Die letzte Blüte Roms. Peter Heather

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Название Die letzte Blüte Roms
Автор произведения Peter Heather
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783534746620



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Im Gegenzug nutzten solche Männer – ein klassisches Beispiel ist Synesios von Kyrene zu Beginn des 5. Jahrhunderts – ihre Verbindungen in die Hauptstadt dazu, die politische Agenda ihrer Heimat zu bestimmen; über diesen Umweg hatten auch jene Männer einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der kaiserlichen Politik in ihren Feinheiten.28 Auch wenn stets der Kaiserhof im Zentrum der politischen Prozesse der römischen Spätantike stand, hatte dennoch auch ein beträchtlicher Querschnitt seiner landbesitzenden Elite Anteil an diesen Prozessen. Bedenkt man, für wie viele unterschiedliche Interessengruppen der römischen Spätantike die Thronfolge ein heißes Eisen war, ist es wenig verwunderlich, dass die Machtübergabe von einem zum anderen Kaiser nur selten ruhig und gesittet vor sich ging.

      Zum einen wusste man nie, wann der derzeitige Kaiser ableben würde. Selbst wenn man verlässliche Daten über die durchschnittliche Lebenserwartung gehabt hätte, so gab es doch immer wieder jemanden, der in dieser Hinsicht alle Erwartungen übertraf. Konstantin wurde 65 Jahre alt und Anastasios sogar erstaunliche 87, doch die meisten Männer segneten zwischen Mitte vierzig und Mitte fünfzig das Zeitliche, wie Constantius II., der einzige von Konstantins Söhnen, der eines natürlichen Todes starb, oder Theodosius II., der 49 Jahre alt war, als er im Jahr 450 starb.

      Und manchmal kam der Tod ganz unerwartet. Valentinian I. erfreute sich bester Gesundheit – und dann raffte ihn binnen weniger Stunden ein Schlaganfall dahin; immerhin war er schon Mitte fünfzig und wurde somit von seiner unmittelbaren Umgebung ohnehin bereits mit Argusaugen beobachtet. 45 bis 55 ist nur ein Durchschnittswert, viele Amtsinhaber lebten weit früher ab: Arcadius und Honorius, die Söhne von Theodosius I., starben beide in ihren Dreißigern.29

      Die Tatsache, dass es vor ca. 400 nicht üblich war, Minderjährige auf den Thron zu setzen, brachte weitere Komplikationen mit sich, da es immer wieder Nachkommen gab, die für das Kaiseramt qua jugendlichem Alter noch gar nicht infrage kamen. Der Sohn von Kaiser Jovian zum Beispiel verschwand unmittelbar nach dem plötzlichen Tod seines Vaters im Frühjahr 364 komplett aus dem öffentlichen Leben (und vielleicht auch aus dem privaten …).

      Plötzliche Todesfälle waren indes nur ein Teil des Problems. Selbst wenn der Kaiser einen erwachsenen männlichen Erben hatte, der bereits die Zügel der Macht in Händen hielt, kam es vor, dass er seine Meinung änderte. Konstantin verstieß etwa nach der Hälfte seiner Regierungszeit Crispus, seinen erwachsenen Sohn aus einer früheren Liaison, zugunsten seiner Söhne mit seiner jüngeren Frau und ließ ihn sogar hinrichten.30 Dieser Schachzug wird das politische Kalkül vieler Beteiligter gehörig durcheinandergebracht haben.

      Selbst wenn es einen plausiblen dynastischen Erben gab, brachten es die Struktur und die Dynamiken des politischen Lebens der Spätantike also mit sich, dass ein Regimewechsel selten reibungslos über die Bühne ging. Jedes der spätrömischen Regime war für sich genommen ein Balanceakt, mit diversen Hintermännern unmittelbar unterhalb des Kaisers, die ihre eigene Einflusssphäre kontrollierten und für gewöhnlich miteinander wetteiferten, wer innerhalb des Regimes den größeren Einfluss ausübte. Sosehr man auch den öffentlichen und zeremoniellen Konsens betonen mag: Es wird damals kaum weniger Rivalitäten und Spannungen gegeben haben, als sie für die höfischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit dokumentiert sind, zum Beispiel für den Hofstaat Heinrichs VIII. von England. Vor diesem Hintergrund geriet selbst die reguläre dynastische Thronfolge meistens zum Hahnenkampf.

      Valentinian I. hinterließ zwei Söhne: den sechzehnjährigen Gratian und den vierjährigen Valentinian II. Als er ganz unerwartet einem Schlaganfall erlag, rief eine Gruppe von Funktionären in Trier, wo Valentinians Hof residierte, umgehend Gratian zum Kaiser aus. Zugleich jedoch machte eine andere Fraktion in Aquincum an der Mittleren Donau dasselbe mit dem kleinen Valentinian II., der seinen Vater auf dessen Feldzug begleitet hatte. Diese Aktion war nichts weniger als ein Staatsstreich. Es folgte ein langwieriger Prozess mit vielen Verhandlungen und mehreren Hinrichtungen: Diverse Hintermänner von Valentinian I. fielen der eigenen Machtgier zum Opfer, darunter der Vater des späteren Kaisers Theodosius I., bevor aus dem Wirrwarr eine neue Koalition hervorging.31

      Dass Valentinian II. das Gemetzel überlebte und zurückgezogen ins Privatleben weiterleben konnte, darf über zwei ganz grundlegende Wahrheiten nicht hinwegtäuschen: Erstens war ein Regimewechsel in der römischen Spätantike selbst innerhalb der herrschenden Dynastie in aller Regel schon deshalb eine äußerst unerfreuliche Angelegenheit, da viele Menschen in der unmittelbaren Umgebung des Herrschers alte Rechnungen zu begleichen hatten und sich selbst einen Teil der Macht sichern wollten. Dazu mussten sie mögliche Rivalen isolieren und eliminieren. Und da man zweitens nie wusste, wann der Kaiser sterben würde, mussten alle, die ein substanzielles Interesse am politischen System hatten, stets einen Plan B parat haben, um ihre eigene Position zu konsolidieren, damit sie beim Ableben des Kaisers also nicht mit leeren Händen dastünden und sich, im Gegenteil, ihre Position unter dem künftigen Regime möglichst weiter verbessern würde.

      Dieses dynamische Wechselspiel zwischen Tod des Kaisers, Thronfolge und politischem Ehrgeiz brachte es mit sich, dass die politischen Akteure der römischen Spätantike ständig hinter den Kulissen ihre eigenen Pläne schmieden mussten, um für alle möglichen Zukunftsszenarien gerüstet zu sein. Und von der legitimen Sorge um die Zukunft war es da oft nur ein kleiner Schritt hin zu Verrat und Verschwörung. Anfang der 370er-Jahre gerieten mehrere ranghohe Beamte in Antiochia in ernsthafte Schwierigkeiten, als sie einen Dreifuß für eine Séance missbrauchten, bei der sie den Namen des nächsten Kaisers herausfinden wollten. Der damalige Kaiser Valens war außer sich, zumal die Inschrift auf dem Dreifuß den Namen eines der Teilnehmer der Séance nannte und dieser sich deswegen veranlasst sah, politisch aktiv zu werden. In der Inschrift stand gerade einmal »THEOD« – einer der Anwesenden war ein leitender Bürokrat namens Theodoros. Doch er hatte das Nachsehen: Der nächste Kaiser hieß Theodosius32 – was einmal mehr die Bedeutung der praktischen Implikationen der vorherrschenden Ideologien im Römischen Reich unterstreicht.

      Denn auch wenn die Ideologien, die die Basis des öffentlichen Lebens bildeten, einen kompromisslosen politischen Konsens zugunsten des gegenwärtigen, von Gott zum Herrscher über die beste aller möglichen Welten eingesetzten Kaisers forderten, so implizierten sie dennoch, dass ein Kaiser auch ohne Unterstützung Gottes an die Macht kommen konnte – oder doch zumindest, dass Gott seine Unterstützung erst dem einen und dann auf einmal einem anderen Thronanwärter zukommen ließ. Ein schönes Beispiel dafür sind zwei Reden, die der Redner Themistios im Jahr 364 für zwei verschiedene kaiserliche Regime hielt: am 1. Januar für Jovian und im Herbst desselben Jahres für Valentinian und Valens. In der ersten Rede, in der er Jovians Konsulat preist, nennt Themistios, wie es sich gehört, jene Details des Aufstiegs des Kaisers zur Macht, die zeigten, dass er von Gott auserwählt worden war. Leider starb Jovian wenige Monate später unter mysteriösen Umständen – offenbar war er doch nicht Gottes erste Wahl gewesen, denn sonst hätte dieser ja nicht zugelassen, dass er so früh verstarb. Genau diesen Umstand greift Themistios dann in seiner zweiten Rede zumindest implizit auf, wenn er betont, was bei der Machtübernahme durch das neue Regime anders gemacht wurde, um sicherzustellen, dass die fehlbaren Menschen dieses Mal bei der Wahl der neuen Kaiser den Willen Gottes richtig verstanden hatten.33

      In diesem Fall räumte Themistios im Nachhinein die Illegitimität von Jovians Machtübernahme ein, sodass seine Rede niemandem mehr Anlass geben konnte, irgendwelche Intrigen zu spinnen. Aber dieser Umstand unterstreicht noch einmal, dass es selbst bei einem Posten, der in einem solchen Maße dem öffentlichen Konsens unterlag wie der des Kaisers, niemandem verwehrt war, sich nach anderen Optionen umzuschauen. War der derzeitige Herrscher wirklich Gottes Favorit? Die Unwägbarkeiten der Thronfolge verlangten ohnehin ein hohes Maß an politischem Kalkül, und die schiere Zahl erfolgreicher Usurpationen oder Quasi-Usurpationen – sogar die Inthronisierung Konstantins durch die Anhänger seines Vaters in York gegen den erklärten Willen der meisten Tetrarchen und später diejenige Valentinians II. erfolgten widerrechtlich – beweist, dass Intrigen und Verschwörungen im spätrömischen politischen Leben eine Konstante darstellten, übrigens auch abseits der Thronfolge. Kein Kaiser konnte es sich leisten, diese Vorgänge zu ignorieren, am allerwenigsten jemand wie Justinian, der, wie wir noch genauer erfahren werden, nicht aus einer alteingesessenen Dynastie stammte. Es gab jedoch Momente, in denen ein Regime besonders anfällig