Название | Vorspiele |
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Автор произведения | Markus A. Sutter |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783906907468 |
Am Abend zitterten am Himmel die Sterne. Über der Waldlinie glühten die Lichter der Stadt. Wir sassen bei Kerzenschein noch lange draussen, bis ein kühler Wind die Flammen löschte und uns in die Autos trieb. Stüten fuhr voraus. Ich folgte mit meinem Renault. Es ging eine kurvenreiche Strasse den Wald hoch. Die Scheinwerfer trieben ihre Lichtkegel in das aufragende Gitter von hellen und dunklen Stämmen. Wanner, auf dem Beifahrersitz, packte den Griff des Schaltstocks und ging in Bereitschaft. Als Fahrerduo waren wir minutiös aufeinander eingespielt. Während ich die Kupplung drückte und in den Motorenlärm ein Kommando schrie, schoss Wanner den Schalthebel in die nächsthöhere Position. Barbara applaudierte und legte lachend den Hinterkopf in den Falz des offenen Fensters. Ihre vollen Locken flatterten und trommelten ans Blech. Die wechselnden Schatten des Waldes strichen über ihr Gesicht. Sie hielt Ausschau nach den blinkenden Sternen. »Wie im Karussell«, rief sie, und winkte aus dem Fenster. Um sie zu erschrecken, fuhr ich über den Randstein. Äste ratterten entlang der Wagenseite, Rutenspitzen schnellten ins offene Fenster. Barbara kreischte. Blätter hingen ihr in den Haaren.
Kaum aus dem Wald verbarg das Licht der Strassenlampen den Nachthimmel. Unsere Motoren hallten von hohen Hausmauern. Eine rote Kette aus Rücklichtern zog sich durch die Häuserschlucht. Tanksäulen, in kaltes Neonlicht getaucht, säumten die Strasse. Stüten hielt bei der nächsten. Er trat an unser Fenster. Er habe sich gegen Isla und sein Trio entschieden. Es sei zu spät. Das Konzert habe längst begonnen. Meret stiess die Tür auf. Sie protestierte. Die anderen Wagenschläge wurden aufgerissen. Wie bei einem Überfall. Wir standen zwischen Tanksäule und Strasse. Verhandelten. Stritten. Ein kurzes Gefecht. Meret konnte nur Wanner überzeugen. Die anderen stimmten für die Gaskessel. Danielle wäre auch gerne in den feuchtheissen Dampf des Jazzkellers getaucht. Sie fühlte sich angezogen vom Ruch des politischen Untergrunds. Die Extravaganz von männlichem Parfüm und Pfeifenrauch betörte sie, auch wenn sie sich hinter einer Drahtbrille versteckte und ihre Leidenschaften nicht gleich verriet. Heute aber entschied sie sich, in der Umgebung von Troller zu bleiben und einen Abend lang die Dünste seines Schlagzeugkörpers zu atmen.
Von Weitem sahen wir die Gaskessel, die sich wie zwei Schildkrötenpanzer aus einem Schuppenareal wölbten. Sie waren von einem hohen Maschendraht umzäunt. Das Gittertor stand offen. Öliges Wasser lag in Dellen und Löchern. Farbige Glühbirnen wiesen den Weg zu einem groben Betonkubus, der die beiden Kuppeln verband. Oranges Licht flutete den Eingangskorridor. Ein brandroter Teppich kletterte im einen Kessel die Stufen hoch, bis an den Rand der Kuppelwölbung. Pärchen lagen in den Treppenbögen und schmiegten sich ineinander, wie auf Meeresgrund abgetaucht. Im anderen Kessel fielen wir ins beinah undurchdringliche Schwarz. Nur ein Punktlicht und der Schemen eines Discjockeys waren auszumachen. Wir tasteten uns vorwärts, rochen den Schweiss von Tänzern. Hörten kaum ein Flüstern oder Knacken. Dann hämmerte die Musik los. Lichtblitze zuckten und rissen für einen ritzenkleinen Zeitschnitt wild ausgreifende Gestalten ins grellhelle Licht – und liessen sie ebenso schnell wieder ins schwarze Nichts fallen. Marionettenhaft ruckte Bild um Bild vor. Die wirbelnden Körper wurden wie vom Reflex eines zwinkernden Auges auf eine imaginäre Plakatwand gebannt und wieder abgezogen. Ich begann mitzutanzen und warf meine Haare im Rhythmus der Musik vornüber und wieder zurück. Troller setzte zu irren Sprüngen an. Wie ein Sumoringer landete er in der Halbhocke mit den Händen auf den Knien, warf seinen Kopf hin und her und schlug das Haar herum, als wäre es der Riemen einer Peitsche. Zeitweilig stampften und hämmerten die Tanzenden den Beat auf den Schlag genau in den Boden und wurden zum Kolben einer immensen Maschine. Mechanisch wie der Puls des Schlagzeuges. Betörend wie der Sirenenton der Gitarre.
Barbara hakte sich bei mir unter. Im Paarschritt umgingen wir das Kesselrund. Ich fühlte die Wärme ihres weichen Leibes an meiner Seite. Ihrem entschiedenen Griff merkte ich die Gärtnerinnenarbeit an. Sie überragte meine klein gewachsene Gestalt um einige Fingerbreiten. Ursprünglich stammte sie aus dem Nachbardorf, wohnte aber schon länger in der Stadt. Sie war alleine hergezogen. Meret hatte ihr von uns und dem Küngelhaus erzählt. Sie trug enge und zu kurze Jeans und eine über die Hüfte hängende Bluse. Zwischen Mundwinkeln und Nasenflügeln hatten sich zwei Falten gebildet. Wie eingraviert von ihrem rauchigen, dunklen und ansteckenden Lachen. Ich griff mit der offenen Hand in Barbaras ungezähmtes rotes Haar und versuchte sie an mich zu ziehen. Sie liess sich die Zärtlichkeit gefallen. Sie wollte ihren Durst nach Liebe stillen. Zwar hatte sie einen Freund im Dorf, bekam ihn aber nur alle paar Wochen zu sehen. Sie wusste, dass ich das verstehen und keine weiteren Ansprüche stellen würde. Später dürfte sie es auch ihrem Freund erzählen, wenn die Freundschaft gefestigt war und ein Zusammenziehen in Aussicht stand.
Barbara hatte von unserer Trennung gehört. Zu dieser Zeit warst du bereits unterwegs. Mit deinem Gespür für das Machbare und die Bedingungen für eine Frau im nahen und fernen Osten schlossest du dich einer Gruppe von Indienreisenden an. Einen grossen Teil der Strecke wolltet ihr per Anhalter zurücklegen, einen Aufenthalt in Teheran einlegen, um dann im damaligen Land der Sehnsucht, in Afghanistan, länger zu verweilen. Du immer auf der Suche nach den lokalen Tanzmeistern. Ich stellte mir vor, wie ihr mit weiten Kleidern durch die Basare Kabuls schlendert, wie ihr nachts im Steppengras liegt und euch am Himmel berauscht, der dort so leuchten soll wie nirgendwo. Afghanistan war einer der Träume, die du dir erfülltest. Ob es zu einer Beziehung mit einem der Reisenden gekommen war, wusste ich nicht, wollte ich nicht wissen, dazu war ich zu eifersüchtig.
Nachdem Barbara und ich eine Runde abgeschritten hatten, trafen wir wieder auf Danielle. Sie lachte und lockte Troller in gespielt laszivem Tanz zu Stüten hinüber, der etwas ausserhalb des Geschehens als stangenlanger Heiliger an einer Säule lehnte. Obwohl Leadgitarrist, war Stüten gehemmt. Seine Grösse und sein Frank-Zappa-Schnurrbart, das schulterlange rote Haar hätten aus ihm einen Seemann oder sonst einen Abenteurer gemacht, wenn er denn nicht so zerbrechlich dünn und weisshäutig gewesen wäre. Im Wirtshaus konnte er vor einem Bier sitzen, den Fuss des Glases halten und stundenlang in den Schaum hineinlachen. Als Schriftsetzer war er beliebt. Ohne den üblichen Gewerkschaftskram fügte er Bleiletter an Bleiletter. Die stoische Regelmässigkeit machte ihn zu einem effizienten Arbeiter. Wenn jemand einen Witz riss, klopfte er sich auf die Schenkel. Stüten liess sich die Anwerbung von Danielle gefallen. Heuschreckengleich schritt er in die Runde und begann mit seinem überlangen Leib zu schlenkern, sich zu drehen und mit den Beinen in den Raum hineinzufahren, als ob er die Pedale eines überdimensionierten Tretrades zu bedienen hätte. Er geriet in Rücklage und fiel auf die Tanzfläche. Troller und Danielle hüpften um ihn herum wie Nachtklubtänzerinnen. Stüten kam vor Lachen nicht hoch. Die Musik wälzte sich vorwärts. Eine Lichtorgel begann über dem wogenden Händemeer zu kreisen und verwandelte den Kesseldom in eine kosmische Sphäre. Das ganze Gewölbe tönte in wechselnden Farben. Für einen Wimpernschlag wurde die Harmonie der ewigen Gesetze sicht- und hörbar. Hier war die Erdachse. Unter der Kuppel dieses Gaskessels wurde der Welt ein neues Drehmoment verpasst.
Wir strömten aus. Jeder ein Trabant für sich. Vergassen uns selbst. Ich hörte Barbaras rauchiges Lachen hinter mir. Wir fassten uns an den Händen. Hätten uns noch Stunden so gedreht, wäre nicht Troller auf uns zugekommen.
»Ich möchte gehen«, sagte er. »Stüten steht schon an der Tür.«
Meret und Wanner warteten bei der Tiefgarage. Auf der Heimfahrt war es still. Das Schlagen der Autotüren hallte vom nachtdunklen Saum des Waldes wider. Wie Schatten drängten wir uns den Treppenschacht hoch und verschwanden im Küngelhaus. Die Bettenverteilung ging einfach. Nur zwei Zimmer standen zur Auswahl. Beide küngelhausklein und von der Dachschräge in der Höhe eingeschränkt. Beide mit gewachsten Tannenriemenböden und Täfelungen, auf denen der gleiche dicke Lack glänzte wie im Probelokal. Im einen standen das Bett von Troller beim Eingang, dasjenige von Stüten mitten im Zimmer und meines senkrecht zu den anderen mit Kopflade gegen die Fensterfront. Danielle legte sich zu Troller. Stüten lag als Wächter alleine. Barbara schmiegte ihren Gärtnerinnenleib an mich, sie mit schlechtem Gewissen gegenüber ihrem Freund, ich mit Erinnerungen an dich. Das andere Zimmer stand Meret und Wanner zu, weil sie ein festes Paar bildeten. Die beiden hatten sich sofort zurückgezogen. Noch lange ertönte aus ihren Lautsprechern verhaltener Blues und schützte die Liebenden vor dem Zugriff fremder Ohren. Alle lagen unter ihrem Klangzelt und liessen sich vom gespannten Netz der Basslinien auf dem geschotterten Untergrund des Schlagzeuges tragen. Nachts knallte der Dachstuhl,