Название | Die Clique |
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Автор произведения | Mary McCarthy |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869152363 |
»Eine Privatpraxis ist doch wohl recht unbefriedigend«, erkundigte sie sich teilnahmsvoll. Für eine so dynamische Person wie die Ärztin konnte es nicht sehr aufregend sein, jungen Mädchen Pessare anzupassen. »Wir haben immer noch eine große Aufgabe vor uns«, seufzte die Ärztin und entfernte das Pessar mit einem kurzen anerkennenden Nicken. »So viele unserer Klinikpatientinnen wollen das Pessar, das wir ihnen verordnen, nicht benutzen oder wenigstens nicht regelmäßig benutzen.« Die Schwester wiegte den Kopf unter der weißen Haube und schnalzte missbilligend. »Und gerade die haben es am nötigsten, ihre Kinderzahl zu beschränken, nicht wahr, Frau Doktor? Bei unseren Privatpatientinnen können wir uns eher darauf verlassen, dass sie unsere Vorschriften befolgen, Miss Renfrew.« Sie grinste anzüglich. »Ich brauche Sie jetzt nicht mehr, Miss Brimmer«, sagte die Ärztin, die sich am Spültisch die Hände wusch. Die Schwester ging hinaus, und Dottie, die sich mit ihren umgerollten Strümpfen und dem lose hängenden Büstenhalter ziemlich albern vorkam, wollte ihr folgen. »Einen Augenblick, Dorothy«, sagte die Ärztin, drehte sich um und fixierte sie mit ihrem leuchtenden Blick. »Haben Sie noch irgendwelche Fragen?« Dottie schwankte. Sie hätte nun, da das Eis gebrochen war, liebend gern mit dieser Frau über Dick gesprochen. Aber ihr nunmehr geschärfter Blick las Müdigkeit im abgespannten Gesicht der Ärztin. Außerdem warteten noch andere Patientinnen, und draußen saß Kay. Und was, wenn die Ärztin ihr dann raten würde, sofort in den Vassar-Club zurückzukehren, ihre Sachen zu packen, mit dem Sechs-Uhr-Zug nach Hause zu fahren und Dick niemals wiederzusehen? Dann brauchte sie das Pessar gar nicht, und alles wäre umsonst gewesen.
»Ärztliche Aufklärung«, sagte die Ärztin freundlich und musterte Dottie mit einem nachdenklichen Blick, »kann der Patientin häufig zum vollen sexuellen Genuss verhelfen. Die jungen Frauen, die mich aufsuchen, haben das Recht, vom Geschlechtsakt die größtmögliche Befriedigung zu erwarten.« Dottie kratzte sich am Kinn. Die Haut oberhalb ihrer Brust verfärbte sich fleckig. Was sie vor allem fragen wollte, musste eine Ärztin, insbesondere eine verheiratete, vielleicht wissen. Sie hatte Kay natürlich nichts von dem gesagt, was sie noch immer beschäftigte: Was bedeutete es, wenn ein Mann mit einem ins Bett ging, aber einen kein einziges Mal küsste, nicht einmal im erregendsten Augenblick? In der Fachliteratur hatte Dottie nichts darüber gefunden, vielleicht war es so selbstverständlich, dass die Wissenschaftler es gar nicht eigens erwähnenswert fanden. Vielleicht gab es, wie Dottie schon zu Anfang vermutete, eine ganz natürliche Erklärung dafür, wie Mundgeruch oder Mundfäule. Oder es handelte sich um ein Gelübde, wie manche Leute geloben, sich nicht zu rasieren oder zu waschen, bis irgendetwas Bestimmtes in Erfüllung gegangen ist. Aber es wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen und wann immer sie daran dachte, errötete sie über beide Ohren, wie eben jetzt. Im Grunde ihrer Seele befürchtete sie, Dick sei, wie Papa sagen würde, ein Tunichtgut. Hier hätte sie nun die Gelegenheit, es in Erfahrung zu bringen. Aber in dem blitzenden Ordinationszimmer wusste sie nicht, wie sie die Frage formulieren sollte. Wie drückte man sich technisch aus? »Wenn der Mann sich der Oskulation enthält?« Ihr Grübchen zuckte verlegen, nicht einmal Kay würde so etwas sagen. »Ist es vielleicht nicht normal …«, begann sie und starrte dann hilflos auf die große Frau, die völlig ungerührt schien, »wenn vor dem Geschlechtsakt …« – »Ja?«, ermutigte sie die Ärztin. Dottie hüstelte in ihrer kehligen, zögernden Art. »Es ist furchtbar einfach«, entschuldigte sie sich, »aber anscheinend weiß ich nicht, wie ich es sagen soll.« Die Ärztin wartete. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Dorothy. Jede Technik«, begann sie gewichtig, »die beiden Partnern Vergnügen verschafft, ist durchaus statthaft und natürlich. Es gibt keine Praktik, weder oral noch manuell, die beim Liebesspiel nicht zulässig wäre, sofern sie beiden Partnern Vergnügen bereitet.« Dottie bekam eine Gänsehaut, sie wusste ziemlich genau, was die Ärztin meinte, und konnte nicht umhin, sich mit Entsetzen zu fragen, ob sie in ihrer Ehe auch praktizierte, was sie predigte. Ihr schauderte. »Danke, Frau Doktor«, sagte sie ruhig und brach das Thema ab.
Nachdem sie sich angezogen und frisch gepudert hatte, nahm sie im Vorzimmer mit behandschuhter Hand von der Schwester den festen Umschlag entgegen und zahlte mit neuen Scheinen aus ihrer Brieftasche. Sie wartete nicht auf Kay. Dem Haus gegenüber befand sich ein Drugstore, der Wärmflaschen in der Auslage hatte. Sie trat ein und erstand mit einiger Selbstüberwindung einen Irrigator. Dann setzte sie sich in die Telefonzelle und verlangte Dicks Nummer. Nach längerer Zeit meldete sich eine Stimme. Dick war ausgegangen. Mit dieser Möglichkeit hatte sie nie gerechnet. Sie hatte ohne Weiteres angenommen, er würde dasitzen und auf sie warten, bis sie ihre Mission ausgeführt hätte. »Ruf mich nur an.« Jetzt ging sie langsam durch die 8th Street zum Washington Square, wo sie sich auf einer Parkbank niederließ und die beiden Päckchen neben sich legte. Nachdem sie fast eine Stunde dort gesessen, den Kindern beim Spielen zugesehen und der Streiterei einiger junger Juden zugehört hatte, ging sie zurück in den Drugstore und rief nochmals bei Dick an. Er war noch immer aus. Sie kehrte zu ihrer Parkbank zurück, aber ihr Platz war inzwischen besetzt. Sie ging ein Stückchen weiter, bis sie einen anderen Platz fand. Diesmal hielt sie, wegen der Banknachbarn, ihre Päckchen auf dem Schoß. Die Schachtel mit dem Irrigator war unhandlich und rutschte ihr jedes Mal herunter, wenn sie die Beine übereinanderschlug und sie musste sich jedes Mal bücken und sie aufheben. Ihre Unterwäsche klebte von den Gleitsalben, die die Ärztin benützt hatte, und das eklige feuchte Gefühl ließ sie befürchten, dass sie ihre Regel bekommen hatte.
Nach und nach verließen die Kinder den Park. Sie hörte die Kirchenglocken zur Abendandacht läuten und sie wäre gern, wie häufig um diese Tageszeit, zum Beten hineingegangen (und um ungesehen die Rückseite ihres Kleides zu untersuchen). Das aber konnte sie nicht wegen der Pakete, die nicht in eine Kirche gehörten. Aber auch in den Vassar-Club konnte sie das Zeug nicht mitnehmen. Sie teilte das Zimmer mit Helena Davison, die vielleicht wissen wollte, was sie da gekauft hatte. Es wurde schon spät, sechs Uhr war längst vorüber, aber im Park war es noch hell, und sie glaubte, dass jeder sie jetzt beobachtete.
Das nächste Mal versuchte sie, Dick vom Telefon in der Halle des Brevoort Hotels zu erreichen, wo sie die Damentoilette aufsuchte. Sie hinterließ eine Nachricht: »Miss Renfrew wartet auf einer Bank am Washington Square.« Sie hatte Angst, in der Hotelhalle zu warten, wo sie Bekannte treffen könnte. Auf dem Wege zum Square bereute sie, die Nachricht hinterlassen zu haben, weil sie nun nicht mehr wagte, die Zimmerwirtin durch einen nochmaligen Anruf zu stören. Jetzt erschien es ihr seltsam, dass Dick sie in den zweieinhalb Tagen seit ihrer Trennung nicht ein einziges Mal im Vassar-Club angerufen hatte, um wenigstens guten Tag zu sagen. Sie dachte daran, dort nachzufragen, ob irgendjemand angerufen habe, fürchtete jedoch, Helena könne ans Telefon kommen. Und außerdem durfte sie ja den Square nicht verlassen, für den Fall, dass Dick kam.
Im Park wurde es dunkel und die Bänke füllten sich mit Liebespaaren. Nach neun Uhr beschloss sie endlich fortzugehen, denn einige Männer hatten sie bereits belästigt und ein Polizist hatte sie interessiert angestarrt. Sie erinnerte sich an Kays Bemerkungen im Autobus über das Corpus delicti einer Liebesbeziehung. Wie wahr! Es bedeutete gar nichts, sagte sie sich, dass Dick nicht zu Hause war. Dafür konnte es tausend Gründe geben. Vielleicht hatte er plötzlich verreisen müssen. Und doch wusste sie, dass es etwas bedeutete. Es war ein Zeichen. Im Dunkeln begann sie still vor sich hin zu weinen und sie beschloss, bis hundert zu zählen, ehe sie fortging. Sie hatte schon fünfmal bis hundert gezählt, bis sie einsah, dass es zwecklos war. Selbst wenn er ihre Nachricht erhalten hatte, würde er heute Abend nicht mehr kommen. Es blieb ihr anscheinend nur noch eines übrig: In der Hoffnung, dass niemand sie beobachtete, schob sie ihre Ausrüstung an Verhütungsmitteln