereien zur Verfügung gestellt, von deren Erträgen sie leben konnten. Ergänzt wurden diese Streitkräfte normalerweise durch eine relativ kleine Anzahl professioneller Soldaten, die dem Staat permanent zur Verfügung standen und die durch Steuereinnahmen finanziert wurden (im einfachsten Fall erhielten sie auch nur Sachleistungen wie Lebensmittel). Die zweite Option, und diese hatte sich in der römischen Welt durchgesetzt, war in administrativer Hinsicht viel komplizierter: Der Staat erhob so viele direkte Steuern, dass er eine komplette Berufsarmee finanzieren konnte.

      Die Soldaten des Imperiums

      Justinians Heer im 6. Jahrhundert bestand aus Berufssoldaten, doch es entsprach in vielerlei Hinsicht nicht mehr dem römischen Heer etwa unter Caesar oder Augustus, als eine in Legionen aufgeteilten Infanterie, die aus römischen Bürgern bestand, von nicht-römischen Hilfstruppen unterstützt wurde. Die klassische Legion der frühen Kaiserzeit war ungefähr 5000 Soldaten stark, und sie war aufgeteilt in zehn Kohorten, die jeweils von einem Zenturio befehligt wurden. Ihr stand mehr oder weniger die gleiche Anzahl an Hilfssoldaten gegenüber, die keine römischen Bürger waren; diese waren in Infanterie-Kohorten und Kavallerie-alae (Flügel) aufgeteilt. Von der Zeit des Augustus an stieg die Zahl der Legionen immer weiter, bis während der Dynastie der Severer zu Beginn des 3. Jahrhunderts mit 33 Stück der Höchststand erreicht war. Somit standen rund 350 000 Römer unter Waffen, dazu eine ähnliche Anzahl an Hilfssoldaten.

      Der allergrößte Teil der römischen Soldaten war an den Grenzen des Reiches stationiert: im Norden Britanniens, entlang Rhein und Donau, in Mesopotamien, Armenien und an der persischen Grenze; kleinere Kontingente patrouillierten in der Wüste Ägyptens und im übrigen Nordafrika bis ins heutige Marokko.

      Für die großen Feldzüge wurden Kontingente aus allen Legionen, die sich in Reichweite befanden, zusammengezogen; gesamte Legionen – jede für sich eine kleine Expeditionsstreitmacht – wurden im Imperium nur selten von A nach B bewegt.1

      Zu