Die Clique. Mary McCarthy

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Название Die Clique
Автор произведения Mary McCarthy
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783869152363



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Abend. Sie war ganz begeistert davon, wie Kay und Harald ihr Leben vorausplanten. Wenn Kay im September bei Macy’s anfing, würde Harald sich morgens um das Frühstück kümmern, dann die Wohnung saubermachen und einkaufen, damit Kay am Abend, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, nur noch zu kochen brauchte. Schon jetzt brachte Harald ihr das Kochen bei. Seine Spezialitäten waren italienische Spaghetti, was jeder Anfänger lernen konnte, jenes Muschelhaschee, das sie neulich Abend gehabt hatten – ganz ausgezeichnet –, Fleischklöße, die in Salzwasser in einer heißen Kasserole (ohne Fett) gekocht wurden, und ein Hackbraten, den er von seiner Mutter gelernt hatte: ein Teil Rindfleisch, ein Teil Schweinefleisch, ein Teil Kalbfleisch, Zwiebelscheiben hinzufügen und mit einer Büchse von Campbells Tomatensuppe übergossen im Ofen backen. Dann war da noch sein Chili con Carne: ein halbes Pfund Hackfleisch, Zwiebeln, dicke Bohnen aus der Büchse und wieder Tomatensuppe. Man richtete es auf Reis an und es reichte für sechs Personen. Auch dies Rezept stammte von seiner Mutter. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, wie sie lachend sagte, hatte Kay an ihre Mutter geschrieben und um einige ihrer billigeren Hausrezepte gebeten: Kalbsnieren mit Pilzen, in Sherry gedünstet, und einen fabelhaften Salat in Aspik, »Grüne Göttin« genannt, aus Limonengelatine, Krabben, Mayonnaise und Avocados. Man konnte diese Mischung am Abend vorher in Förmchen gießen und am nächsten Tag auf Kopfsalat servieren. Sie hatten vor, an Sonntagen Gäste einzuladen, entweder zu einem späten Frühstück mit Rauchfleisch oder Corned-Beef-Haschee oder zu einem Eintopfgericht am Abend. Das Schlimme an der amerikanischen Küche, sagte Harald, sei ihr Mangel an Fantasie und die Angst vor Innereien und Knoblauch. Er gelte als recht guter Koch und tue an alles Knoblauch. Die Hauptsache bei einem Gericht seien die Zutaten. »Hör nur mal, wie Harald Gehacktes zubereitet. Er gibt Senf, Worcestershire-Sauce, geriebenen Käse – stimmt doch? – und grünen Paprika und ein Ei dazu. Nie käme man auf die Idee, dass es etwas mit dem alten, glasigen Hackfleisch zu tun hätte, das man uns im College vorgesetzt hat.« Ihr Lachen schallte durch das Speakeasy. Wenn Dottie etwas lernen wollte, so solle sie die Rezepte in der Tribune studieren. »Ich liebe die Tribune«, sagte sie. »Harald hat mich von der Times abgebracht.« – »Die Typografie der Tribune ist weit besser als die der Times«, warf Harald ein. »Was für ein Glück du hast!«, bemerkte Dottie voller Wärme. »Einen Mann zu finden, der sich für Kochen interessiert und keine Experimente scheut. Die meisten Männer, weißt du, sind in ihrem Geschmack furchtbar konservativ. Wie Papa, der von vorgekochten Gerichten nichts wissen will, außer den guten alten Bohnen am Samstag.« Ihre Augen funkelten verschmitzt, aber sie fand wirklich, dass Kay großes Glück hatte. »Du solltest eure Köchin dazu bewegen, dieses neue Bohnenrezept auszuprobieren. Man gibt einfach Tomatenketchup, Senf und Worcestershire-Sauce hinzu, bestreut sie mit viel braunem Zucker, bedeckt sie mit Speck und erhitzt sie im Ofen in einer feuerfesten Glasschüssel.« – »Das klingt höchst verlockend«, meinte Dottie, »aber Papa wäre entsetzt.« Harald nickte. Er setzte zu einer Vorlesung über die Vorurteile konservativer Kreise gegen Konserven an. Sie gingen auf eine alte Angst vor Vergiftung zurück, sagte er, die aus der Zeit stamme, da man im Hause einzumachen pflegte und die Lebensmittel leicht verdarben. Moderne Maschinen und eine sachgemäße Verarbeitung in den Fabriken hätten nun jede Bakteriengefahr ausgeschaltet, aber das Vorurteil bestehe immer noch, und das sei bedauerlich, weil viele Lebensmittelkonserven, wie Gemüse, auf dem Höhepunkt des Reifens gepflückt, auch manche Campbell-Suppen, an Geschmack alles übertrafen, was eine Köchin zu leisten vermöge. »Hast du mal die neuen Corn Niblets versucht?«, fragte Kay. Dottie schüttelte verneinend den Kopf. »Du solltest deiner Mutter davon erzählen. Es ist Vollkornmais. Köstlich. Fast wie frische Maiskolben. Harald hat sie entdeckt.« Sie überlegte: »Kennt deine Mutter den sogenannten Eisbergsalat? Es ist eine neue Salatsorte, sehr knusprig, und hält sich wunderbar lange frisch. Wenn du den mal gekostet hast, wirst du den alten Bostoner Kopfsalat nicht mehr sehen wollen.« Dottie seufzte. Ob Kay sich wohl klar machte, fragte sie sich, dass sie soeben das Todesurteil über Bostoner Salat, Bostoner dicke Bohnen und das Bostoner Kochbuch gefällt hatte?

      Trotzdem nahm Dottie sich vor, wenn sie erst einmal in ihrem Landhäuschen in Gloucester angelangt sei, einige von Kays Tipps an ihre Mutter weiterzugeben. Der Gedanke an ihre Mutter lastete auf ihrer Seele, schon seit jenem schicksalhaften Morgen, an dem sie in den Vassar-Club zurückkam und erfuhr, dass sie zweimal telefonisch aus Gloucester verlangt worden war, am Vorabend und am frühen Morgen. Es war ihr unsagbar schwergefallen, ihre Mutter zum ersten Mal im Leben wirklich anzulügen und ihr vorzuschwindeln, sie hätte mit Polly in der Wohnung von Pollys Tante übernachtet. Es schnitt ihr noch immer ins Herz, dass sie ihrer Mutter nichts von ihrem Besuch bei der Beratungsstelle für Geburtenkontrolle und jetzt hier bei der Ärztin berichten konnte, was Mama, als ehemalige Vassar-Studentin, die mit Lucy Stoners und anderen Frauenrechtlerinnen zusammen im gleichen Jahrgang gewesen war, bestimmt enorm interessiert hätte. Das bedrückende Bewusstsein, dass sie etwas verschwieg, ließ sie umso aufmerksamer auf Kleinigkeiten von einigem Interesse achten, über die sie zum Ausgleich in Gloucester berichten könnte – zum Beispiel Kays und Haralds Speisezettel und Haushaltsführung, die Mama wahnsinnig amüsieren würden. Vielleicht konnte sie ihr sogar erzählen, dass Kay bei der Geburtenkontrollstelle gewesen sei und dass man sie zu dieser Ärztin hier geschickt hätte, damit sie sich diesen neuen Apparat besorge?

      »Miss Renfrew«, rief die Schwester leise. Dottie fuhr zusammen und stand auf. Sie sah Kay mit einem letzten verzweifelten Blick an, wie eine Internatsschülerin, die in das Zimmer der Vorsteherin zitiert wird. Langsam, mit fast versagenden Knien, bewegte sie sich auf das Ordinationszimmer der Ärztin zu. Am Schreibtisch, im weißen Kittel, saß eine Frau mit olivfarbener Haut und einem dicken schwarzen Haarknoten. Die Ärztin sah sehr gut aus und mochte vierzig Jahre alt sein. Ihre großen glänzenden Augen ruhten kurz auf Dottie, während ihre breite Rechte mit den spitz zulaufenden Fingern auf einen Stuhl wies. Sie begann mit der Anamnese, als handle es sich um eine übliche Konsultation. Sachlich notierte ihr Bleistift Dotties Antworten über Masern, Keuchhusten, Hautekzeme und Asthma. Und doch fühlte Dottie einen warmen, hypnotischen Charme, den sie ausstrahlte und der Dottie mitzuteilen schien, dass sie sich nicht zu fürchten brauche. Fast erstaunt wurde sich Dottie klar, dass sie beide Frauen waren. Die weibliche Aura der Ärztin wirkte, ebenso wie der weiße Kittel, beruhigend auf die Patientin. Der Ehering machte auf Dottie einen ebenso vertrauenerweckenden Eindruck wie die Trägerin.

      »Haben Sie schon Verkehr gehabt, Dorothy?« Die Frage schien sich so natürlich an die Liste von Operationen und früheren Krankheiten anzuschließen, dass Dottie die Frage bejahte, noch ehe sie Zeit fand, sich zu genieren. »Gut!«, meinte die Ärztin und lächelte Dottie, welche sie verwundert ansah, ermutigend zu. »Das erleichtert uns die Anprobe«, erläuterte sie in lobendem Ton, als sei Dottie ein braves Kind gewesen. Dottie staunte über die Geschicklichkeit der Ärztin und saß, von ihrer Persönlichkeit ganz benommen, mit großen Augen da, während ihr durch eine Reihe von Fragen, wie mit einer kunstvoll gehandhabten Zange, völlig schmerzlos Auskünfte entrissen wurden. Dieses schmerzlose Verhör verriet keine größere Neugier hinsichtlich der näheren Umstände von Dotties Defloration. Dick hätte genauso gut ein chirurgisches Instrument sein können. War Dottie ganz perforiert worden, hatte sie stark geblutet, große Schmerzen gehabt? Welches Verhütungsmittel war angewendet worden, hatte sich der Akt wiederholt? »Interruptus«, murmelte die Ärztin und notierte das auf einem zweiten Schreibblock. »Wir wissen immer gern«, erklärte sie mit einem raschen herzlichen Lächeln, »welche Methoden unsere Patientinnen angewendet haben, bevor sie zu uns kommen. Wann fand der Verkehr statt?« – »Vor drei Tagen«, erwiderte Dottie errötend und glaubte, nun komme die persönliche Seite zur Sprache. »Und wann war Ihre letzte Periode?« Dottie gab das Datum an und die Ärztin warf einen Blick auf ihren Tischkalender. »Sehr schön«, sagte sie. »Gehen Sie jetzt in das Badezimmer, entleeren Sie Ihre Blase, und ziehen Sie Hüftgürtel und Schlüpfer aus, das Unterkleid dürfen Sie anbehalten, aber legen Sie bitte den Büstenhalter ab.«

      Dottie störte weder die Unterleibsuntersuchung noch die Anprobe des Pessars. Schlimm wurde es für sie erst, als sie lernen sollte, es sich selber einzulegen. Obwohl sie sonst recht geschickte Hände hatte, fühlte sie sich plötzlich durch die Ärztin und die Schwester irritiert, deren forschende Blicke sie so prüfend und unpersönlich abtasteten wie der Gummihandschuh der Ärztin. Beim Zusammendrücken des Pessars rutschte ihr das glitschige, salbenbeschmierte Ding aus der Hand, schoss quer durch den Raum und traf den Sterilisator.